Neue IT-Schnittstelle
Schneller Datenaustausch bleibt Illusion
In Kürze soll es eine einheitliche IT-Schnittstelle für den Transfer von Praxisdaten von einer Arztsoftware zur anderen geben. Den großen Wunsch nach mehr Interoperabilität wird die neue Schnittstelle aber wohl nicht erfüllen.
Veröffentlicht:Noch einmal geschickt aus der Affäre gezogen. Diesem ersten Eindruck konnte man sich kaum verwehren, als Mitte Oktober der Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg), bekannt gab, dass es in Kürze eine neue einheitliche IT-Schnittstelle für den Ex- und Import von Praxisdaten geben soll.
Da zu den Mitgliedern des Verbands immerhin auch die führenden Anbieter von Arzt- und Klinikinformationssystemen zählen, wäre damit tatsächlich weitestgehend ein Standard geschaffen.
Und das alles, bevor der Gesetzgeber im angekündigten E-Health-Gesetz den Herstellern vielleicht eine Pflicht aufs Auge drückt, die ihnen wenig Gestaltungsspielraum lässt. Die aber vor allem wohl die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) überprüfen und in ihren Zertifizierungskatalog für die Praxissoftware übernehmen würde.
Ein erster Eindruck, der wahrlich trügt. Denn die Forderung, die da von den ärztlichen Standesvertretern in den Wochen zuvor immer wieder lauthals gestellt wurde, hieß: Es braucht mehr Interoperabilität!
Dabei wurde die Interoperabilität eben mit einem möglichst einfachen Austausch von Praxisdaten bei einem Systemwechsel gleichgesetzt. Sei es nun, weil ein Praxisnachfolger oder der bisherige Praxisinhaber selbst künftig mit einer anderen Arztsoftware arbeiten will.
Richtig ist dabei, dass es durchaus einige solcher Wechsler gibt. Laut bvitg sind es im Schnitt 5000 pro Jahr. Und die Kosten für die dazugehörige Konvertierung der Daten können schon einmal - je nach Datenvolumen und individuellen Gegebenheiten - bei 500 bis 1500 Euro liegen.
Individualität bleibt auch künftig ein Kostentreiber
Knackpunkt sind aber gerade die individuellen Gegebenheiten. Im Praxis-IT-Markt haben sich längst Standards für den Datentransfer beim Systemwechsel etabliert. Genau diese fasst der bvitg nun in der neuen Schnittstelle zusammen, wie der Verband selbst erklärte.
Damit nicht genug: Selbst die KBV stellte noch einmal klar, dass ihre eigene, definierte BDT 3.0-Schnittstelle bereits heute einen vollständigen Transfer aller Daten in einem Praxisverwaltungssystem einschließlich der Dateien in Fremdformaten ermögliche.
Denn vonseiten des Gesundheits-IT-Verbands hatte es die saloppe Bemerkung gegeben, die BDT-Schnittstelle übertrage nur GKV-Daten.
Was jedoch das Problem einer BDT- und auch der anderen von den IT-Herstellern etablierten Schnittstellen bleibt, ist, dass die individuellen Lösungen, die sich Ärzte entwickeln lassen, aber eben auch spezielle EDV-Lösungen für einzelne Selektivverträge oder einzelne Netzstrukturen, die Ärzten in der täglichen Arbeit Erleichterung verschaffen, nie über einen Standard abgedeckt werden können.
Hier wird es immer einen gewissen Zusatzaufwand bei der Datenkonvertierung geben - dieser wird auch mit einer einheitlichen Standardschnittstelle zusätzliches Geld kosten.
Eine in Gesetz gemeißelte Pflicht, den Standard anzubieten, hilft vielen Praxen also nicht. Gefragt ist vielmehr Verhandlungsgeschick. Denn im Normalfall gehört der Datentransfer zu den Aufgaben des Software-Anbieters, für den sich die Praxis neu entschieden hat.
Anbieter mit bester Leistung gewinnt
Wie in jedem Markt wird den Zuschlag jener Anbieter erhalten, der letztlich mehr Flexibilität und EDV-Leistung, aber eben auch einen guten Gesamtpreis bietet. In den meisten Fällen ist der Datentransfer dabei technisch durchaus ohne Mithilfe des Herstellers des Altsystems möglich.
Das Argument, dass Arztsoftware-Anbieter hier den Umstieg auf ein neues System erschweren, kann man so also auch nicht stehen lassen.
Völlig unter geht in der Diskussion aber, dass mit der Standard-Schnittstelle die eigentliche Interoperabilität - nämlich der Austausch von Daten zwischen Ärzten, etwa durch elektronische Arztbriefe (E-Arztbrief) oder das Nutzen gemeinsamer Patientenakten - überhaupt nicht angegangen wird.
Daran ändert selbst die Tatsache nichts, dass die neue "BVITGtransfer"-Schnittstelle etwa auch den Transfer von Medikationsdaten erleichtern soll. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass alle von der KBV zertifizierten Arztsoftware-Systeme seit September 2014 einen Direktzugang zum KV-eigenen Kommunikationskanal KV-Connect bereitstellen müssen.
Über diesen können zwar standardisierte E-Arztbriefe versendet werden. Doch die Ärzte benötigen für die Anwendung eine Anbindung an das sichere Netz der KVen.
Im stillen Kämmerlein bastelt jeder weiter vor sich hin
Und leider ist KV-Connect nicht die einzige Lösung für die elektronische Kommunikation von Praxis zu Praxis. Ausgerechnet die Player im Gesundheitswesen, die sich auf der einen Seite für Interoperabilität aussprechen, treiben auf der anderen Seite ihre Einzellösungen voran.
Da ist die KBV mit KV-Connect, die gematik arbeitet an ihrem KOM-LE (Kommunikation Leistungserbringer) für die elektronische Übermittlung von Arztbriefen oder Befunden innerhalb der Telematikinfrastruktur, und auch die Hausärzte arbeiten an einer eigenen Lösung. Den bereits vor Jahren vom Gesundheits-IT-Verband entwickelten VHitG-Arztbrief gibt auch noch.
Bei so vielen unterschiedlichen Kommunikationskanälen ist die gewünschte Interoperabilität alles andere als nah. Und damit sie wirklich kommt, hilft eigentlich nur eines: der Aufstand von unten - also von Anwenderseite her.
Denn wenn die Anwender für sich eine einheitliche Kommunikationslösung einfordern, wird der Markt sie bereitstellen. Ein Gesetz allein wird wenig helfen - bestes Beispiel dafür ist die Netzförderung, die trotz gesetzlicher Regelung nur schleppend vorankommt.