Börse
„Plötzlich ist Atomkraft grün und Rüstung in Ordnung“
Anleger müssen bei Investments in ESG-Fonds künftig stärker kontrollieren, ob deren Strategie noch ihren ethischen Prinzipien entsprechen. Denn der Krieg gegen die Ukraine verschiebt die Parameter und macht auch Kernkraft- und Rüstungs-Aktien akzeptabel.
Veröffentlicht:Neu-Isenburg. Anleger, die aus ethischen Gründen in ESG-Fonds investieren, müssen mehr denn je darauf achten, dass die in den Investmentvehikeln enthaltenen Aktien von Unternehmen auch tatsächlich mit ihren persönlichen Nachhaltigkeitskriterien im Einklang stehen.
Denn seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine werden die Kriterien für ethische Nachhaltigkeit neu definiert. „Plötzlich ist Atomkraft grün und Rüstung in Ordnung“, kritisiert Uwe Zimmer, Geschäftsführer der Investmentberatung Z-Invest in Köln.
Das Kürzel ESG steht für die englischen Begriffe Environmental, Social und Governance – Umwelt, Soziales und Verwaltung. Gemeint sind damit Konzerne, die sich einer umwelt- und klimaschonenden, sozialen Geschäftsführung verschrieben haben. Nachhaltigkeitsfonds verpflichten sich, ausschließlich in Aktien solcher Unternehmen zu investieren, die diese Kriterien erfüllen.
ESG-Fonds boomen
Bei Anlegern sind solche Fonds stark gefragt. Nach Angaben des Fondsverbands BVI ist das investierte Kapital in „Fonds mit Nachhaltigkeitsmerkmalen“ von 286 Milliarden Euro im ersten Quartal 2021 auf 463 Milliarden Euro Ende des vierten Quartals gewachsen.
Zu Beginn dieses Jahres hat die EU-Kommission neue Rahmenbedingungen für ESG-Fonds vorgelegt. Auf Druck Frankreichs wurden dabei auch Unternehmen für Nachhaltigkeitsfonds zugelassen, die Kernkraftwerke betreiben oder Uranbrennstoffe gewinnen und produzieren. Deutschland wiederum sorgte dafür, dass auch Betreiber, Ausrüster und Zulieferer von Gaskraftwerken als nachhaltig agierende Unternehmen eingestuft wurden.
Begründet wurde dies damit, dass Atom- und Gaskraftwerke keine oder deutlich weniger Kohlendioxid- Emissionen produzieren als Kraftwerke, die mit Kohle oder Öl betrieben werden. Dahinter stehen aber auch nationale Interessen: Frankreich produziert 71 Prozent seines Stroms in Kernkraftwerken. In Deutschland werden 50 Prozent der Heizwärme aus Erdgas gewonnen.
Unter Renditegesichtspunkten seien Investments in Gas-Aktien durchaus interessant. „Flüssiggas kann als Kraftstoff im Schwerlast- und Schiffsverkehr genutzt werden oder in der Industrie zur Erzeugung von Prozesswärme; Blockheizkraftwerke und Gasturbinen können damit Strom produzieren“, sagt Adrian Roestel, Leiter Portfoliomanagement bei Huber, Reuss & Kollegen in München.
Seit EU und Nato die Ukraine mit Waffenlieferungen und Sanktionen gegen Russland unterstützen, sei beim Thema ESG eine neue soziale Klassifikation hinzugekommen, sagt Zimmer. „Jetzt dreht sich die Diskussion auch um die Rüstungsindustrie“, da dieser nun von manchen Akteuren „eine höhere Wertschätzung für die wehrhafte Demokratie“ entgegengebracht werde. Resultat: „Es fließt mehr Geld in die Rüstung“.
Fonds kaufen nicht nur Aktien von Unternehmen. Sie investieren auch in neue Aktien, wenn Konzerne bei einer Kapitalerhöhung weitere Anteilsscheine ausgeben, um Geld für neue Produktionsstätten zu gewinnen. Zeichnet ein ESG-Fonds neue Aktien eines Unternehmens, stellen die Anleger des Investmentsvehikels somit dieses Kapital bereit.
Positionslisten sichten!
„Für Anleger bedeutet dies, dass jeder Einzelne bei der Kapitalanlage selbst entscheiden muss, welchen Weg er verfolgt“, sagt Zimmer. Um zu prüfen, ob die Investmentsstrategie eines Fonds noch mit den persönlichen Wertvorstellungen übereinstimmt, müssten Anlegern regelmäßig prüfen, welche Unternehmensaktien sich im Portfolio des Investmentvehikels befinden. Dazu reicht ein Blick auf die monatlichen Fact Sheets der Fondsgesellschaften, in denen die einzelnen Positionen aufgelistet sind. Dies gilt auch für börsennotierte Indexfonds.
Doch manche Indizes, die ESG-Fonds nachbilden seien inzwischen „Mogelpackungen“, weiß Andreas Enke, Vorstand der Geneon Vermögensmanagement in Hamburg. Ein Beispiel dafür sei der MSCI Europe ESG Screened, dem scheinbar nachhaltigen Pendant zum MSCI Europe, der die Wertentwicklung der 457 größten und mittelgrößten Unternehmen in 15 europäischen Industrieländern widerspiegelt und damit rund 85 Prozent des gesamten europäischen Börsenuniversums abdeckt.
„438 der 457 Unternehmen des klassischen Index befinden sich auch im ESG-ETF“, so Enke. „Es ist kaum anzunehmen, dass mehr als 95 Prozent der Unternehmen wirklich nachhaltig sind.“
Ehrlicher sind da ETF, die für Anleger aufgelegt werden, die genau in ethisch umstrittene Unternehmen investieren wollen. So hat etwa der US-Anbieter Global X diese Woche mit dem Global X Uranium UCITS einen neuen Indexfonds in Deutschland aufgelegt, der ausschließlich in Aktien von Unternehmen investiert, die Uran abbauen, raffinieren und transportieren oder die dafür nötige Ausrüstung bereitstellen.