Gastbeitrag zur Digitalisierung
So soll(t)en Gesundheitsdaten besser geschützt werden
Unternehmen, die intensiv personenbezogene Daten erfassen, sollen künftig nicht gleichzeitig hochsensible Gesundheitsdaten verarbeiten und gewerblich nutzen dürfen – zumindest nicht ohne strenge Regulierung. Das sieht eine hessische Initiative im Bundesrat vor, wie unsere beiden Gastautorinnen berichten.
Veröffentlicht:Sie kennen Ihren Algorithmus nicht? Das macht nichts. Er kennt Sie. Algorithmen sind aus unserer digitalisierten Welt nicht mehr wegzudenken. Dabei handelt es sich um Formeln, die dazu dienen, nach vorher festgelegten Parametern bestimmte Bewertungen zu liefern. Solche Formeln sind keine Erfindung der Digitalisierung. Ärzte kennen sie zum Beispiel zur Berechnung des BMI. Wir teilen unser Gewicht durch unsere Körpergröße zum Quadrat und erhalten unseren persönlichen BMI-Wert. Dieser sagt uns, ob wir zu dick, zu dünn oder richtig gut in Form sind. Digitale Systeme arbeiten nach vergleichbaren Mechanismen. Je mehr Parameter man festlegt, desto passgenauer wird das Ergebnis.
Mit ihrem Drang, Daten zu erfassen, dringt die Digitalisierung dabei in immer neue Lebensbereiche ein. Ob Kontaktbörsen, Suchmaschinen, Navigationsdienste, Fitnesstracker oder Sprachassistenten. Überall werden personenbezogene Daten erfasst und damit die Algorithmen gefüttert. Internetnutzende sind dabei Kunden und Datenlieferanten zugleich.
Individuelle Scorings und Profile
Daten sind längst die kostbar(st)e Währung der Digitalisierung geworden und zahlreiche Unternehmen haben diesen Wert erkannt. Dabei bleibt es nicht beim Sammeln. Unsere Daten werden strukturiert und zu individuellen Scorings und Profilen zusammengeführt. Es liegt auf der Hand, dass man auf Basis dieser Daten auch neue Geschäftsfelder entwickelt und Algorithmen-basierte Kranken-, Lebens- oder KfZ-Versicherungen angeboten werden.
Schon heute können Unternehmen wie Google oder Amazon, aber auch Bezahlsysteme, wichtige Eckdaten unseres individuellen Gesundheitszustandes in Erfahrung bringen. Sie suchen im Internet nach bestimmten Krankheiten oder Medikamenten? Sie kaufen Zigaretten oder Alkohol? Sie fahren ein sportliches Auto oder betreiben gar eine gefährliche Sportart? Sie schlafen zu wenig und arbeiten zu viel? Mit diesem Wissen und einer riesigen Marktmacht drängen globale Technologiekonzerne immer tiefer in sensible Bereiche vor – auch in den medizinischen Gesundheitssektor.
Unternehmen aufspalten
Hessen hat deshalb eine Bundesratsinitiative beschlossen, die diese Entwicklung begrenzen soll. Unternehmen, die bereits intensiv personenbezogene Daten erfassen, sollen künftig nicht gleichzeitig hochsensible Gesundheitsdaten verarbeiten und gewerblich nutzen dürfen – zumindest nicht ohne strenge Regulierung. Gleichzeitig soll der Staat, sinnvollerweise die Europäische Union, die Möglichkeit erhalten, Unternehmen, die bereits solche Geschäftsmodelle betreiben, aufzuspalten.
Warum? Nicht, weil Hessen die Errungenschaften der Digitalisierung zurückdrehen will. Aber auch die Digitalisierung braucht einen starken, wirksamen Rechtsrahmen. Als Gesellschaft müssen wir deshalb Schutzbereiche definieren, um unsere Fundamente abzusichern. Zu diesen fundamentalen Werten gehören der Schutz sensibler persönlicher Daten und der Schutz unseres solidarischen Gesundheitssystems.
Bei einer Verknüpfung von sensiblen Gesundheitsdaten mit weiteren personenbezogenen Daten besteht die Gefahr, dass große Technologieunternehmen unsere Gesellschaft in gesundheitlich wertvolle und weniger wertvolle Menschen einteilen. Dies wäre eine Kommerzialisierung der menschlichen Würde. Das will Hessen verhindern, wenngleich es einen Rahmen geben soll, in dem anhand sinnvoller Regelungen eine gezielte Nutzung gesundheitsbezogener Daten unterstützt werden soll.
Die digitale Patientenakte ist ein Stück des Weges dahin und ein Beispiel für das kluge Zusammentragen von Daten. Einrichtungsübergreifend profitieren Medizinerinnen und Mediziner von einer erleichterten Informationsbeschaffung, Patientinnen und Patienten erhalten mehr Zeit für die persönliche Betreuung. Wenn wir aber zulassen, dass Unternehmen sensible Gesundheitsdaten dazu nutzen, zum Beispiel Algorithmen-basierte Kranken- oder Lebensversicherungen anzubieten, dann hat das nicht mehr den Charakter einer Risikoabsicherung, sondern einer digitalen sozialen Auslese. In der analogen Welt würden wir so etwas niemals zulassen. Warum also in der digitalen Welt?
Lucia Puttrich (CDU) ist hessische Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten
Prof. Dr. Kristina Sinemus (CDU) ist hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung