"Cholesterin – der große Bluff"

Kardiologen kritisieren Sender ARTE wegen "gefährlicher Desinformation"

Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) geht mit dem deutsch-französischen Fernsehkanal ARTE hart ins Gericht, nachdem der Sender seinen Beitrag aus dem Vorjahr "Cholesterin – der große Bluff" zur besten Sendezeit ausgestrahlt hat.

Peter OverbeckVon Peter Overbeck Veröffentlicht:
Gefäßverengung durch Plaques. Vor allem das LDL-Cholesterin gilt als Risikofaktor, dass es zu solchen gefährlichen Ablagerungen kommt.

Gefäßverengung durch Plaques. Vor allem das LDL-Cholesterin gilt als Risikofaktor, dass es zu solchen gefährlichen Ablagerungen kommt.

© MAN AT MOUSE / Fotolia

NEU-ISENBURG. Auch wenn die wissenschaftliche Datenlage keinen Zweifel mehr daran zulässt, dass erhöhte Cholesterinspiegel in kausalem Zusammenhang mit der Entstehung von atherosklerotisch bedingten Gefäßerkrankungen steht, ist das Thema der "Cholesterinlüge" nicht totzukriegen. Und so nahm sich kürzlich der Sender ARTE erneut dieses Themas an, indem die Dokumentation "Cholesterin – der große Bluff" aus dem Jahr 2016 ausgestrahlt wurde.

Schon die Vorankündigung zur Sendung macht klar, in welche Richtung der Beitrag gehen soll. Ungeachtet der realen Studienlage wird der Zusammenhang zwischen der Höhe der Cholesterinspiegel und Ereignissen wie Herzinfarkt und Schlaganfall als hartnäckiges "Dogma" charakterisiert, das angeblich im Widerspruch zu den vorliegenden Studien stehe. Diese sprächen, so wird behauptet, "eine eindeutige Sprache: Cholesterin ist nur ein schwacher "Risikomarker", und ein kausaler Zusammenhang zwischen den Cholesterinwerten und Herz-Kreislauf-Erkrankungen kann nicht festgestellt werden.

"In gefährlicher Weise unverantwortlich"

Die Verbreitung dieser von der ESC als üble "Falschinformation" charakterisierten Darstellung stößt bei der kardiologischen Fachgesellschaft auf heftige Kritik. Sie moniert, dass die ARTE-Sendung Ärzte und Patienten dazu ermutige, lipidsenkende Therapien einschließlich Statinen zu stoppen, und entsprechende Therapieempfehlungen der ESC als unangebracht erscheinen lasse.

"Diese Sendung ist in gefährlicher Weise unverantwortlich," wird Professor Fausto Pinto, Ex-Präsident der ESC, in einer aktuellen Pressemitteilung zitiert: "Nach Antibiotika sind es die Statine, die wohl mehr als jede andere Medikation zur Verbesserung der Lebenserwartung beigetragen haben".

Pinto weiter: "Die schlimmste Konsequenz dieser Art von Desinformationskampagne ist, dass Menschen zu Schaden kommen. Wenn Patienten mit Herzerkrankungen die Einnahme von Statinen stoppen, nimmt die Anzahl kardialer Ereignisse, die sie erleiden, signifikant zu. Mit anderen Worten: Viele Menschen werden sterben, weil sie auf die Statin-Leugner gehört haben".

Erinnerung an wissenschaftliche Fakten

Die ESC ruft an dieser Stelle einige wissenschaftliche Fakten in Erinnerung. Studien an Tausenden Patienten hätten gezeigt, dass Statine das Risiko für "schwerwiegende vaskuläre Ereignisse" einschließlich Tod infolge Herzinfarkt oder Schlaganfall dramatisch reduzierten. Wenn 10.000 Patienten mit manifester Gefäßerkrankung fünf Jahre lang ein Statin einnähmen, verhindere diese Therapie bei 1000 von ihnen ein vaskuläres Ereignis. Und dieser Nutzen werde mit jedem Jahr der Medikamenteneinnahme größer. Angesichts der überwältigenden Evidenz komme die Unterstützung der Statin-Therapie weltweit in den Leitlinien der Fachgesellschaften klar zum Ausdruck.

Erst im April 2017 hatte eine Expertenkommission der Europäischen Arteriosklerose-Gesellschaft (EAS) unter Leitung von Dr. Brian Ference ein Konsensuspapier veröffentlicht, in dem die wissenschaftlichen Fakten zur kausalen Rolle des Cholesterins an der Arteriosklerose-Entstehung akribisch aufgearbeitet worden sind. Die Autoren sehen dadurch jegliche Zweifel an einer Kausalität ausgeräumt.

Weitere Infos unter www.springermedizin.de

Lesen Sie dazu auch: Eine geballte Dosis Fakten gegen die "Cholesterin-Lüge" Konsensuspapier: Cholesterin macht Atherosklerose – ganz sicher! Nebenwirkungen: Endgültiges Absetzen von Statinen ist riskant

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