In Sanofi-Aventis steckt immer noch sehr viel "Hoechst"
Sanofi-Aventis feiert in diesem Jahr ein bedeutendes Jubiläum: 125 Jahre Standort Frankfurt Höchst. Dabei hat Höchst nach wie vor eine große Bedeutung für den Pharmakonzern, sagt Peter Guenter, Geschäftsführer Marketing und Vertrieb bei Sanofi-Aventis Deutschland.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Herzlichen Glückwunsch. Sanofi-Aventis feiert gerade ein wichtiges Jubiläum für den Standort in Frankfurt am Main. Vor 125 Jahren wurde im Frankfurter Stadtteil Höchst von den Farbwerken Hoechst, einer der Ahnen der heutigen Sanofi-Aventis, das erste Medikament auf den Markt gebracht, das schmerzstillende und fiebersenkende Antipyrin®. Wieviel "Hoechst" steckt heute im Sanofi-Aventis-Konzern?
Peter Guenter ist sich sicher: Die Zeit der Massenprodukte bei Arzneimitteln ist vorüber.
Guenter: Sehr viel. Insgesamt beschäftigt Sanofi-Aventis in Deutschland etwa 10 000 Mitarbeiter, davon allein etwa 8000 in Frankfurt. Der Industriepark Höchst ist zusammen mit Montpellier in Frankreich unser größtes Forschungszentrum. Dort arbeiten 1900 Leute, ganz überwiegend Akademiker, in der Grundlagenforschung und in der Metabolismus-Forschung.
Ärzte Zeitung: Und Hightech-Produktion findet auch in Frankfurt-Höchst statt. Apidra®, das kurzwirksame Insulinanalogon wird dort ebenso hergestellt wie das langwirksame Lantus®, das noch von der Hoechst AG entwickelt wurde.
Guenter: Ja, das ist eine Erfolgsgeschichte. In Höchst wird der komplette weltweite Bedarf von Lantus® hergestellt, das synthetische Insulin ebenso wie die Pens zur Injektion. Die gesamte Wertschöpfungskette ist in Höchst angesiedelt.
Ärzte Zeitung: Mit wie vielen Mitarbeitern?
Guenter: Mit insgesamt 1500 Mitarbeitern für alle Insulinpräparate.
Ärzte Zeitung: Wird Ihnen da nicht bange, wenn Sie an das IQWiG denken, das sich mit der Nutzenbewertung von langwirksamen Insulinanaloga wie Lantus® beschäftigt?
Guenter: Lantus® ist weltweit anerkannt und wird in nationalen und internationalen Leitlinien empfohlen. Wenn Sie mit Patienten über das Insulinanalogon sprechen, dann hören Sie Kommentare wie "Es hat mein Leben verändert. Es ist so viel besser, als die vorherige Behandlung". Wir haben dem IQWiG Studiendaten eingereicht, die die Vorteile klar belegen. Wir hoffen, dass das IQWiG diese sehr schlagkräftigen wissenschaftlichen Argumente im Interesse der Patienten berücksichtigt. Außerdem sollte, wie bereits gesagt, die Bedeutung von Lantus® für den Standort Deutschland nicht unterschätzt werden.
Ärzte Zeitung: Bleiben wir gleich bei den Ärzten und Patienten. Was können diese von neuen Arzneimitteln von Sanofi-Aventis erwarten? Die Pipeline ist mit 113 Kandidaten gut bestückt, davon befinden sich etwa die Hälfte in den klinischen Phasen IIb und III, also den letzten Phasen bevor der Zulassungsantrag gestellt wird. Wenn wir mal die am weitesten fortgeschrittenen Präparate betrachten, was sind da für Sie besonders interessante Innovationen?
Guenter: In den letzten Jahren ist es sehr schwierig geworden, Innovationen auf den Markt zu bringen. Dennoch würde ich zwei herausgreifen mit besonders hohem Innovationspotenzial: Eplivanserin, zur Verbesserung der Fähigkeit durchzuschlafen, und Multaq® gegen Vorhofflimmern.
Ärzte Zeitung: Für Patienten mit Vorhofflimmern ist schon lange kein neues Medikament mehr auf den Markt gekommen.
Guenter: Multaq® mit dem Wirkstoff Dronedaron ist die erste Innovation auf diesem Gebiet seit 20 Jahren. Und fairerweise muss man sagen, dass die existierenden Behandlungsoptionen nicht zufriedenstellend sind. Ich weiß, wovon ich spreche. Wir bieten ja selbst Amiodaron (Cordarex) an, ein Medikament, das durch die Nebenwirkungen in seinem Einsatz limitiert ist. Das besondere an Multaq® ist, dass wir nicht nur Daten zu den antiarrhythmischen Effekten vorgelegt haben, sondern mit der ATHENA-Studie auch zu den Outcomes. In der Studie wurde das Präparat mit Standardtherapie verglichen. Unter Dronedaron war der kombinierte primäre Endpunkt aus kardiovaskulärer Hospitalisierung oder Tod jeglicher Ursache im Vergleich zu Placebo statistisch signifikant um 24 Prozent reduziert. Eine weitere Analyse zeigte einen signifikanten Rückgang der Schlaganfallrate um 34 Prozent. Als wir diese Daten mit Kardiologen diskutierten, waren sie beeindruckt. Wir gehen davon aus, dass dieses Produkt einen völlig neuen Standard in der Behandlung von Vorhofflimmern setzen wird.
Ärzte Zeitung: Wann werden Sie es auf den Markt bringen?
Guenter: Voraussichtlich im Sommer nächsten Jahres, das hängt natürlich von den Zulassungsbehörden und dem vom weiteren Fahrplan des Zulassungsverfahrens ab.
Ärzte Zeitung: Wie sieht es in ATHENA mit unerwünschten Nebenwirkungen aus?
Guenter: Im Studienprogramm zum Vorhofflimmern hat sich Multaq® als sehr gut verträglich erwiesen. Viele der von anderen Antiarrhythmika bekannten Nebenwirkungen wurden überhaupt nicht beobachtet. Im Gegensatz zu älteren Antiarrhythmika konnte Multaq® auf der Nutzenseite einen deutlichen Vorteil gegenüber den Nebenwirkungen zeigen.
Ärzte Zeitung: Die zweite Innovation...
Guenter: ...Eplivanserin ist ein 5-HT2A-Rezeptor-Antagonist gegen Schlaflosigkeit. Er verbessert die Fähigkeit, durchzuschlafen, aber ganz ohne die typischen negativen Nachwirkungen der klassischen Hypnotika. Angesichts der Tatsache, wie viele Menschen Medikamente zum Schlafen benutzen ist es erschreckend, dass Schlafprobleme oft nicht wirklich ernst genommen werden. Dabei sind sie nicht nur mit einer geringeren Produktivität am Arbeitsplatz, sondern auch mit einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität verbunden. Wir rechnen mit der Einführung von Eplivanserin Anfang 2010.
Ärzte Zeitung: Würden Sie bei den beiden genannten Produkten von einem Durchbruch sprechen?
Guenter: Ganz klar ja. Es gibt so viele Krankheiten, die sich noch nicht ausreichend behandeln lassen. Sowohl für die Patienten als auch die Forschung und Entwicklung von Sanofi-Aventis ist es wichtig, dass wir von Zeit zu Zeit solche Erfolge erzielen, zumal es immer größere Anstrengungen erfordert, Innovationen zu entwickeln und auf den Markt zu bringen.
Ärzte Zeitung: In welche Richtung bewegt sich die Pharmaforschung?
Guenter: Wir werden in Zukunft unsere Produkte viel stärker auf bestimmte Patientengruppen fokussieren müssen. Die Frage ist, können wir ein Präparat statt für 100 Prozent der Patienten auf eine Subgruppe von zum Beispiel 50 Prozent zuschneiden, wenn wir dadurch die Rate der Nebenwirkungen von zehn auf drei Prozent herunter bringen können. Die Zukunft liegt in einem sehr viel klareren Patientenprofil für unsere Produkte. Wenn wir sie einsetzen können beim richtigen Patienten zur richtigen Zeit und zum richtigen Preis, dann haben wir eine Win-win-Situation für die Patienten, die Kostenträger und natürlich auch für uns. Ich glaube, die Zeit der Massen-Produkte ist vorüber.
Ärzte Zeitung: Bedeutet das nicht höhere Preise? Schließlich sind die Forschungskosten für Massenprodukte deutlich günstiger?
Guenter: Der Preis, der für ein Produkt verlangt wird, muss für beide Seiten stimmen, das heißt ob der angemessene Preis hoch oder niedrig ist, hat für mich nur relative Bedeutung. Es gibt zwei Methoden den Preis zu definieren, da ist einmal eine transparente, auf internationalen Standards beruhende Kosten-Nutzen-Bewertung. Da gibt es in Deutschland noch Defizite, sowohl was die Transparenz als auch was die Methoden angeht. Der andere, zweite Weg, ist mehr ökonomisch geprägt. Das Investment muss sich für den Arzneimittelhersteller bezahlt machen, der Preis muss genügend Benefit bringen, um künftige Investitionen zu sichern. Man braucht eine Preisfindung, die für die Kostenträger und die Pharmaindustrie tragbar ist.
Das Gespräch führte Bertold Schmitt-Feuerbach
Zur Person
Peter Guenter ist Geschäftsführer für den Bereich Marketing und Vertrieb (Commercial Operations) bei Sanofi-Aventis Deutschland.
Der gebürtige Belgier startete 1986 als Pharmareferent ins Berufsleben. Zuletzt war er weltweiter Leiter Business Management and Support von Pharmaceutical Operations bei Sanofi Aventis. Davor war er zuständig für die Region Nordeuropa.
Seit 125 Jahren Standort Frankfurt-Höchst
1863 gründen Carl Meister, Eugen Lucius und Ludwig Müller in Höchst am Main eine Fabrik zur Herstellung von Teerfarbstoffen, die Farbwerke Hoechst. Der Chemiker Adolf Brüning, ab 1865 Teilhaber, fünf Arbeiter und ein Kontorist bilden die erste Belegschaft. Das erste Produkt ist Fuchsin, ein rotvioletter Farbstoff.
1880 wird das Unternehmen in die Aktiengesellschaft "Farbwerke vorm. Meister Lucius & Brüning" umgewandelt. Acht Jahre später erfolgt der Gang an die Börse.
1883 beginnt schließlich mit dem fiebersenkenden und schmerzstillenden Antipyrin die Herstellung von Arzneimitteln.
1923 erhält Hoechst die erste Lizenz zur Herstellung von Insulin in Deutschland.
1999 fusioniert Hoechst mit dem französischen Chemie- und Pharmakonzern Rhône-Poulenc zu Aventis.