Viele Überstunden und wenig Personal
Umfrage: Über 40 Prozent der jungen Ärzte beurteilen Personallage in ihrer Klinik als mangelhaft
Viele Ärzte in Weiterbildung beklagen in einer Hartmannbund-Umfrage frustrierende Arbeitsbedingungen. Mehr als ein Drittel hat sogar schon über einen Berufswechsel nachgedacht. Die Ergebnisse der Umfrage liegen der Ärzte Zeitung exklusiv vorab vor.
Veröffentlicht:Klagen über miserable Zustände in der Weiterbildung gibt es schon seit vielen Jahren. Doch jetzt untermauert eine Umfrage des Hartmannbundes, die der Ärzte Zeitung vorab vorliegt, erneut, wie belastend die Situation für viele junge Ärzte ist.
Die Flucht aus Klinik und Praxis erscheint nicht wenigen als Option. So gaben von den fast 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Umfrage 36 Prozent an, „wegen unzufriedenstellender Arbeitsbedingungen schon einmal über einen Berufswechsel“ nachgedacht zu haben.
Die wichtigsten Gründe: der Personalmangel und die damit verbundenen Folgen wie hohe Dienstbelastung und wenig Freizeit, zu wenig Zeit für die Weiterbildung und mangelnde Wertschätzung. Diese Zahlen überraschen um so mehr, weil wiederum fast 90 Prozent der Teilnehmer angeben, dass sie einen großen Sinn in ihrer Arbeit sehen.
Willkürlicher Umgang mit Überstunden ein Ärgernis
Ein Ärgernis ist für die jungen Ärzte der willkürliche Umgang mit Überstunden. So gaben 41 Prozent der Teilnehmenden an, eine problemlose Überstundendokumentation sei in ihrer Klinik nicht möglich. 70 Prozent antworteten, dass sie die gesetzlich vorgeschriebenen Pausenzeiten nicht einhalten können (siehe nachfolgende Grafik).
Fordern junge Kollegen zumindest die Erfassung der Überstunden ein, werden sie ihren Angaben nach oft mit haarsträubenden Begründungen abgewiesen. So bekommen sie zum Beispiel zu hören: Wer Überstunden mache, sei nicht auf Facharztniveau. Ein Zeugnis könne deshalb nicht ausgestellt werden. Oder: „Ein guter Arzt macht keine Überstunden.“
Auch, dass man schneller hätte arbeiten sollen, wird den Ärzten in Weiterbildung oft mitgeteilt, und das, obwohl sie weitaus mehr arbeiteten, als es ihr Vertrag vorsieht. In manchen Kliniken und Praxen ist offenbar Homeoffice möglich. Die dort geleisteten Arbeitsstunden dürften aber nicht dokumentiert werden.
Zu wenig Zeit für Fragen und Erklärungen
Wenig Verständnis für diese Zustände hat der Vorsitzende des Hartmannbundes Dr. Klaus Reinhardt, der Präsident der Bundesärztekammer ist: „Eine nicht-manipulierte Dokumentation der geleisteten Arbeitsstunden ist unbedingte Voraussetzung dafür, dass Pausen und Zeitausgleich angemessen stattfinden können. Ich ermutige gerade die jüngeren Kolleginnen und Kollegen hier ihre Rechte durchzusetzen, auch wenn es im Arbeitsalltag unbestritten schwer sein kann“, so Reinhardt zur Ärzte Zeitung.
Immerhin geben 89 Prozent der Ärztinnen und Ärzte, die an der Umfrage teilgenommen haben an, dass sie bei fachlichen Fragen geeignete Ansprechpartner finden (siehe nachfolgende Grafik).
Allerdings sind auch hier einige Freitextantworten erschreckend. So gebe es Drohungen, dass Teile des Logbuchs nicht ausgefüllt würden, wenn man für seine Rechte einstehe. Es gebe keine Möglichkeit, die Qualität der Weiterbilder für die Ärztekammer zu evaluieren, obwohl doch ständig betont werde, wie wichtig die Qualität der Weiterbildung sei.
Andere kritisieren zu wenig Zeit für Fragen und Erklärungen und keine geregelte Rotation. Wirtschaftlich dominierte Entscheidungen statt medizinischer Lehre machen einigen jungen Ärzten zu schaffen. Von kompletter Überforderung, weil man einfach ins kalte Wasser geworfen werde, ist die Rede, und dass leitliniengerechtes Arbeiten nicht möglich sei.
„Pünktliche Feierabende sind seltener als Einhörner“
Häufig werden auch mangelnde Führungsqualitäten der vorgesetzten Oberärzte kritisiert. Allerdings ist die Personalsituation in vielen Kliniken auch alles andere als zufriedenstellend. So bezeichnen 41 Prozent der Befragten die Personallage in ihrer Klinik als mangelhaft (siehe nachfolgende Grafik).
Der Personalmangel sorgt bei den jungen Ärzten für massive Missstimmung. So schreibt einer: „Pünktliche Feierabende sind seltener als Einhörner.“ Und ein anderer meint, das System basiere „auf Glück, dass nichts passiert“.
Einer schreibt: „Ich bin jetzt 37 und werde umschulen. Ausbildung zum Kaufmann oder ich gehe kellnern. Da ist die Lebensqualität besser.“ Bei täglichen Überstunden und drei Wochenenddiensten pro Monat sind solche Gedanken nachvollziehbar.
92 Prozent klagen über technische Probleme im Arbeitsalltag
„Arbeitsschutz ist notwendig. Bei Ärztinnen und Ärzten besonders, da er nicht nur in ihrem eigenen Interesse, sondern auch im Sinne der Patientinnen und Patienten erfolgt. Dazu gehören reguläre Erholungspausen während der Arbeitszeit und nach Arbeitsende. Es ist die essentielle Verantwortung der Kliniken, dies sicherzustellen“, kommentiert Hartmannbund-Chef Reinhardt die Umfrageergebnisse zu diesem Punkt.
Für enormen Ärger bei den jungen Ärztinnen und Ärzten sorgt auch der Stand der Digitalisierung in den Kliniken. 70 Prozent der Umfrageteilnehmer verzweifeln an Doppeldokumentationen und sagen, diese sei bei ihrem Arbeitgeber noch verbreitet. Bei lediglich zehn Prozent kommen Tablets zum Einsatz (siehe nachfolgende Grafik).
92 Prozent klagen über technische Probleme im Arbeitsalltag. Bei jedem fünften treten diese sogar mehrmals täglich auf, bei immerhin 36 Prozent mehrmals die Woche (siehe nachfolgende Grafik).
Viele bemängeln veraltete und nicht vernetzte Programme
Bei der Frage, wo sie Verbesserungspotenzial bei der Digitalisierung sehen, lautet eine Antwort: „Es gibt keine Digitalisierung bei uns.“ Viele bemängeln veraltete und nicht vernetzte Programme. Andere wünschen sich mehr Homeoffice-Optionen zum Beispiel beim Verfassen von Arztbriefen, PC die schneller laden, oder den Abschied von der Papierdokumentation.
Manche wären froh, wenn die vorhandenen Systeme wenigstens einwandfrei funktionieren würden oder man nicht mehr faxen müsste. Auch Spracherkennungssysteme scheinen in deutschen Kliniken noch nicht Standard zu sein.
Digitale Gesundheitsanwendungen spielen für Ärzte in Weiterbildung offenbar keine besonders große Rolle. Die Frage „Verschreiben Sie regelmäßig DiGA?“ wurde lediglich von 8,83 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bejaht.
Auf die Rückfrage, warum sie dies nicht tun, antworteten viele: „Was ist das?“ oder „noch nie davon gehört“. Allerdings sind diese Antworten von Ärztinnen und Ärzten, die in der Klinik arbeiten, nicht besonders erstaunlich, da DiGA bislang nur von Vertragsärzten auf Kassenkosten verschrieben werden dürfen.
Bei der Fortbildung sieht die Lage etwas besser aus
Aber es gibt auch eher positive Ergebnisse zu vermelden. So berichten immerhin fast 90 Prozent der Umfrageteilnehmer, dass ihnen Fortbildungstage unabhängig von Urlaubstagen gewährt werden (siehe nachfolgende Grafik).
55 Prozent können diese Tage problemlos nehmen, fast 62 Prozent werden finanziell für Fortbildungen vom Arbeitgeber unterstützt. Die Höhe variiert dabei.
Es können etwa 5.000 Euro für einen Notarztkurs übernommen werden, 1.000 Euro pro Jahr, 50 Prozent der anfallenden Kosten oder es gibt sogar unbegrenzte Kostenübernahmen. Oft sind es aber auch Einzelfallentscheidungen.
Immerhin drei Viertel der jungen Ärzte berichten, dass auf ihre Arbeitszeitwünsche geachtet wird, über 83 Prozent berichten von einer verlässlichen Urlaubsplanung.
Kommentar zu Bedingungen in der Weiterbildung
Weniger Arroganz – mehr Wertschätzung
An der Umfrage des Hartmannbundes haben sich 491 Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung beteiligt, die dem Verband angehören. 69 Prozent waren weiblich. Fast 80 Prozent waren in Vollzeit beschäftigt, die anderen hatten hauptsächlich eine 75 bis 80 Prozent-Stelle.