Medikation fürs Pflegeheim

Plattform oder KIM – was macht weniger Arbeit beim E-Rezept für Patienten im Heim?

Während alle Welt auf die ePA-Einführung blickt, läuft im Hintergrund bei der gematik der Entscheidungsprozess, wie in Zukunft E-Rezepte für Pflegeheim-Patienten besser als bisher organisiert werden können. Jetzt heißt es: Sichere Mail oder Plattform? Die Antwort könnte darüber entscheiden, ob der Prozess in der Praxis zukünftig endlich besser läuft oder nicht.

Hauke GerlofVon Hauke Gerlof Veröffentlicht:
Kommt ein Patient direkt in die Apotheke, ist das Einlösen eines E-Rezepts kein Problem – entweder über die App oder über die Gesundheitskarte oder mit dem Papierausdruck. Für Pflegeheime ist der Prozess dagegen hoch komplex. Das macht es auch für Praxen komplizierter.

Kommt ein Patient direkt in die Apotheke, ist das Einlösen eines E-Rezepts kein Problem – entweder über die App oder über die Gesundheitskarte oder mit dem Papierausdruck. Für Pflegeheime ist der Prozess dagegen hoch komplex. Das macht es auch für Praxen komplizierter.

© Jens Kalaene/dpa/dpa-tmn

Berlin. Digitalisierung, wie sie nicht sein sollte: Der Umgang mit E-Rezepten in der Versorgung von Patienten in Pflegeheimen ist eines der großen Ärgernisse in Praxen, Pflegeheimen und Apotheken bei der Umsetzung, auch ein Jahr nach dem Start der E-Rezept-Pflicht noch. Hausärztinnen und Hausärzte, die ein Pflegeheim betreuen, können ein Lied davon singen, wie komplex die Vorgänge rund ums E-Rezept sind, weil neben Praxen, Apotheken und Patienten auch noch die Heime als Akteure mit einbezogen werden müssen.

Es sind die Heime, die meist die Anforderung auf ein Folgerezept in der Arztpraxis stellen, wenn ein Medikament, das ein Heimpatient dauerhaft nimmt, zur Neige geht. Und es sind die Heime, die das Rezept dann an eine Apotheke weiterreichen und das Arzneimittel abholen oder von der Apotheke in Empfang nehmen. Aber gerade die Pflegeheime sind bisher noch kaum in der Telematikinfrastruktur angekommen.

In jedem Heim läuft dieser Prozess wahrscheinlich vielhundertfach in jedem Quartal, ebenso in jeder heimversorgenden Praxis. Dabei ist auch noch zu beachten, dass die Regeln zwischen den Akteuren unterschiedlich sind, je nachdem, ob es einen Heimbelieferungsvertrag mit einer Apotheke gibt und ob der Patient oder die Patientin dem zugestimmt hat. Gibt es einen solchen Vertrag, können E-Rezepte für Heimpatienten von der Praxis auch direkt an die Apotheke übermittelt werden. Die direkte Übermittlung, die vor allem im Heim viel Arbeit spart, ist für den Arzt allerdings immer mit dem Risiko verbunden, dass es sich um eine – verbotene – Zuweisung gegen Entgelt handeln könnte, nämlich genau dann, wenn ein Patient dem Vertrag nicht zugestimmt hat.

PDF-Ausdrucke von E-Rezepten per Fax ins Heim

Die Segnungen der Digitalisierung sind bei der Arzneimittelversorgung von Patienten in Heimen noch nicht wirklich angekommen. Von IT-Fachleuten, Ärzten und Apotheken ist zu hören, dass die unterschiedlichsten Wege gesucht werden, um den Einlöseprozess für die E-Rezepte rationell zu gestalten: Teilweise würden PDF-Ausdrucke der E-Rezepte ans Heim gefaxt, damit die Rezepte eingelöst werden können, teilweise werden elektronische Gesundheitskarten (eGK) bei Patienten eingesammelt und dann auf Tour in die Apotheke genommen, um dort das Einlösen der Rezepte zu ermöglichen, heißt es.

Die Erleichterung durch das E-Rezept, das auch ohne persönlichen Kontakt zwischen Patient und Arzt oder Ärztin funktioniert, hält sich in Grenzen, obwohl das Rezept doch eigentlich digital auf den E-Rezept-Server hochgeladen wird und dort weiter verarbeitet werden könnte, ohne dass sich Patienten oder auch nur Papier oder eGK bewegen müssten.

Bis Juli müssen Pflegeheime in der TI sein

Das soll sich ändern. Zum einen schließen sich jetzt auch Alten- und Pflegeheime nach und nach an die TI an, berichtet die gematik auf Anfrage. Bis Juli ist der Anschluss verpflichtend. Zum anderen läuft gerade aktuell der Kommentierungsprozess für eine Spezifikation „KIM-Nachrichten für das E-Rezept“, mit der der Prozess vereinfacht und teilweise automatisiert werden soll.

Und genau daran hat sich jetzt eine Auseinandersetzung entwickelt, die nicht nur Programmierer in den Systemhäusern interessieren sollte: Werden Praxen stärker entlastet durch eine Lösung mit sicheren E-Mails über den Standard KIM (Kommunikation im Medizinwesen), über den bereits unter anderem eAU und Arztbriefe laufen, oder über eine Plattformlösung?

Aufruf zur Beteiligung

Der frühere gematik-Mitarbeiter und jetzige IT-Systemberater Mark Langguth hat gerade auf der Kommunikationsplattform LinkedIn einen Aufruf gestartet, dass sich möglichst viele Leistungserbringer, also Ärzte, Pflegeheime/Pfleger und Apotheker in der Kommentierungsphase bei der gematik für eine Plattformlösung einsetzen, weil nur so alle Vorteile der Digitalisierung in der Praxis ankämen. Die Lösung über KIM-Nachrichten sei hingegen lediglich die Übertragung des alten Bestellprozesses in digitale Form, statt diesen Prozess komplett neu zu denken und zu vereinfachen.

Was sind die Unterschiede der beiden Verfahren?

Bestellprozess über sichere Mail: Für die KIM-Lösung, so die Idee der gematik, schickt die Pflegeeinrichtung je Patient und je benötigtem Medikament eine sichere E-Mail an die Arztpraxis, die den Patienten oder die Patientin betreut. Die KIM-Nachricht enthält die Rezeptanforderung in strukturierter Form und kann nach dem Spezifikationsvorschlag der gematik vom Praxisverwaltungssystem (PVS) automatisch verarbeitet und ein passendes E-Rezept erstellt werden, das ärztlicherseits dann unterschrieben werden kann. Für jedes so erstellte Rezept – also für jedes einzelne verordnete Arzneimittel – schickt die Praxis eine KIM-Nachricht zurück an das Pflegeheim, auch dies ist nach den Plänen der gematik automatisierbar durch das PVS. Diese Mails werden vom Pflegeheim dann (weitgehend automatisiert durch die Heimsoftware) einzeln weitergeleitet an die versorgende Apotheke, die wiederum den Empfang und die Verfügbarkeit des rezeptierten Arzneimittels dem Heim quittiert – auch hier wieder für jedes Arzneimittel eine KIM-Mail. Der Umweg über das Heim kann bei einem vorliegenden Heimbelieferungsvertrag auch gespart werden. In diesem Fall geht das E-Rezept direkt an die heimversorgende Apotheke.

Langguth kritisiert an dieser Lösung zum einen, dass der KIM-Dienst nicht immer stabil laufe und es vorkomme, dass eine Nachricht sogar Tage unterwegs sei. Die gematik weist dies zurück: „Eine häufige Verzögerung oder fehlende Zustellung von KIM-Nachrichten können wir nicht bestätigen“, heißt es auf Anfrage. Die Zustellung von KIM-Nachrichten erfolge im Regelfall in wenigen Sekunden, die Spezifikation sehe vor, dass für den Normalbetrieb ein Zeitfenster von maximal 10 Minuten möglich sei.

Ein weiterer Kritikpunkt Langguths ist es, dass für das anfordernde Heim via KIM nicht ersichtlich sei, ob die Nachricht in der Praxis überhaupt wahrgenommen wird, zum Beispiel falls gerade Betriebsurlaub ist. Es bleibe auch bei der Unsicherheit für die Praxis, ob bei einem eventuell vorliegenden Heimbelieferungsvertrag der Patient oder die Patientin zugestimmt hat oder nicht. Der Programmieraufwand für diese Lösung sei zudem extrem hoch, weil alle beteiligten rund 200 Primärsystemhersteller den Geschäftsprozess in ihrer Software programmieren müssten – und zwar so, dass die Interoperabilität der Anwendung bei allen Beteiligten gegeben bleibe.

Bestellprozess über eine Plattform: Man müsse sich einen solchen Bestellprozess vorstellen wie eine Bestellung über die Plattform Amazon, so Langguth. Auf dieser Plattform griffen alle Beteiligten – Kunden, Verkaufsunternehmen, Transportunternehmen – auf die Informationen auf einem Server zurück, anstatt jeweils über E-Mails miteinander Informationen auszutauschen. Beim E-Rezept für Pflegeheim-Patienten könne der E-Rezept-Server zu dieser Plattform werden, über die Anforderung, Ausstellung, Zuweisung und Dispensierung von Folgerezepten laufen würden. Die Primärsysteme von Ärztinnen und Ärzten, Apotheken und Pflegeheimen kämen über genormte Schnittstellen an die Informationen heran, die damit für alle verfügbar wären – und zu jedem Zeitpunkt identisch. Auf der Plattform könnte die Praxis ihre Verfügbarkeit anzeigen bzw. die Nichtverfügbarkeit, wenn die Praxis geschlossen ist; die Vorgänge rund um das E-Rezept könnten ebenfalls wie bei der KIM-Lösung bis auf die Signatur automatisch ablaufen; bei Vorliegen eines Heimbelieferungsvertrags, dem ein Patient zugestimmt hat, wird das Rezept automatisch an die betreffende Apotheke weitergeleitet, ohne Umweg über das Heim. Und falls die Apotheke, wie in manchen Heimbelieferungsverträgen vereinbart, auch das Medikationsmanagement übernimmt, kann diese sogar Folgerezeptanforderungen über die Plattform direkt an die Praxis übermitteln.

Diese Lösung, so Langguth, sei in Zukunft ebenfalls gut anwendbar für das BtM-Rezept oder bei Heil- und Hilfsmittelrezepten, weil auch hier jeweils mehrere Beteiligte mit Informationen zu versorgen seien – die über die „Drehscheibe“ E-Rezept-Server bereitgestellt würden. Langguth glaubt, dass die Umsetzung des Konzepts von der Spezifikation bis zum Roll-out etwa ein Jahr brauchen würde, nicht länger als die KIM-Lösung.

Die gematik gibt sich derweil offen: Das aktuell zu kommentierende „Feature“ mit der Lösung über KIM-Nachrichten sei „zusammen mit mehreren Industriepartnern erarbeitet und durch Arztpraxen, Apotheken und Pflegefachkräfte validiert“ worden. Die Anmerkungen Langguths lägen der gematik vor und würden nach Abschluss des Kommentierungsverfahrens „in gewohnter Weise“ betrachtet und bewertet. „Abschließende Aussagen“ könnten erst nach Ende des Verfahrens getroffen werden.

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