Luftbelastung

Pneumologen kritisieren Grenzwerte für Fahrverbote

Zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Stickoxiden und Feinstaub in Konzentrationen, wie sie derzeit in Deutschland vorhanden sind, gibt es in der Wissenschaft unterschiedliche Positionen. Eine Gruppe von Ärzten sagt nun, es gebe keine belastbare Begründung für die geltenden Grenzwerte.

Katharina GrzegorekVon Katharina Grzegorek Veröffentlicht:
Wie steht es um die wissenschaftliche Begründung, die die aktuellen Grenzwerte für Feinstaub rechtfertigen? Lungenfachärzte äußern sich hierzu kritisch.

Wie steht es um die wissenschaftliche Begründung, die die aktuellen Grenzwerte für Feinstaub rechtfertigen? Lungenfachärzte äußern sich hierzu kritisch.

© PhotographyByMK / stock.adobe.com

BERLIN. Mehr als hundert Lungenspezialisten bezweifeln den gesundheitlichen Nutzen der aktuellen Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide (NOx). Sie sehen derzeit keine wissenschaftliche Begründung, die die Grenzwerte rechtfertigen würden, wie es in einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme heißt.

Verfasst haben die Stellungnahme Autoren um Professor Dieter Köhler, ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Erst Ende vergangenen Jahres hatte die DGP das Positionspapier „Atmen: Luftschadstoffe und Gesundheit“ veröffentlicht und aus diesem Anlass die Politik, Industrie und Bevölkerung aufgerufen, mehr für eine Verbesserung der Luftqualität zu unternehmen. Davon weicht die neue Fassung jetzt etwas ab.

Die Gruppe der Lungenfachärzte und klinischen Forscher bezieht sich nun unter anderem auf eine Untersuchung einer anderen Gruppe von Wissenschaftlern verschiedener deutscher Institute (meist Epidemiologen). Darin waren Krankheiten und Lebenserwartung von Regionen verglichen worden, die eine unterschiedliche Feinstaub- oder Stickoxidbelastung aufweisen. Die Untersuchung ergab ein für staubbelastete Gebiete erhöhtes Erkrankungs- und Mortalitätsrisiko.

Raucher nehmen viel mehr Feinstaub auf

In der Stellungnahme wird nun unter anderem kritisiert, dass die Studien zur Gefährdung durch Feinstaub und NOx auf epidemiologischen Daten beruhen aus denen sich keine Kausalität ableiten lasse. Es würden Regionen mit unterschiedlicher Staub- bzw. N0x-Belastung verglichen.

„Man findet mehr oder weniger regelhaft eine sehr geringe Risikoerhöhung in den staubbelasteten Gebieten, meistens nur um einige Prozent“, heißt es in dem Schreiben. Aus dieser Korrelation werde fälschlicherweise eine Kausalität suggeriert, obwohl es viel offensichtlichere Erklärungen für die Unterschiede gebe.

Außerdem werden in den Studien Störfaktoren, wie Rauchen, Alkoholkonsum und Bewegung, nicht ausreichend berücksichtigt. Auch weisen die Autoren darauf hin, dass Raucher, die durch den Zigarettenrauch viel mehr Feinstaub und NOx einatmen als Gesunde bei den derzeitigen Grenzwerten, wesentlich früher sterben müssten, wäre die Luftverschmutzung so riskant, wie es die Studien vermuten lassen.

Die Stellungnahme wurde an 3800 DGP-Mitglieder verschickt, teilte eine Sprecherin der Gesellschaft mit. 113 Fachärzte haben sie unterzeichnet. DGP, Deutsche Lungenstiftung und der Verband Pneumologischer Kliniken betrachten die aktuelle Stellungnahme als „Anstoß für notwendige Forschungsaktivitäten und eine kritische Überprüfung der Auswirkungen von Stickoxiden und Feinstaub, heißt es in einer Mitteilung auf www.lungenaerzte-im-netz.de.

Feinstaub-Debatte soll versachtlicht werden

Köhler betont in einem Rundschreiben an die DGP-Mitgliederr, mit den neuen Statement die Diskussion wieder auf eine wissenschaftsmethodologisch rationale Grundlage zurückführen und die Debatte versachlichen zu wollen.  „Leider werden zunehmend die wissenschaftlichen Methoden, insbesondere bei der Bewertung der Größenordnungen, verlassen und durch Ideologien ersetzt“, so Köhler.

Das habe jedoch nichts mit "der unverantwortlichen Manipulationen mancher Autohersteller bezüglich der Schadstoffwerte" zu tun.

Der Bundesverband der Pneumolgen und Beatmungs- und Schlafmediziner (BDP) kritisiert derweil, dass die Kritik an einem einzelnen Grenzwert das Thema verfehle und eine ernsthafte Diskussion über gesundheitliche Auswirkungen von Luftverschmutzung schwierig mache. Grenzwerte seien politische Kompromisse, die Risikogruppen, wie Kranke, Kinder und Schwangere schützten.

„Eine Bagatellisierung der Auswirkungen von Luftschadstoffen gefährdet die Bemühungen, Risiken und Gefahren von Luftverschmutzung zu minimieren!“ wird Dr. Frank Heimann, der Vorsitzende des BDP, zitiert.

Reaktionen aus der Politik

Eine erste politische Reaktion aus den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen folgte prompt auf die aktuelle Stellungnahme. "Die aktuelle Debatte ist nur ein Ablenkungsmanöver und chaotisiert die ohnehin schon unübersichtliche Lage bei den Fahrverboten", so Oliver Krischer, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender. In der Forschung gebe es einen breiten Konsens, dass Stickoxide auch schon im geringen Ausmaß schädlich sein und der Grenzwert eigentlich verschärft werden sollte.

Unterdessen hat das Bundesumweltministerium die geltenden Grenzwerte verteidigt. Die Gesetzgebung sei darauf ausgerichtet, dass alle Menschen überall und jederzeit die Außenluft problemlos einatmen könnten, sagte ein Sprecher von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) am Mittwoch in Berlin. Sie fußten auf einer „soliden wissenschaftlichen Basis“ und folgten der Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO.

 Dass Luftschadstoffe die Lebenszeit verkürzten und Krankheiten beförderten, sei wissenschaftlich unumstritten, erklärte der Sprecher. Es gehe bei den Grenzwerten um eine dauerhafte Belastung, nicht um Einzelereignisse.

 Eine Sprecherin von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) verwies auf die Aussage des Ministers, der die Stellungnahme der Ärzte einen „wichtigen und überfälligen Schritt“ genannt hatte, um „Sachlichkeit und Fakten“ in die Debatte zu bringen.

Eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums von Jens Spahn (CDU) sprach von „ernst zu nehmenden Stimmen“. Die stellvertretende Regierungssprecherin Martina Fietz sagte, die Bundesregierung habe die Position der Mediziner „mit Aufmerksamkeit registriert“, alle Aspekte müssten beleuchtet werden.  (Mitarbeit run und mit Material der dpa)

Das sind die aktuellen Grenzwerte

Feinstaub: Für PM100 beträgt der Tagesgrenzwert 50 µg/m3 . Er darf nicht öfter als 35 mal im Jahr überschritten werden. Der zulässige Jahresmittelwert beträgt 40 µg/m3. Für die noch kleineren Partikel PM2,5 gilt ein Zielwert von 25 µg/m3

Stickoxide: Der 1-Stunden-Grenzwert beträgt 200 µg/m3. Er darf nicht öfter als 18-mal im Kalenderjahr überschritten werden. Der Jahresgrenzwert beträgt 40 µg/m3.

Quelle: Umweltbundesamt: www.umweltbundesamt.de/ themen/luft/luftschadstoffe-im-ueberblick

Wir haben diesen Beitrag aktualisiert am 23.1.2019 um 15.45 Uhr und um 16.20 Uhr

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Streitpunkt Grenzwerte

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Verbesserung der Therapie

Oft passt der Inhalator nicht zum COPD-Patienten

Neuroinflammation

Gedächtnis von Kindern mit Asthma möglicherweise eingeschränkt

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Lecanemab ante portas

Neue Alzheimer-Therapie: Wo behandeln, wie abrechnen?

Gastbeitrag

HIV-Versorgung in Deutschland: Ein Erfolgsmodell in Gefahr

Sexuell übertragbare Infektionen

Doxy-PEP: Verlieren wir ein wichtiges Antibiotikum?

Lesetipps
Elektronische Rechnung

© Lila Patel / stock.adobe.com

Ab 1. Januar 2025

Pflicht zur E-Rechnung: Ein PDF-Reader reicht dafür nicht

MFA bei einer Koloskopie

© Kzenon/stock.adobe.com

Fachkräftebindung

MFA an die Arztpraxis binden: So machen es Gastroenterologen