Welttag der Patientensicherheit
Was nötig ist, um die Patientensicherheit zu erhöhen
Die WHO schlägt Alarm: Jede Minute kämen fünf Menschen ums Leben, weil sie fehlerhaft behandelt wurden. Das deutsche „Aktionsbündnis Patientensicherheit“ setzt derweil auf Fehlermeldesysteme in Praxen und Kliniken. Und was schlagen Ärzte vor?
Veröffentlicht:BERLIN. Anlässlich des ersten „Welttags der Patientensicherheit“ am 17. September hat die WHO eine hohe Zahl von Behandlungsfehlern beklagt. Millionen Menschen kämen dadurch jedes Jahr zu Schaden, hieß es aus Genf, dem Sitz der WHO.
Es sei aber inakzeptabel, dass Menschen, die Gesundheitseinrichtungen zwecks Heilung aufsuchten, dort zu Schaden oder sogar zu Tode kämen. Jede Minute stürben weltweit fünf Menschen, weil sie ambulant oder stationär fehlerhaft behandelt worden seien, sagte WHO-Generaldirektor Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus.
Große Bandbreite an Behandlungsfehlern
Notwendig sei eine Kultur der Patientensicherheit. Dazu gehöre ein Umfeld, in dem über Fehler gesprochen werden könne. Nur dann lasse sich etwas daraus lernen.
Weltweit erlitten 40 Prozent der Patienten bei ambulanten Behandlungen Schäden, so die WHO. Im Krankenhaus seien es zehn Prozent.
Allein in den rund 150 Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen kämen jedes Jahr schätzungsweise 2,6 Millionen Menschen durch fehlerhafte Behandlung ums Leben. Die Folgekosten gingen in die Milliarden.
Die vermeidbaren Fehler seien vielschichtig, hieß es. Mitunter erhielten Patienten die falsche Diagnose gestellt. Ein anderes Mal bekämen sie für sie ungeeignete Medikamente. Andere wiederum würden falsch bestrahlt oder infizierten sich im Verlauf einer Behandlung. Auch zahlreiche Falsch-Amputationen seien zu beklagen.
Maßnahmen für mehr Patientensicherheit zahlten sich aus – für die Patienten und in den Kostenstatistiken. In den US-amerikanischen „Medicare“-Kliniken etwa seien zwischen 2010 und 2015 durch Sicherheitsmaßnahmen rund 28 Milliarden Dollar oder umgerechnet 25 Milliarden Euro eingespart worden.
Meldesysteme kommen zu selten zum Einsatz
Laut APS wurden allein in Deutschland 2018 mehr als 14.000 Behandlungsfehler-Vorwürfe gemeldet. Sowohl niedergelassene Ärzte als auch Kliniken seien nach dem Sozialrecht verpflichtet, Managementsysteme einzusetzen, um vermeidbare Fehler festzuhalten. Fehlermeldesysteme kämen aber bislang „nicht umfassend zum Einsatz“, oder aber Ergebnisse daraus würden nicht genügend ausgewertet, kritisierte das Bündnis.
Im Bereich der ambulanten Versorgung hätten Ärzte pro Jahr rund eine Milliarde Behandlungskontakte, rechnete das APS vor. Auswertungen von Fehlermeldungen aus der Praxis könnten heute jedoch nur auf wenige hundert Ereignisberichte zurückgreifen.
Im britischen Gesundheitssystem hingegen würden jährlich knapp 8000 Fehler in Hausarztpraxen verzeichnet, aus denen dann Rückschlüsse zum Ausbau der Patientensicherheit gezogen würden.
„Wir können Deutschland und Großbritannien sicherlich nicht eins zu eins vergleichen. Fest steht aber mit Blick auf diese Zahlen, dass hierzulande Behandlungsfehler nur unzureichend erfasst werden und uns damit eine Ressource für Verbesserungen fehlt“, sagte APS-Generalsekretär Hardy Müller.
Dabei seien gesetzliche Regelungen hierzulande eindeutig. Auch der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) verpflichte die Akteure im Gesundheitsbereich zu Qualitäts- und Risikomanagement sowie dendamitverbundenenFehlermeldesystemen.
Für den ambulanten Bereich unterstützt das APS das vom Innovationsfonds gestützte Projekt „CIRSforte“. Daran sind den Angaben zufolge momentan 184 Arztpraxen beteiligt. Nach zwei Befragungswellen lägen der Projektgruppe rund 250 Ereignisberichte vor. Diese legten offen, wo noch Qualitätsmängel zu beheben seien, sagte Müller.
Strukturelle Probleme oft Ursache für Fehler
Vielfach habe es Fehler bei Medikation, Labortest und in der Patientenidentifikation gegeben. „Aus den vorhandenen Ereignisberichten leiten wir Präventionsmaßnahmen ab, die dann zurück an die beteiligten Praxen gegeben werden“, sagte Müller.
Der Vorteil des breit eingesetzten Meldesystems liege darin, dass es mit hoher Beteiligung leichter werde, allgemeine von individuellen Fehlern zu unterscheiden. „Gerade aus Fehlern, die an verschiedenen Stellen immer wieder passieren, können wir lernen, denn ihnen liegt ein strukturelles Problem zugrunde.
Auch im stationären Bereich arbeitet das APS an der Weiterentwicklung einrichtungsübergreifender Fehlermelde- und Lernsysteme. Dahinter stecke die Idee, Informationen aus bereits an den Kliniken vorhandenen Systemen zusammenzuführen und strukturiert aufzuarbeiten, sagte APS-Vorsitzende Hedwig François-Kettner.
„Menschen machen Fehler. Entscheidend ist, dass wir eine Atmosphäre schaffen, in der auch über Behandlungsfehler offen gesprochen wird und Strukturen vorhanden sind, die es uns ermöglichen, aus Fehlern anderer zu lernen.“
Daher engagiere sich das APS in Projekten, die sich mit dem Fehlermanagement in der Medizin befassten.
GBA-Chef: Alle müssen Patientensicherheit im Auge behalten
Der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), Professor Josef Hecken, sagte, Patientensicherheit müsse in allen Bereichen und von allen Akteuren der Versorgung im Auge behalten werden.
„Dem GBA als Normgeber fällt hier die unverzichtbare Aufgabe zu, neue Therapieansätze vor der Einführung in die Regelversorgung auf Basis evidenzbasierter Kriterien auf ihre Sicherheit und auf ein positives Schaden-Nutzen-Verhältnis hin zu überprüfen.“ Das müsse auf Basis nachvollziehbarer, evidenzbasierter Kriterien passieren.
Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. Klaus Reinhardt, stellte klar, dass das Wohl des Patienten an erster Stelle ärztlichen Handelns stehe.
Dieser Grundsatz sei „so alt wie die Medizin selbst“. Zeit für das Gespräch mit den Patienten, für den interdisziplinären und interprofessionellen Austausch sowie für die Reflexion des eigenen Handelns trügen entscheidend dazu bei, Fehler zu vermeiden, so Reinhardt. „Diese Zeit fehlt jedoch häufig.“
Stattdessen arbeiteten Ärzte und andere Gesundheitsberufe am Limit, um die Folgen des Wettbewerbsdrucks und der Arbeitsverdichtung für die Patienten zu mildern. Notwendig sei ein klares Bekenntnis von Politik und Kostenträgern zu Patientensicherheit. Dazu gehörten dann aber auch „genauso klar erkennbare Konsequenzen für die Versorgung“.
Nötig seien zudem eine kontinuierliche Nachwuchsförderung in der Medizin wie auch die Finanzierung von Versorgungsstrukturen, die sich am tatsächlichen Behandlungsbedarf ausrichteten.
Viele Initiativen der Ärzteschaft
Reinhardt verwies auf zahlreiche Initiativen der Ärzteschaft, die eine größere Patientensicherheit zum Ziel hätten. Dazu gehörten Qualitätszirkel, Peer-Review-Verfahren, Konsile, Tumor-, Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen.
Auf institutioneller Ebene unterstütze das „Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin“, eine gemeinsame Einrichtung von BÄK und Kassenärztlicher Bundesvereinigung, die Qualitätssicherung in der ärztlichen Berufsausübung.
Wichtige Erkenntnisse für die Fehlerprävention würden zudem aus den Daten der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Ärztekammern gewonnen. Diese würden bundesweit erfasst und für Fortbildungen und Qualitätssicherungsmaßnahmen genutzt, so Reinhardt.
„Personalausstattung und Sicherheit hängen zusammen“
Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) betonte, die Sicherheit von Menschen mit Pflegebedarf – ob im Krankenhaus, im Pflegeheim, der ambulanten Pflege oder anderen Settings – hänge zu allererst von Qualifikation und Kapazität des Pflegefachpersonals ab. Studien hätten das wiederholt belegt. Hier dürfe es daher keine Abstriche geben, auch nicht aus ökonomischen Gründen.
Das Gesundheitssystem in Deutschland habe den Menschen und seine individuellen Bedürfnisse zunehmend aus dem Blick verloren. „Wir brauchen deshalb endlich einen Paradigmenwechsel hin zur Patienten- und Mitarbeiterorientierung“, sagte DBfK-Präsidentin Professor Christel Bienstein.
Der International Council of Nurses wies ebenfalls auf den Zusammenhang zwischen Patientensicherheit und einer ausreichenden Pflegepersonalausstattung hin: „Das sind zwei Seiten einer Medaille. Patientensicherheit lässt sich nicht erreichen, wenn keine angemessene Pflegepersonalausstattung sichergestellt wird.“
Streit um Personaluntergrenzen in Kliniken
In Deutschland tobt derweil ein Streit über die sogenannten Pflegepersonaluntergrenzen (PpUG) in Kliniken. Die Vorgaben sollen so ausgestaltet sein, dass genügend Fachpersonal auf „pflegeintensiven“ Stationen, darunter Intensivmedizin und Geriatrie, für Patienten bereitsteht. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und der GKV-Spitzenverband sehen die PpUG als Beitrag für mehr Patientensicherheit. Weil sich Kliniken und Kassen wiederholt nicht auf konkrete Vorgaben hatten einigen können, hat Spahn diese jeweils per Rechtsverordnung festgesetzt.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sieht die Vorgaben kritisch, da sie willkürlich seien und „am Bedarf“ vorbeigingen. DKG-Chef Dr. Gerad Gaß hatte im Interview mit der „Ärzte Zeitung“ von „Excel-Tabellen aus Berlin“ gesprochen.
Die Vorgaben setzten voraus, dass alle Krankenhausstationen in Deutschland gleich wären, was aber nicht der Fall sei. Es brauche daher eine am „tatsächlichen Bedarf ausgerichtete Personalbemessung“. Dazu würden DKG, Pflegerat und die Gewerkschaft Verdi bis Ende des Jahres ein alternatives Bemessungsinstrument für den Pflegeeinsatz in Kliniken vorlegen.
Das Institut verweist auf den Zwischenbericht zu seinem „Krankenhausbarometer 2019“. Dem Bericht zufolge geben 37 Prozent der befragten Kliniken an, schon Betten in den Intensivpflegebereichen gesperrt zu haben, weil sie fürchten, die Vorgaben zu unterlaufen.