Klinikqualität-Experte im Interview

"Viele fühlen sich bedroht"

Seit über 20 Jahren ist die Geschäftsstelle Qualitätssicherung Hessen Ansprechpartner für Kliniken, wenn es um Qualität geht. Ihr Leiter Dr. Björn Misselwitz spricht im Interview mit der "Ärzte Zeitung" über aktuelle Herausforderungen – und die Zusammenarbeit mit Niedergelassenen.

Von Jana Kötter Veröffentlicht:
Klinikalltag: Mit dem Krankenhausstrukturgesetz werden Begriffe wie Pay for Performance oder planungsrelevante Qualitätsindikatoren verankert.

Klinikalltag: Mit dem Krankenhausstrukturgesetz werden Begriffe wie Pay for Performance oder planungsrelevante Qualitätsindikatoren verankert.

© M. Ernert

Dr. Björn Misselwitz

'Viele fühlen sich bedroht'

© GQH

Aktuelle Position: Dr. Björn Misselwitz ist seit 2001 Leiter der Geschäftsstelle Qualitätssicherung Hessen (GQH).

Werdegang: Er wurde 1965 in Reutlingen geboren und studierte 1987-1994 Medizin in Mainz, 1995-1997 berufsbegleitend zusätzlich Gesundheitswissenschaften in Bielefeld. 1997 kam er als ärztlicher Mitarbeiter zur GQH.

Ärzte Zeitung: Stichwort Qualitätssicherung: Wo liegen aktuell die größten Herausforderungen?

DR. BJÖRN MISSELWITZ:  Das Krankenhausstrukturgesetz ist ganz klar die größte Herausforderung. Mit dem Gesetz hat Qualität im Krankenhaus eine neue Bedeutung bekommen, indem es Begriffe wie Pay for Performance oder planungsrelevante Qualitätsindikatoren rechtlich verankert. Unsere Arbeit könnte damit gar einen existenziellen Stellenwert bedeuten: Denn Hintergrund ist ja, dass aufgrund der Ergebnisse der externen Qualitätssicherung Krankenhäuser in Teilen oder gar in Gänze geschlossen werden sollen. Die andere große Herausforderung ist die sektorenübergreifende Qualitätssicherung. Eine tolle Idee, die uns schon lange beschäftigt – in der Umsetzung aber nicht einfach ist.

Sind diese Herausforderungen mit der Klinikreform zu bewältigen?

MISSELWITZ: Ich bezweifle, dass das gut funktionieren wird. Wenn ein Verfahren, das zur Unterstützung der Kliniken entwickelt wurde, dafür verwendet wird, den Druck etwa in Sachen Vergütung zu erhöhen, dann führt das zu Sorgen und entsprechenden Reaktionen in den Krankenhäusern. Viele fühlen sich in ihrer Existenz bedroht. Deswegen bezweifle ich, dass das Konzept in seiner jetzigen Planung zu dem gewünschten Ergebnis führt.

Was wäre eine Alternative?

MISSELWITZ: Das ist nicht einfach. Natürlich sollte Qualität eine wichtige Rolle spielen – auch bei Fragen der Vergütung. Allerdings müssen neue, explizit dafür entwickelte Instrumente gefunden werden. Das gilt auch für die Qualitätsindikatoren, die das IQTiG entwickeln soll. Aktuell sollen bereits vorhandene, aber nicht primär dafür geschaffene Indikatoren einfach übertragen werden, auch weil man Zeit sparen möchte. Das wird auf Gegenwehr stoßen. Angeblich stehen erste Juristen bereits parat, um einzugreifen, wenn Abteilungen aufgrund "schlechter" Qualität geschlossen werden sollen.

Gerade bei planbaren Eingriffen variieren die Fallzahlen erheblich. Können kleine Häuser mit geringen Patientenzahlen denn die gleiche Qualität liefern wie große?

MISSELWITZ: Es gibt kleine Häuser, die schaffen das. Aber man muss das Gesamte anschauen, und da haben wir bei kleinen Häusern eine enorme Spannbreite. Daher kann man nicht sagen, dass kleine Häuser automatisch schlechte Qualität liefern. Aber statistisch gesehen haben Sie als Patient in einem kleinen Haus ein größeres Risiko, schlechter versorgt zu werden, als in einer Klinik mit hohen Fallzahlen.

Die andere Herausforderung, die Sie angesprochen haben, ist die sektorenübergreifende Qualitätssicherung. Wieso hapert es hier?

MISSELWITZ: Dazu gibt es verschiedene problematische Aspekte. Natürlich ist die Trennung zwischen ambulantem und stationärem Sektor in Deutschland traditionell sehr stark. Der erste Schritt ist daher eine sektorengleiche Qualitätssicherung. Das heißt, dass Eingriffe, die sowohl ambulant als auch stationär durchgeführt werden können, nach gleichen Kriterien qualitätsgesichert werden. Das gibt es schon, ist in der Praxis aber sehr schwierig, etwa bei der Finanzierung der Maßnahmen. Während diese bei den Kliniken über die DRG realisiert ist, gibt es im ambulanten Bereich bisher keine einheitliche Finanzierung. Politisch schwierig ist – und das ist der größte Hinderungspunkt –, dass jede Seite die Sorge hat, dass es eine Verschiebung der Leistungen geben wird. Jeder hat Angst, dass die eigenen Daten gegen ihn verwendet werden. Diese Sorge ist auch der Selbstverwaltung auf beiden Seiten geschuldet.

Wie kann dieses Denken aufgelöst werden?

MISSELWITZ: Das kann nur geschehen, wenn die starren Sektorengrenzen in allen Bereichen gelockert werden – wie es in anderen Ländern ja schon üblich ist. Für unser System ist das perspektivisch eine Herausforderung.

Inwiefern kann der stationäre Sektor in Sachen Qualitätssicherung als Vorbild dienen?

MISSELWITZ: Für den niedergelassenen Bereich gibt es mittlerweile sehr gute Qualitätsmanagementsysteme. Der Unterschied zum stationären Sektor ist aber, dass die Qualitätssicherung in Kliniken sehr datengestützt ist, im niedergelassenen Bereich ist das noch selten. Was man deutlich sagen muss, ist, dass die Ergebnisse der Kliniken mittlerweile transparent im Rahmen jährlicher Berichte veröffentlicht werden. Da ist der Krankenhausbereich einen Schritt weiter.

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