Vorsicht Haftungsfalle

Importierte Infektionen führen leicht zu Diagnosefehlern

Wann muss ein Arzt für eine Fehldiagnose gerade stehen? In einem aktuellen Fall entschied das Oberlandesgericht Frankfurt gegen einen Arzt, der im Bereitschaftsdienst eine Malaria mit einem gastrointestinalen Infekt verwechselte.

Von Ingo Pflugmacher Veröffentlicht:
Bei Heimkehrern aus fremden Ländern sollten Ärzte auch scheinbar alltäglichen Symptomen gegenüber hellhörig werden.

Bei Heimkehrern aus fremden Ländern sollten Ärzte auch scheinbar alltäglichen Symptomen gegenüber hellhörig werden.

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Im Arzthaftungsrecht ist seit Jahren geklärt, dass Diagnosefehler nur mit großer Zurückhaltung als Behandlungsfehler zu werten sind. Der Bundesgerichtshof betont, dass Irrtümer bei der Diagnosestellung, die in der Praxis nicht selten vorkommen, oft nicht die Folge eines Versehens sind, das man dem Arzt vorwerfen könnte. Denn Krankheitssymptome sind nicht immer eindeutig. Vielmehr können sie auf verschiedene Ursachen hinweisen.

Deshalb stellt ein Fehler bei der Interpretation von Krankheitssymptomen nur dann einen schweren Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst dar, wenn es sich um einen fundamentalen Irrtum handelt, der eine nach dem Facharztstandard nicht mehr verständliche Unterlassung darstellt.

Das Oberlandesgericht Frankfurt musste nun kürzlich über einen Sachverhalt entscheiden, der im ärztlichen Alltag jederzeit vorkommen kann (Az.: 8 U 228/11): Ein niedergelassener Arzt wurde im nächtlichen Bereitschaftsdienst in ein Hotel gerufen. Dort befand sich eine Patientin, die unter Fieber und schwerem Durchfall litt. Nach körperlicher Untersuchung diagnostizierte der Arzt einen gastrointestinalen Infekt, verabreichte der Patientin Paracetamol und verließ sie dann.

Die Patientin wurde morgens vom Hotelpersonal bewusstlos im Bett aufgefunden, sie wurde notärztlich behandelt und anschließend stationär, intensivmedizinisch aufgenommen. Diagnostiziert wurde eine Malaria tropica mit Cerebralbeteiligung. Die Patientin überlebte, leidet aber an einer dauerhaften Sehbeeinträchtigung. Sie verlangte von dem zuerst gerufenen Bereitschaftsarzt 35.000 Euro Schmerzensgeld.

Alarmierende Signale

Die Patientin hatte sich zuvor in Afrika und Asien aufgehalten. Es blieb im Gerichtsverfahren aber streitig, ob sie dies dem Arzt während der nächtlichen Behandlung mitgeteilt hatte. Unstreitig war allerdings, dass sie gegenüber dem Arzt angab, sich im außereuropäischen Ausland aufgehalten zu haben. Das Oberlandesgericht musste also bewerten, ob diese Aufenthaltsangabe "außereuropäisches Ausland" Anlass für den Arzt hätte sein müssen, eine Malaria-Erkrankung in Betracht zu ziehen und dementsprechend der Patientin zu raten, noch in der Nacht ein Krankenhaus aufzusuchen.

Der vom OLG hinzugezogene ärztliche Sachverständige stellte fest, dass bei den Symptomen der Klägerin – 38,5 Grad Fieber, Herzfrequenz von 124 Schlägen/Minute, Durchfall, geschwächter Zustand – zumindest dann an eine Tropenerkrankung zu denken ist, wenn sich die Patientin zuvor im außereuropäischen Ausland aufgehalten hat. Der Sachverständige bezeichnet diese Symptome und Angaben als "rote Flagge". Der behandelnde Arzt hätte den vorherigen Aufenthaltsort der Patientin erfragen müssen. Die Gutachter- und Schlichtungsstelle der Ärztekammer hatte zuvor festgestellt, dass "die Kombination Fieber, Durchfall und Auslandsaufenthalt" bei dem Arzt "etwas hätte auslösen müssen".

Seit 2014 steigt die Zahl der in Deutschland gemeldeten Malaria-Fälle stark an. Sie ist die am häufigsten nach Europa importierte Tropenkrankheit. Infektionskontinente sind Afrika, allerdings auch Asien und Amerika.

Das OLG Frankfurt hat auf der Grundlage der Wertung der ärztlichen Sachverständigen einen schweren Diagnoseirrtum des Arztes bejaht. Er hätte die Möglichkeit einer Malariaerkrankung erkennen und der Patientin im Rahmen der therapeutischen Aufklärung raten müssen, zur weiteren Befunderhebung ein Krankenhaus aufzusuchen.

Immer nach Auslandsaufenthalt fragen

Für den ärztlichen Alltag bedeutet diese Entscheidung, dass bei der Kenntnis eines vorangegangenen Aufenthalts im außereuropäischen Ausland stets die Möglichkeit einer importierten Infektionserkrankung in Betracht zu ziehen ist. Das Robert Koch- Institut beschreibt solche Erkrankungen in seinen "Steckbriefen seltener und importierter Infektionskrankheiten". Ob ein Arzt von sich aus stets nach einem vorangegangenen Aufenthalt im außereuropäischen Ausland fragen muss, war vom OLG nicht zu entscheiden. Die ärztlichen Sachverständigen scheinen in dem Verfahren eher davon auszugehen, dass eine anlasslose Nachfrage nicht zwingend zur Behandlung lege artis gehört. Dennoch kann die regelhafte Nachfrage, gerade bei unbekannten Patienten, selbstverständlich sinnvoll sein.

Ein Mediziner hat vor einigen Jahren auf die Frage, warum Diagnoseirrtümer häufig seien, Folgendes gesagt: "Das Denken fokussiert sich lediglich auf das Wahrscheinliche". Die regelhafte Frage nach einem Aufenthalt im außereuropäischen Ausland kann dazu führen, dass man routinemäßig auch an das weniger Wahrscheinliche denkt.

Dr. Ingo Pflugmacher ist Fachanwalt für Medizin- und Verwaltungsrecht und Partner der Kanzlei Busse & Miessen in Bonn.

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