Fraunhofer-Institut gibt Empfehlungen zu Anpassungen

Hygienevorgaben: Das regt Praxisteams am meisten auf

Die geltenden Hygienevorschriften halten besonders konservativ arbeitende Praxen für teils überzogen. Noch dazu sorgen sie für unnötigen Müll. Ein Gutachten zeigt auf, was Ärzte und Ärztinnen aufregt.

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Das Problem mit dem Liegenpapier. Wie viel davon ist nötig?

Das Problem mit dem Liegenpapier. Wie viel davon ist nötig?

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Berlin. Die KBV hat das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI untersuchen lassen, wo bei den geltenden Hygieneanforderungen der Länder und der Kommission für Infektionsprävention in medizinischen Einrichtungen und in Einrichtungen und Unternehmen der Pflege und Eingliederungshilfe (KRINKO) Spielräume für Anpassungen in den Praxen bestehen. Das Gutachten zeigt, was Ärztinnen, Ärzten und Praxispersonal beim Thema Hygienevorschriften besonders auf den Wecker geht: Überzogene Anforderungen, die vor allem konservativ arbeitende Praxen belasten und zudem eine Menge Müll produzieren.

Hygiene in Praxen sei unbestritten wichtig, betonte KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister anlässlich der Vorstellung des ISI-Gutachtens am Donnerstag. Allerdings seien ambulant tätige Ärztinnen und Ärzte mit Vorgaben konfrontiert, „die für die Krankenhäuser gelten und nicht 1:1 auf die Gegebenheiten in den Arztpraxen übertragen werden können“. Es sei für den effizienten Einsatz von Ressourcen von entscheidender Bedeutung, dass die Besonderheiten der Praxen berücksichtigt werden.

„Vorgaben zu detailverliebt“

Für das Gutachten führte das Fraunhofer-Institut eine Online-Befragung in Praxen durch mit dem Ziel, die bisherige Handhabung der Hygieneanforderungen im ambulanten Sektor sowie mögliche Handlungsspielräume für Anpassungen zu eruieren. Rund 660 Rückmeldungen gingen ein, gut 300 davon aus Allgemeinmedizin- und Pädiaterpraxen. In den Freitextfeldern machten die Ärztinnen und Ärzte ihrem Ärger über manche Vorschriften Luft.

44 Prozent der Umfrageteilnehmer gaben an, das sie die Anforderungen an die Hygienepläne als zu weitreichend wahrnehmen. Viele wünschten sich Musterpläne, die spezifischer auf die Besonderheiten unterschiedlicher Praxistypen eingehen.

Die derzeitigen Anforderungen an die Hygienepläne seien „völlig überzogen, sie können reduziert werden, ohne die Patientensicherheit zu gefährden“, zitiert das Gutachten eine Arztstimme. Durch die vielen Vorgaben seien die Pläne viel zu lang. „Über 50 Seiten Hygieneplan sind Unsinn. Wer soll das Lesen? Die Vorgaben sind zu detailverliebt“.

Zweieimerwischmethode praxisfern

Vertreter konservativ und invasiv tätiger Praxen äußerten laut Fraunhofer-Institut mehrmals den Eindruck, dass „viele Vorschriften zu Weltfremdheit [neigen]“. Als Beispiele werden die Vorgaben zur Bodenreinigung angeführt. „Sie müssen froh sein, wenn Sie eine Reinigungsfirma haben, die regelmäßig kommt und ordentlich putzt. Da können Sie mit der Zweieimerwischmethode fünfmal ankommen", wird eine Stimme aus einer Praxis zitiert.

Auch die Anforderung, für das Ziehen von Fäden spezielle Einwegpinzetten zu verwenden, wurde von Befragten als überflüssig und nicht ökologisch oder ökonomisch nachhaltig empfunden „Mein Herz brennt bei jedem Ding, das ich öffne, weil ich denke ‚und das schmeißen wir jetzt gleich weg“, lautet eine Aussage dazu.

Das Problem mit dem Liegenpapier

Für problematisch halten viele Praxen offenbar auch den Müll, den sie zwangsläufig produzieren – etwa durch die Verwendung von Einmalprodukten oder Liegepapier, auch wenn 62 Prozent der Befragten die Anforderungen an die Abfallentsorgung für angemessen hält. „Unglaublich viel Müll!!! Unnötige mehrfach Verpackungen, zu große Verpackungen, mehr Zuführung zum Gelben Sack; zu strenge Regeln für Sterilisierung, viel zu viele Einmalartikel (insbesondere Metallteile, die im Restmüll statt im Recycling landen!)“, schreibt eine Praxis.

Als eine Lösung regen Ärzte und Ärztinnen an, über den Einsatz des Liegenpapiers nachzudenken. „Liegenpapier einsparen, durch Flächendesinfektion“, schlug ein Teilnehmer vor. Ein anderer schrieb: „Nur Papierauflagen verwenden zu dürfen, finde ich nicht nachhaltig bei Hausarztpraxen, wenn der Patient zum Sono oder Checkup kommt und kaum Kontamination macht, bzw. keine, die über die alltagsübliche hinausgeht. Wie in Schwimm- oder Sporteinrichtungen etc.“

Willkür der Gesundheitsämter

Um Müll zu sparen, verwenden einige Praxen Papier auf Untersuchungsliegen offenbar nur dort, wo es einen Hautkontakt gibt. Oder sie bitten Patienten, ein eigenes Handtuch zum Abwischen des Ultraschallgels zu verwenden.

Teilweise kritisiert wurden auch die Vorgaben zum Waschen der Arbeitskleidung, die für eine Hausarztpraxis überzogen und schwer umsetzbar seien. Ferner könnte darüber nachgedacht werden, den Einsatz von Flächendesinfektionsmitteln etwa in Hausarztpraxen zu reduzieren. „Normales Putzen reicht bei fast allen Flächen. Auch der Einsatz von Einmalhandschuhen ist nicht permanent nötig. Dafür haben wir seit Cov[id] Luftreiniger auf UV-Basis“

Für änderungsbedürftig werden auch die Kontrollen durch die Gesundheitsämter gehalten. Von mehreren Kommentierenden sei kritisch angemerkt worden, „dass es bei den Kontrollen durch die Gesundheitsämter keine einheitlichen Kriterien gibt und die Anforderungen je nach begutachtender Person variieren“, heißt es in dem Gutachten. „Tatsache ist aber eine teilweise krass unterschiedliche Auslegung der Vorschriften“, berichtete eine Praxis.

Hygieneaufwand besser finanzieren

Deutlich machen die Fraunhofer-Forscher auch, dass im Zuge der Ambulantisierung dafür zu sorgen sei, dass beim ambulanten Operieren die Finanzierung des Hygieneaufwandes besser abgebildet werden müsse.

Aufgrund der Untersuchung empfiehlt das Gutachten, die Hygienevorgaben besser auf den ambulanten Sektor zuzuschneiden. Informationsangebote müssten an verschiedene Praxistypen angepasst und eine stärkere Eigenüberwachung möglich sein.

Hygieneleitfäden sollten außerdem auf Ressourcenschonung ausgerichtet sein und Medizinproduktehersteller hier mit einbezogen werden, indem sie etwa Informationen zum ökologischen Fußabdruck ihrer Produkte bereitstellen. Auch schlägt das Fraunhofer-Institut vor, Projekte mit hohem Potenzial zur Ressourcenschonung zu identifizieren und zu fördern. (juk)

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