Harnwegsinfektionen
Mit drei Fragen zur Diagnose "HWI"
Rezidivierende Harnwegsinfektionen sind für die Betroffenen belastend, bedürfen allerdings nicht sofort einer antibiotischen Langzeitprophylaxe. Manchmal hilft schon das "Reden" mit den Patientinnen. Und ein süßer Drink.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Sechs von zehn Frauen, die sich wegen Harnwegsinfektionen beim Arzt vorstellen, erhalten Antibiotika – eine erschreckende Zahl angesichts der Resistenzproblematik und angesichts der Häufigkeit unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen (HWI). Diese Verordnungspraxis stehe in starkem Kontrast zu den Empfehlungen, monieren die Autoren der S3-Leitlinie um Professor Florian Wagenlehner vom Uniklinikum Gießen zu dem Thema, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Urologie. Seit April 2017 liegt diese Leitlinie in aktualisierter Form vor.
Nachlesen lässt sich darin unter anderem, wie mit rezidivierenden HWI bei prämenopausalen Frauen umzugehen ist. Aus der Lektüre geht hervor, dass durchaus eine Menge getan werden kann, bevor Antibiotika in Erwägung gezogen werden müssen.
Häufig unnötige Antibiose
Das fängt bereits bei der Frage an: Ist das überhaupt eine HWI? Jedes Mal eine Urinkultur anzulegen, ist weder machbar noch sinnvoll. Andererseits sind ein Drittel der rein klinisch gestellten Diagnosen falsch. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass viele, eigentlich gesunde Patientinnen, eine unnötige, oft antibiotische Behandlung erhalten.
- Um die Diagnose zu stellen, sollten drei Fragen gestellt werden:
- Bestehen beim Wasserlassen relevante Schmerzen und gehen die häufigen Miktionen mit imperativem Harndrang einher?
- Vermuten Sie eine Harnwegsinfektion als Ursache?
- Haben Sie vaginale Beschwerden?
Wird die erste und/oder zweite Frage bejaht, ist eine Harnwegsinfektion sehr wahrscheinlich, so das interdisziplinäre Autorenteam. Als weitere Indizien gelten das Vorhandensein einer Hämaturie und ein positiver Teststreifen (Nitrit und/oder Leukozyten-Esterase-Aktivität). Bei vaginalen Beschwerden wie Juckreiz oder Ausfluss sollte zunächst einmal der Gynäkologe konsultiert werden.
Bei unkomplizierten, nicht rezidivierenden Zystitiden ist laut Leitlinie keine mikrobiologische Untersuchung erforderlich. Von rezidivierenden HWI wird gesprochen, wenn mindestens zwei symptomatische Episoden in den vergangenen sechs Monaten oder mindestens drei Episoden innerhalb von zwölf Monaten stattgefunden haben. Bei diesen Patientinnen sollte eine Urinkultur angelegt werden sowie einmalig eine Sonographie erfolgen.
Beratung zur Rezidiv-Prävention
Erste präventive Maßnahme bei rezidivierenden HWI prämenopausaler Frauen ist die Beratung. Studien deuten darauf hin, dass allein dies die HWI-Häufigkeit senken kann. Dazu gehört der Hinweis auf eine zwar ausreichende, aber nicht zu große Trinkmenge. Denn übermäßige Flüssigkeitszufuhr kann im Urin vorhandene antimikrobielle Peptide wie das Tamm-Horsfall-Protein (Uromodulin) und Cathelicidine verdünnen.
Bekanntlich korreliert die Häufigkeit von HWI mit der Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs. "Sexuelle Abstinenz kann die Rate senken", lautet der vermutlich rein akademisch gemeinte Tipp in der Leitlinie.
Unklar ist, ob der Toilettengang mit Entleerung der Blase nach dem Koitus tatsächlich HWI vermeiden hilft. Fest steht, dass Intravaginal-Ovula, mit Spermiziden beschichtete Diaphragmen und Kondome sowie Intrauterin-Spiralen das HWI-Risiko erhöhen.
Als weitere Hinweise im Beratungsgespräch lassen sich das Vermeiden kalter Füße und übertriebener Intimhygiene anführen. Intravaginale Cremes, die den pH senken und die Scheidenbesiedlung mit uropathogenen Keimen mindern sollen, bringen nichts. Und: "Oral zugeführte Hormone haben keinen protektiven Effekt und werden eher als Risikofaktor für rezidivierende HWI angesehen."
Das regelmäßige Trinken von Fruchtsäften aus Beeren oder der Verzehr von mit probiotischen Bakterien fermentierten Milchprodukten soll mit erniedrigten Raten rezidivierender Harnwegsinfektionen einhergehen. Allerdings sind die Studienergebnisse zur Langzeitprävention etwa mit Cranberry- und Moosbeerenprodukten widersprüchlich, so dass in der aktualisierten Leitlinie keine Empfehlung ausgesprochen wird. Außerdem erscheine das Trinken größerer Saftmengen unrealistisch. Die Autoren vermuten jedoch positive Effekte hochdosierter Kapseln oder Tabletten, wenngleich dafür Evidenz aus Studien fehlt.
Die Autoren der Leitlinie zitieren außerdem eine monozentrische Studie, wonach zwei Gramm Mannose pro Tag in einem Glas Wasser eine ähnliche Wirkung wie die Langzeitprävention mit Nitrofurantoin habe – bei signifikant weniger Nebenwirkungen. Erwogen werden könne außerdem die phytotherapeutische Behandlung mit Präparaten aus Bärentraubenblättern, Kapuzinerkressekraut oder Meerrettichwurzel, auch dazu gibt es, im Unterschied zu anderen pflanzlichen Aquaretika, eine kleine Placebo-kontrollierte Studie mit positivem Resultat.
Immunoprophylaxe empfohlen
Ausdrücklich empfohlen wird die Immunprophylaxe mit bakteriellen Zellwandbestandteilen uropathogener Escherichia-coli-Stämme (OM89, Uro-Vaxom®). Zwei Metaanalysen haben die präventive Wirksamkeit mit um durchschnittlich 39 Prozent reduzierten Rezidivraten bestätigt. Diese Prävention könne bereits unter der Akuttherapie begonnen werden und sollte bei einer Durchbruchinfektion nicht unterbrochen werden, heißt es in der Leitlinie. Empfohlen wird zudem die parenterale Immunstimulation mit inaktivierten Erregern (StroVac®), dazu werden in wöchentlichen Abständen drei Injektionen verabreicht sowie eine Auffrischung nach einem Jahr. Die Impfung ist auch bei Schwangeren möglich.
Erst nach Versagen der allgemein vorbeugenden sowie nichtantibiotischen Maßnahmen und bei hohem Leidensdruck ist die antibiotische Langzeitprävention der Harnwegsinfektion angezeigt. Diese erfolgt über sechs Monate mit einem Viertel bis einem Sechstel der volltherapeutischen Dosis, die am Abend eingenommen wird. Alternativ kann bei klarem Zusammenhang mit dem Geschlechtsverkehr die postkoitale Einmalprävention praktiziert werden, was den Antibiotikaverbrauch im Vergleich senkt.
Hinsichtlich der Wirksamkeit konnte eine Metaanalyse keine Unterschiede zwischen Nitrofurantoin einerseits und Norfloxacin, Trimethoprim, Sulfamethoxazol/Trimethoprim oder Cefaclor feststellen. Dafür sind unerwünschte Wirkungen und die Abbruchrate unter Nitrofurantoin im Vergleich signifikant höher. Gegen Trimethoprim bestehen erhöhte Resistenzraten. Geeignet ist darüber hinaus auch Fosfomycin 3 g alle zehn Tage.
Tipps für die HWI-Prävention
- Dazu gehört der Hinweis auf eine zwar ausreichende, aber nicht zu große Trinkmenge.
- Ausdrücklich empfohlen wird die Immunprophylaxe mit bakteriellen Zellwandbestandteilen uropathogener E.-coli-Stämme.
- Empfohlen wird auch die parenterale Immunstimulation mit inaktivierten Erregern.