Hilferuf an die Berliner Ampel
Medizintechnikbranche will nicht zum Intensiv-Patienten werden
Die verringerte Mehrwertsteuer auf Medizinprodukte oder die adäquate Abbildung der Sachkosten bei DRG, AOP und Hybrid-DRG – der Bundesverband Medizintechnologie hofft auf ein Ampel-Maßnahmenpaket.
Veröffentlicht:Berlin. Vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), die die deutsche Medizintechnikbranche mit einem Anteil von mehr als 90 Prozent dominieren, könnten – gebeutelt von den gegenwärtigen, multiplen Krisen und der novellierten EU-Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation/MDR) – vor die Hunde gehen, warnte Dr. Meinrad Lugan, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed), am Donnerstag in Berlin.
Auf der Jahrespressekonferenz des deutschen Medizintechnik-Verbandes forderte er deshalb ein abgestimmtes Maßnahmenpaket der Bundesregierung zur Stärkung des Medizintechnik-Standorts Deutschland gefordert.
Lugan verwies auf die dramatischen Kostensteigerungen und die zunehmenden regulatorischen Hemmnisse, unter denen die Innovationskraft der Medizintechnik-Branche in Deutschland leide. „Wir müssen hier insbesondere unsere KMU besser unterstützen, sonst werden mehr und mehr Produktion, Forschung und Entwicklung abwandern“, so Lugan.
Es sei deshalb gut, „dass sich die Bundesregierung mit der Wirtschaft an einen Tisch setzt und die Herausforderungen strategisch angeht und Lösungen unter Einbindung der Expertise der Unternehmen entwickelt“.
Schaltet die Ampel für MedTech auf Grün?
Seit Langem fordert der BVMed die Fortsetzung des vor zehn Jahren gemeinsam von den Bundesministerien für Forschung (BMBF), Gesundheit (BMG) und Wirtschaft (BMWi) auf die Schiene gesetzten Formates des Strategieprozesses Medizintechnik.
Dieser sollte der Zukunftssicherung für die deutschen Medizintechnikunternehmen dienen, ist aber spätestens unter Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zum Erliegen gekommen, obwohl ein solches Format im Koalitionsvertrag der Vorgängerregierung adressiert worden war.
Lugan, der auch Vorstandsmitglied beim europäischen Dachverband MedTech-Europe und bei der B. Braun Familienholding ist, verwies nun in Berlin darauf, dass im November im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz ein High-Level-Gespräch zur Gesundheitswirtschaft mit Minister Robert Habeck und der Parlamentarischen Staatssekretärin Franziska Brantner geplant sei, an dem der BVMed die MedTech-Branche vertreten werde.
„Das ist ein sinnvoller Schritt. Wir brauchen eine strategische Dialog-Plattform für die MedTech-Branche. Wirtschafts-, Forschungs- und Gesundheitspolitik müssen abgestimmte Maßnahmen unter Einbindung der Industrieexpertise vorantreiben“, so der BVMed-Vorsitzende. Denn die Medizintechnik-Branche habe nicht nur ihren Wert für die medizinische Versorgung bewiesen, sondern sei auch ein wichtiger Wirtschafts- und Arbeitsmarktfaktor: mit über 250.000 Beschäftigen, einer Gesamtproduktion von jährlich über 36 Milliarden Euro und einer Exportquote von 66 Prozent.
Die Bewältigung der COVID-19-Pandemie und der Folgen des russischen Krieges gegen die Ukraine habe die globalen Lieferketten und die Herstellungskosten stark beeinträchtigt. Die Medizintechnik-Branche kämpfe mit steigenden Kosten in vier Bereichen – Energie- und Rohstoffpreise, Logistik- und Fracht, regulatorische Anforderungen durch die MDR sowie Inflation und Arbeitskosten. Gleichzeitig seien die Unternehmen in einem streng regulierten Markt tätig, so Lugan.
Es gebe oft gesetzliche Regelungen und langfristige vertragliche Bindungen, die das Handeln der Unternehmen noch erschweren. „Wir brauchen deshalb ein abgestimmtes Maßnahmenpaket, um den Medizintechnik-Standort Deutschland zu stärken und die Innovationskraft durch Abbau des hohen Bürokratie- und Kostendrucks sowie durch Nutzung von Gesundheitsdaten zu stärken“, so der BVMed-Vorsitzende.
Forderungskatalog im Gepäck
Im Forderungskatalog der Branche befinden sich der einheitlich verringerte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent auf Medizinprodukte, die Entbürokratisierung und passgerechte Förderprogramme für KMU, die adäquate Abbildung der Sachkosten bei DRG, AOP und Hybrid-DRG, die Sicherstellung der Investitionsfinanzierung sowie der Hilfsmittel-Versorgung vor dem Hintergrund der Kostenexplosionen und last but not least die Nutzung von Gesundheitsdaten für forschende Unternehmen ermöglichen und die digitale Gesundheitsversorgung mit einer Digitalisierungsstrategie zielgerichtet voranbringen.
Im Hinblicka uf die Sekundärnutzung der Gesundheitsdaten setzt die Branche auf das im Ampel-Koalitionsvertrag adressierte Gesundheitsdatennutzungsgesetz, für das Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) als zuständiger Ressortchef verantwortlich zeichnet.
„Deutschland braucht eine forschungsstarke, leistungsfähige, wirtschaftlich gesunde und international wettbewerbsfähige Medizintechnik-Branche. Die Politik muss die Expertise der MedTech-Unternehmen einbinden – so wie sie es bei der Bewältigung der Corona-Krise mit Erfolg getan hat“, so Lugans Schlussappell.