Der Berg ruft
Wann Bergsteigen fürs Herz schädlich ist – und wann nicht
Forscher haben Studien zu herzkranken Bergsteigern ausgewertet und geben Tipps, was Ärzte bei welcher Krankheit beachten müssen.
Veröffentlicht:MAILAND/BOZEN. Mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen Bergsteigen gehen? Das könnte Forschern zufolge oft keine schlechte Idee sein. Kardiologen der Universität Bicocca in Mailand und des Bozener Forschungszentrums Eurac Research haben in einer Studie im European Heart Journal untersucht, ob und wie sich Höhenlagen auf Herz-Patienten auswirken (10.1093/eurheartj/ehx720).
Da ab etwa 2500 Meter Höhe die körperliche Belastung ansteigt, sollten herzkranke Bergsteiger besonders Acht geben. "Auf das Bergwandern gänzlich verzichten muss der Patient allerdings nur bei sehr schweren Herzerkrankungen", sagt der Höhenmediziner Hermann Brugger in einer Mitteilung zur Studie Im Gegenteil: Es könne sich sogar positiv auf die Gesundheit auswirken.
Auswirkungen der Höhe
Je nach Schwere einer KHK sollten Bergsportler 4200 beziehungsweise 2500 Höhenmeter nicht überschreiten, so die Forscher.
Unbestritten ist, dass in solchen Höhen die Sauerstoffversorgung eingeschränkt ist (alveolärer Sauerstoffpartialdruck auf Meereshöhe: 100 mmHg, auf 3.000 Meter: 67 mmHg) und deshalb physiologische Anpassungsreaktionen erforderlich werden.
Dieser als Akklimatisation bezeichneter Prozess äußert sich unter anderem in einer Zunahme der Ventilation, des Herzzeitvolumens und der Erythrozytenzahl. Arterieller Blutdruck und die Herzfrequenz steigen an. Die höhenbedingte Hyperventilation führt zur Hypokapnie und respiratorischen Alkalose und kann eine sog. periodische Atmung zur Folge haben. Vor allem während der Nacht kommt es dann abwechselnd zu einem An- und Abschwellen der Atmung.
Die alveoläre und arterielle Hypoxie verursacht eine Zunahme der pulmonalen Vasokonstriktion, die wiederum in einer pulmonalen Hypertonie übergehen kann, mit dem Risiko, dass sich ein Lungenödem oder gar ein Rechtsherzversagen entwickeln.
Nur wenige Studien zum Thema
Die Frage ist nun auf der einen Seite, ob die in der Höhe erforderlichen physiologischen Kompensationsmechanismen bei Patienten mit kardialen Vorerkrankungen ausreichend funktionieren und zum anderen, ob die Bedingungen in solchen Höhen ein weiteres kardiovaskuläres Ereignis begünstigen könnten.
Dazu ist zunächst zu sagen, dass es auf dem Gebiet der Höhenmedizin im Allgemeinen nur wenig gut durchgeführte Studien gibt und die, die es gibt, mit nur wenigen Patienten durchgeführt worden sind.
Empfehlungen für Herzinsuffizienz-Patienten
Für Patienten mit einer Herzinsuffizienz scheinen bisherigen Studien zufolge kürzere Höhenaufenthalte jedenfalls ungefährlich zu sein, selbst dann wenn sie sich dabei mäßig körperlich anstrengen. Generell wird wie auch für gesunde Menschen empfohlen, langsam aufzusteigen (300 bis 500 Meter pro Tag ab 2.500 Meter). Die konkreten Empfehlungen lauten:
- Patienten mit NYHA-Klasse I–II können eine Höhe von 3.500 Meter sicher erreichen, sie sollten dort keinen schweren körperlichen Aktivitäten nachgehen.
- Patienten mit NYHA-Klasse III können eine Höhe von 3.000 Meter sicher erreichen, sie sollten dort maximal leichten körperlichen Anstrengungen nachgehen.
- Patienten mit NYHA-Klasse IV sollten extreme Höhenlagen meiden.
Bei allen Patienten mit Herzinsuffizienz sollten typische Komorbiditäten wie pulmonale Hypertonie, chronische Lungenerkrankungen, Nierenerkrankungen, Schlafapnoe, Anämien und Thrombophilien sorgfältig abgeklärt werden.
Medikamente im Blick behalten
Ebenso gilt es die Medikation kritisch zu prüfen. Trotz ihrer unbestrittenen Bedeutung in der Herzinsuffizienz -Therapie hemmen ACE-Hemmer und Angiotensinrezeptor-Blocker die Erythropoietin-Produktion in der Niere, weisen die Experten hin. Dadurch könne der in der Höhe wichtige kompensatorische Anstieg des Hämatokrit und der Sauerstoffbindungs-Kapazität möglicherweise abgeschwächt sein. Konkret empfehlen die Autoren:
- wenn immer möglich einen ß1-selektiven Betablocker einzusetzen (z. B. Nebivolol),
- als Diuretikum Acetazolamid in Betracht zu ziehen, welches generell zur Prophylaxe und Therapie der Höhenkrankheit eingesetzt wird.
Allerdings betonen sie, dass eine Begleittherapie mit Acetazolamid oder anderen Diuretika in Höhenlagen möglicherweise eine Dehydration und ein Ungleichgewicht des Elektrolythaushaltes herbeiführen könnte. Derzeit noch unklar ist, ob das Auftreten einer periodischen Atmung durch Acetazolamid unterdrückt werden sollte.
Patienten mit ischämischen Herzkrankheiten
Widersprüchlich ist die Studienlage zur Frage, ob und inwieweit eine höhenbedingte Hypoxie für Patienten mit ischämischen Herzerkrankungen gefährlich werden könnte. Extreme Höhenlagen könnten Patienten mit koronarer Herzerkrankung möglicherweise Schwierigkeiten bereiten, da ihr Koronarfluss bereits auf Meereshöhe eingeschränkt und die Elastizität ihrer Arterien aufgrund von atheromatösen Läsionen und mikrovaskulärer Dysfunktion gestört sei, erläutern die Experten.
Bisherige Studien legen allerdings nahe, dass die Höhenexposition zumindest bei Patienten mit geringem ischämischem Risiko weder Ischämien noch Arrhythmien provoziert.
Generell wird allen kardiovaskulären Patienten geraten, ihre bisherige Medikation, besonders die duale Plättchenhemmung nach Stentimplantation, beizubehalten und nur in Absprache mit dem Arzt Änderungen vorzunehmen. Personen, die bisher auf geringen Höhen kaum körperlichen Anstrengungen nachgegangen sind, wird davon abgeraten, dies in Höhenlagen auszuprobieren. Die Gabe von Acetazolamid kann als Infarktprophylaxe sinnvoll sein, wobei für KHK-Patienten hierzu keine Daten vorliegen. Konkret wird empfohlen, dass
- Patienten nach einem Herzinfarkt/Koronararterien-Bypass sich frühestens nach 6 Monaten in Höhenlagen begeben sollten.
- Patienten nach einer Stentimplantation einen Höhenaufenthalt die ersten 6–12 Monate vermeiden sollten.
- Für Patienten mit niedrigem Risiko (CCS 0-I) werden Aufenthalte bis 4.200 Meter und niedrige bis moderate körperliche Aktivität als relativ sicher erachtet.
- Für Patienten mit moderatem Risiko (CCS II-III) ist ein Aufstieg auf bis zu 2.500 Meter vertretbar. Körperliche Anstrengungen (bis auf leichte) sind dort kontraindiziert.
- Patienten mit hohem Risiko (CCS IV) sollten extreme Höhen meiden.
Empfehlungen für Bluthochdruckpatienten
Da in Höhenlagen der Blutdruck selbst bei gesunden Menschen ansteigt, liegt es nahe, dass extreme Höhen für Menschen mit Bluthochdruck eine Gefahr darstellen könnten. In Studien hat sich gezeigt, dass der Blutdruck bei hypertensiven Patienten in der Höhe weiter ansteigt und diese Zunahme auch stärker ausfällt als bei normotensiven Menschen.
Daher empfehlt das Expertengremium bei Patienten mit moderater bis schwerer Hypertonie, die einen Höhenaufenthalt planen, die antihypertensive Medikation ggf. anzupassen.
Eine wirksame Blutdruckkontrolle auf 3.300 Meter ist mit einer Kombination von Nifedipin/Telmisartan möglich.
Der ß1-selektive Betablocker Nebivolol wirkt dem höheninduzierten Blutdruckanstieg effektiv entgegen und zum Erhalt des nächtlichen Blutdruck-Dipping eingesetzt werden.
Auch bei gesunden Menschen kann der Einsatz des Angiotensin II-Rezeptor-Blockers Telmisartan zur Vermeidung eines Blutdruckanstieges in Höhenlagen bis zu 3.400 Meter sinnvoll sein, ebenso wie die Gabe von Acetazolamid, das ebenfalls den Blutdruck senkt, darüber hinaus die Sauerstoffsättigung verbessert und die Symptome der Höhenkrankheit lindert.
- Patienten mit moderater bis schwerer Hypertonie und jene mit einem moderat bis stark erhöhtem kardiovaskulärem Risiko sollten ihren Blutdruck vor und während des Höhenaufenthaltes kontrollieren.
- Ein Höhenaufenthalt über 4.000 Meter ist für Patienten mit gut kontrollierter oder milder Hypertonie im Falle einer adäquaten Therapie womöglich vertretbar.
- Patienten mit unkontrollierter/schwerer Hypertonie sollten extreme Höhen meiden, da das Risiko für einen Organschaden zu groß ist.
Empfehlungen für Menschen mit Rhythmusstörungen
Rein aus physiologischen Gründen könnte man annehmen, dass extreme Höhenexpositionen ein erhöhtes Arrhythmie-Risiko bergen (gesteigerte Sympathikusaktivität, verminderte Sauerstoffsättigung, Zunahme der transmembranen Kaliumkonzentration usw.).
In Studien an Gesunden haben sich diese Bedenken allerdings nicht bestätigt. Wenig bis gar nichts bekannt ist über das potenzielle Arrhythmie-Risiko in Höhenlagen bei Personen, die bereits an einer Rhythmusstörung leiden. Die Autoren empfehlen:
- Patienten mit ernsten Rhythmusstörungen (speziell jene mit ventrikulären Arrhythmien) Höhen von 3000 bis 3500 Meter nicht zu überschreiten
- und fernabgelegene Orte, wo keine medizinische Versorgung gewährleistet ist, zu vermeiden.
- Höhenaufenthalte für Patienten mit elektrischen Devices (einschließlich Schrittmacher und ICDs) sind generell möglich, wenn der Gesundheitszustand unbedenklich ist. (Mitarbeit: ajo)