Neues Konzept in Heidelberg
Schlechtes Klinikessen war gestern
Dezentralisierung statt einer zentral organisierten Küche und eigenes Service-Personal fürs Essen am Bett: Mit diesem Rezept sagt die Heidelberger Uniklinik mieser Krankenhaus-Verpflegung den Kampf an.
Veröffentlicht:HEIDELBERG. Dass Großkliniken keine Gourmetküche bieten können, wird von Patienten und Personal hingenommen.
Jedoch haben Patientenbefragungen am Universitätsklinikum Heidelberg über Qualität und Service der Verpflegung im Jahre 2011 Qualitätsmängel offenbart: "Zu wenig Auswahlmöglichkeiten, zu wenig Geschmack, vereinzelt auch schon erkaltet."
So bewerteten die Befragten Essens- und Servicequalität nach ihrer Entlassung in einer der größten und medizinisch renommiertesten Unikliniken Deutschlands.
Radikales Umdenken bei den Chefs
Die schlechten Noten haben zu einem radikalen Umdenken bei der Geschäftsführung und Pflegedirektion in der Verpflegungsphilosophie geführt: Die seit über 30 Jahren zentral organisierte Verpflegung wird wieder in die einzelnen Kliniken dezentralisiert, der Essens-Service am Bett einem eigenem Service-Personal übertragen.
Das dezentrale "Heidelberger Speisenversorgungssystem" (HEIS) wurde in den letzten drei Jahren in Pilotprojekten auf drei Stationsküchen mit eigenem Gastro-Servicepersonal erfolgreich getestet. Die Patienten zeigten sich mit der Verpflegung und dem Service hoch zufrieden.
Nun soll es schrittweise am gesamten Klinikum eingeführt werden, kündigte der Pflegedirektor am Heidelberger Uniklinikum und Geschäftsführer der Klinik Service GmbH Edgar Reisch an.
Die ersten Stationsküchen nach der Testphase werden noch in diesem Jahr an der Haut- und Frauenklinik in Betrieb genommen. Für die Klinikmitarbeiter und Besucher , die in den Kantinen und Caféterien essen, bleibt indes alles beim alten System.
Im Jahre 1983 wurde am Heidelberger Uniklinikum die Zentralküche auf dem Heidelberger Uni-Campus als innovative Einrichtung und bundesweit größte ihrer Art installiert.
Das "Cook and hold"- System hatte von Anfang an einen Geburtsfehler: Die Speisen verlassen heiß und in einwandfreier Qualität die Zentralküche und kommen kalt und/oder verkocht beim Patienten an.
"Stellen Sie sich ein Brokkoliröschen vor, das über mehrere Stunden bei zwischen 80 und 100 Grad Celsius warmgehalten werden muss", so der Bereichsleiter für die gastronomische Versorgung, Udo Krause zur "Ärzte Zeitung".
Dasselbe gelte für Nudeln, Gemüse oder Kartoffeln. Der Grund: lange Transportwege der Speisen und oft lange "Standzeiten" auf den Stationen.
So wurde das in Deutschland übliche Zentralversorgungssystem in Heidelberg endgültig infrage gestellt, als vor fünf Jahren ein neuer Zentralversorgungsumbau mit einem Kostenaufwand von 18 Millionen D-Mark anstand.
Angeregt durch dezentrale Versorgungsmodelle aus Holland und dem Vorreiter in Deutschland am Klinikum Hamburg-Eppendorf entschloss man sich zum "radikalen Umdenken", wie es Pflegedirektor Reisch formuliert.
40 bis 150 Patienten pro Einheit
Die Mahlzeiten in den 13 Kliniken auf dem Uni-Campus sollen künftig nicht mehr von der zentralen Küche fix und fertig geliefert werden, sondern in Stationsküchen bzw. -einheiten in den einzelnen Kliniken individuell von speziell ausgebildeten Serviceassistenten zubereitet werden, die auch den Gastronomieservice - von der Bestellaufnahme bis zum Abräumen und Spülen des Geschirrs - vollständig übernehmen. Pro Einheit werden laut Krause 40 bis 150 Patienten versorgt.
Die Hauptmahlzeiten werden von den Serviceassistenten nach Patientenwünschen und in Absprache mit der Pflege individuell mit Tiefkühlkostkomponenten zusammengestellt, in Kontaktöfen in der Stationsküche erwärmt und dann umgehend serviert.
Patienten können aus 21 Gerichten - neben Vollkost und leichter Vollkost aus einem breiten Angebot an Diätessen und Vegetarischem - wählen.
Die Machbarkeit wurde mit drei Pilot-Stationsküchen auf Privatstationen in der Medizinischen und Chirurgischen Klinik über zweieinhalb Jahre erprobt und die anfängliche Skepsis, die auch er gehabt habe, räumt Krause ein, sei vollständig gewichen.
Die Patienten verteilten bis dahin nie erreichte Traumnoten zwischen 1,4 und 1,6 für Essen und Service. Und: Das Pflegepersonal wird erheblich entlastet, selbst wenn es Zeiten für den entfallenen Essensservice abgeben muss.
Das Essen pro Patient wird mit dem neuen System zwar um 20 Prozent teurer, doch dem stehen Krause zufolge erhebliche Einsparungen gegenüber. Allein die Investitionskosten durch den geplanten zentralen Küchenneubau verringern sich durch die dezentrale Lösung um neun Millionen Euro, die Logistikkosten um über 90 Prozent.
Zudem fallen überflüssig herausgegebene Essen - bislang täglich 16 Prozent mehr als der Bedarf - weg. Die höheren Personalkosten im Servicebereich - 125 Kräfte müssen neu eingestellt werden - sollen durch die Einsparungen nach der Kalkulation der Uni-Verwaltung aufgefangen werden.
So geht man in Heidelberg davon aus, dass die Umstellung, die in sechs Jahren abgeschlossen sein soll, kostenneutral zu bewerkstelligen ist.
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