Gesundheitsminister Spahn
Kein Verständnis, wenn Ärzte Infizierte nicht behandeln
Ein Besuch des Gesundheitsministers in einem Wohnheim für Aidskranke und HIV-Infizierte wirft Schlaglichter auch auf die ärztliche Versorgung.
Veröffentlicht:BERLIN. Auf Plakaten der Aids-Hilfe wirbt Franziska Borkel für einen diskriminierungsfreien Umgang mit der HIV-Infektion. Durch ihr Engagement wird sie häufig Zeugin von Stigmatisierung im Alltag.
Am Freitag sitzt die junge Frau, die selbst seit 1999 mit dem Virus lebt, dem Gesundheitsminister gegenüber. „Wie soll ich denn damit umgehen, wenn ich davon höre, dass die Helferinnen beim Orthopäden bei einer infizierten Frau mit Karpaltunnelsyndrom den Verband nicht wechseln und panisch den Raum verlassen?“, sagt sie zu Jens Spahn (CDU). So könne keine Normalität im Umgang mit HIV eintreten. Und das in Zeiten, in denen der pharmakologische Fortschritt HIV-Patienten längst ein nahezu normales Leben ermögliche.
Der Minister ist zu Besuch beim Projekt „Zuhause im Kiez“ in Berlin-Kreuzberg und bekommt ordentlich etwas auf die Ohren. Ein Mitarbeiter der Aids-Hilfe berichtet, er habe in diesen Tagen seinem Zahnarzt eine Backpfeife verpasst, weil der den entzündeten Zahn eines Patienten nicht habe behandeln wollen. Die HIV-Helfer sind sich einig. Bei Ärzten und ihrem Personal haben viele Vorurteile die zahlreichen Kampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung überlebt.
Jens Spahn ist sichtlich nachdenklich geworden. „Wenn Ärzte die Behandlung von Menschen mit HIV-Infektion verweigern, habe ich dafür kein Verständnis.“ Vielleicht müsse man noch einmal eine Kampagne speziell in alle Gesundheitsberufe hinein anstoßen, sinniert er. Aber: „Offenheit kann ich nicht per Gesetz machen“, sagt Spahn.
Die niedergelassenen Ärzte spielen die wichtigste Rolle bei der frühzeitigen Entdeckung des HI-Virus. An dieser Stelle gibt es offenbar aber nach wie vor Defizite. Das vom Innovationsfonds geförderte Projekt „FindHIV“ soll helfen, Erkenntnisse über die Versorgungsrealität zu gewinnen und möglicherweise zu verbessern. Start ist im Januar 2019. Das Projekt ist auf drei Jahre angelegt und wird mit 900.000 Euro aus dem Fonds unterstützt. Ziel ist es, ein Frühdiagnoseinstrument für Ärzte zu entwickeln.„Wir sehen schon seit Jahren bei den Erstdiagnosen einen sehr hohen Anteil von Patienten, die sehr spät diagnostiziert werden“, sagen HIV-Ärzte. Das verursache krankheitsbedingte Kosten und müsse unter Public Health-Aspekten beobachtet werden.
Es sei fatal, dass offensichtlich Gelegenheiten verpasst würden, Infektionen zu entdecken, sagte Robert Rüsenberg von der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter (dagnä) bei einer Veranstaltung des Berliner „Tagesspiegels“ bereits am Donnerstag. Schließlich hätten die Infizierten auch schon vor ihrer Diagnose Kontakt zum Gesundheitssystem.
Ausgangsthese von „FindHIV“ sei, dass das Verhalten von Patienten, aber auch in den Versorgungsstrukturen ganz offenkundig zu verzögerten Diagnosen führe, sagt Rüsenberg.Das Projekt wird angeführt von Professor Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen, die niedergelassenen Ärzte sind bei „FindHIV“ Konsortialpartner. Ziel sei, mehr Wissen über das Diagnosegeschehen zu erzeugen.Zunächst sollen Daten von 800 Neuinfizierten erhoben werden. Darunter werden, so erwarten es die Projektverantwortlichen, etwa 25 Prozent Spätdiagnostizierte sein. Unter die Lupe genommen werden sollen soziodemografische Daten der HIV-Patienten, ihre Kontakte zu Ärzten und die Vordiagnosen.35 HIV-Schwerpunktzentren werden sich daran beteiligen, diese empirische Basis zu schaffen.
Deutschland kann die von den Vereinten Nationen ausgegebenen Ziele im Kampf gegen Aids noch erreichen. Darauf hat das Bundesgesundheitsministerium für übertragbare Krankheiten zuständig, verwiesen. In einem Zwischenschritt peilen die Vereinten Nationen das 90 – 90 – 90-Ziel an. Das heißt: 90 Prozent Menschen mit HIV-Infektion sollen auch tatsächlich entdeckt sein, 90 Prozent sollen eine antiretrovirale Therapie erhalten und bei 90 Prozent soll die Viruslast unter die Nachweisgrenze gedrückt worden sein. Derzeit liege Deutschland bei diesem Maß bei 87 – 92 – 95. Großbritannien könne aber bereits 92 – 95 – 97 aufweisen.
Hier kann Spahn Optimismusversprühen. Bis 2020 könne Deutschland bei 95-95-95 stehen, sagt er in Kreuzberg. Einen Beitrag dazu soll die PräExpositions-Prophylaxe (PrEP) leisten. Die sei aller Voraussicht nach ab kommenden April Kassenleistung.
Die DAK-Gesundheit ist hier sogar schon weiter: Die Kasse teilte am Freitag mit, dass ihr Verwaltungsrat eine neue Satzungsleistung für die PrEP beschließen wolle. „Allen Aufklärungskampagnen zum Trotz wird die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland nicht wesentlich kleiner. Deshalb müssen wir neue Schutzmethoden fördern“, sagte der DAK-Vorstandsvorsitzende Andreas Storm. Pro Jahr koste die medikamentöse HIV-Prophylaxe 800 Euro, eine HIV-Therapie hingegen meist im Schnitt 20.000 Euro, erklärte Dieter Schröder, Verwaltungsratsvorsitzender der DAK.
„Wenn jetzt eine große deutsche Kasse hier einen Vorstoß unternimmt, kommt ihr damit in der HIV-Prävention eine wichtige Vorreiterrolle zu“, kommentierte Silke Klumb, Geschäftsführerin der Deutschen AIDS-Hilfe das Vorhaben der DAK. Dabei stellte sie klar, dass die PrEP das Kondom nicht ersetzen werde. Klumb: „Das Kondom bleibt für die meisten Menschen das einfachste Mittel, sich vor HIV zu schützen, und reduziert das Risiko anderer Geschlechtskrankheiten. Aber manche Menschen brauchen die medikamentöse Prophylaxe, um sich nicht zu infizieren.“
PreP als
Kassenleistung
- Die DAK-Gesundheit hat noch am Freitag mitgeteilt, dass ihr Verwaltungsrat plant, eine neue Satzungsleistung für die PräExpositions-Prophylaxe (PrEP) zu beschließen.
- 800 Euro koste die medikamentöse HIV-Prophylaxe die Kasse pro Jahr, bei einer HIV-Therapie seien es im Schnitt 20.000 Euro, berichtet die DAK.
- Ab April soll die PrEP generell Kassenleistung werden. Die DAK wäre demnach bislang Vorreiter.