EU-Datengesetz
Industrie moniert enges Korsett für Krebsvorsorge und autonomes Fahren
Mit dem Datengesetz will die EU das große Rad bei der sicheren und verbraucherfreundlichen Datennutzung drehen. Vor allem die Digitalindustrie warnt vor einem Überdrehen der Stellschrauben.
Veröffentlicht:Brüssel. Margrethe Vestager, Exekutiv-Vizepräsidentin für das Ressort „Ein Europa für das digitale Zeitalter“ in der EU-Kommission, hat am Mittwoch vehement für den Data Act geworben. Dabei handelt es sich um das Datengesetz, das die Kommission in ihrer wöchentlichen Runde am Vormittag eingetütet hat.
„Wir wollen Verbrauchern und Unternehmen noch mehr Mitspracherecht darüber einräumen, was mit ihren Daten geschehen darf, indem klargestellt wird, wer zu welchen Bedingungen Zugang zu den Daten hat“, sagte Vestager. „Dies ist ein zentraler Digitalgrundsatz, der zur Schaffung einer robusten und fairen datengesteuerten Wirtschaft beitragen und Leitsatz für den digitalen Wandel bis 2030 sein wird.“
Mit diesem Europäischen Datengesetz möchte sie einen Rechtsrahmen schaffen, der den Austausch und die Nutzung von Daten zwischen Unternehmen und Behörden (B2G) und zwischen Unternehmen (B2B) verbessert beziehungsweise ermöglicht.
Das Datengesetz soll laut Kommission für Fairness im digitalen Umfeld sorgen, einen wettbewerbsfähigen Datenmarkt fördern, Chancen für datengesteuerte Innovationen eröffnen und Daten für alle zugänglicher machen. Es werde zu neuen innovativen Diensten und zu Wettbewerbspreisen für anschließende Dienste und Reparaturen vernetzter Objekte führen.
Dieser letzte horizontale Baustein der Datenstrategie der Kommission werde eine Schlüsselrolle beim digitalen Wandel und der Verwirklichung der digitalen Ziele für 2030 spielen, beteuert die Kommission.
Im Fokus stehen explizit Konzerne und andere Global Player, der zum Beispiel für die deutsche Medizintechnikbranche so prägende KMU-Sektor – kleine und mittelständische Unternehmen – soll von der Brüsseler Regelungswut weitgehend verschont bleiben, damit diese Firmen überhaupt am Markt überleben können.
Offene Dataenräume unerlässlich
Für Karl-Heinz Streibich, Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) und Co-Vorsitzender der Plattform Lernende Systeme, sind europaweite Regeln zur gemeinsamen Datennutzung eine wichtige Voraussetzung, um das Innovationstempo zu erhöhen. „Mithilfe von Künstlicher Intelligenz entstehen aus den Daten unserer digitalisierten Welt zukunftsfähige Produkte und Dienstleistungen, etwa für das autonome Fahren oder die Krebsvorsorge“, verdeutlicht er im Gespräch mit der Ärzte Zeitung.
Allerdings verfüge kaum ein Unternehmen allein über die notwendigen Daten. Damit KI ihre Innovationskraft entfalten könne, seien offene Datenräume unerlässlich, in denen Unternehmen, Wissenschaft und Behörden ihre Daten sicher teilen. Dabei brauche jeder Datenraum sein eigenes passgenaues Datenschutzgesetz, so Streibich.
„Pauschale Datenschutzlimits sind oft hinderlich. Auch eine Pflicht zum Bereitstellen ihrer Datenschätze kann gerade für Mittelständler von Nachteil sein. Das europäische Datengesetz muss den schmalen Grat zwischen Hemmschuh und Motor für unsere Innovationsleistung meistern“, schreibt er der Schaltzentrale in Brüssel ins Lastenheft.
Bitkom: Wettbewerbsfähigkeit im Blick behalten!
Mit dem Data Act sollen unter anderem der Datenaustausch zwischen Unternehmen und von Unternehmen an die öffentliche Hand vorangebracht, neue Datenzugangsrechte bei vernetzten Produkten eingeführt sowie der internationale Datentransfer sicherer gemacht werden, wie Bitkom-Präsident Achim Berg in Erinnerung ruft.
„Der Data Act hat Auswirkungen, die weit über die Digitalbranche hinausgehen und alle Branchen und Sektoren berühren. Daten spielen in der Produktion, aber auch bei Dienstleistungen aller Art eine derart große Rolle, dass sie über die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen und deutschen Wirtschaft entscheiden. Der Data Act muss so gestaltet werden, dass er die europäische Datenwirtschaft auf Augenhöhe mit den weltweit führenden Digitalstandorten bringt“, reklamiert Berg für den deutschen Digitalverband.
Die Digitalwirtschaft begrüße das Ziel des Data Act, das Datenteilen voranzubringen, die Datenverfügbarkeit zu stärken und so die Grundlagen einer leistungsfähigen Datenwirtschaft zu legen. Jetzt komme es auf die Ausgestaltung an – und darauf, die unterschiedlichen Interessen so auszutarieren, dass von einem Datenaustausch alle profitieren. Welche Regelungen tatsächlich notwendig sind, um den Datenaustausch zu befördern und, ob sie branchenspezifisch unterschiedlich oder für alle gleich ausgestaltet werden sollten, sei im weiteren Verfahren zu diskutieren.
Kritisch sehe Bitkom die vorgesehenen Eingriffe in die Vertragsfreiheit zwischen Unternehmen. So sei unter anderem ein Verbot bestimmter Regeln in Standardverträgen für das Datenteilen vorgesehen. Bei der Weitergabe von Unternehmensdaten an die öffentliche Hand müsse nachgebessert werden, um die Prinzipien der Marktwirtschaft zu erhalten. Verbesserungsbedarf bestehe auch bei der Frage, wie man Geschäftsgeheimnisse unter den Bedingungen einer Pflicht zum Datenteilen schützen kann.
Skepsis gegenüber neuen Kompetenzen für die Kommission
„Skeptisch sehen wir zudem die geplanten neuen Kompetenzen der EU-Kommission zur Vorgabe von Standards für Cloud-Dienste und Datenräume. Bei diesen jungen Märkten besteht die reale Gefahr, dass Wettbewerb und damit auch Innovation in Europa ,wegstandardisiert‘ werden.
Überregulierung droht zudem bei internationalen Datentransfers – hier gibt es schon laufende Initiativen wie die aktuellen Verhandlungen zwischen der EU und den USA, um Lösungen für potenzielle Rechts- und Interessenkonflikte zu finden.
In Deutschland sollten wir das geplante nationale Datengesetz sowie weitere sektorale datenpolitische Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag unbedingt daraufhin prüfen, ob sie noch erforderlich sind – oder nicht sogar womöglich in Widerspruch zum Data Act stehen“, appelliert Berg an die Verantwortlichen auf europäischer wie nationaler Ebene.
Besondere Belange der Unfallanalytik
Das europäische Verkehrspolizeinetzwerk ROADPOL, die Europäische Vereinigung für Unfallforschung und Unfallanalyse EVU und der Fahrzeugprüfer DEKRA fordern sektorenspezifische Vorgaben zur Datennutzung im Automobilbereich.
Für sie sei entscheidend, wie es in einer Mitteilung vom Mittwoch heißt, dass diese Regelungen auch den Zugriff auf Daten abdecken, die für hoheitliche Tätigkeiten wie Unfallanalytik, Fahrzeugprüfung und Strafverfolgung benötigt werden.
Datentreuhändermodelle für die Gesundheitswirtschaft
Aus Sicht des ZVEI, des Verbandes der Elektro- und Digitalindustrie, der auch die Interessen der Elektromedizinunternehmen vertritt, müsse auch bei der Weitergabe von Daten zu jeder Zeit sichergestellt werden, dass Geschäftsgeheimnisse nicht weitergegeben und von Dritten abgegriffen werden. Wie dies gewährleistet werden könne, zeigten bereits die Unternehmen der Elektro- und Digitalindustrie.
Sie böten heute bereits sektorspezifische Lösungsbausteine an, die das sichere Teilen von Maschinendaten über Teilmodelle der Verwaltungsschale ermöglichen. Ein anderer Weg seien Datentreuhändermodelle im Bereich der Gesundheitswirtschaft.