Aigner droht Tierärzten

BERLIN (dpa). Im Zuge der Eindämmung von massenweisen Arznei-Gaben in der Tiermast soll auch das Dispensierrecht der Tierärzte überprüft werden.

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Aigner: Dispensierrecht auf den Prüfstand.

Aigner: Dispensierrecht auf den Prüfstand.

© Metodi Popow / imago

"Das sogenannte Dispensierrecht geht zurück auf eine Ausnahme vom Apothekenmonopol, die in den 1950er-Jahren für die Tierärzte geschaffen wurde. Es stellt sich die Frage, ob das noch in die Zeit passt", sagte Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Wir stellen das Dispensierrecht deshalb auf den Prüfstand."

Dies war eine Forderung des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) gewesen, nachdem Aigner ihren Gesetzentwurf zur Eindämmung des Antibiotika-Einsatzes in der Tiermast vorgelegt hatte.

Über den Verzehr von Lebensmitteln können Menschen Keime einnehmen, die gegen Antibiotika unempfindlich sind. Das kann dazu führen, dass die Arznei bei Krankheiten nicht mehr wirkt.

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Kommentare
Dr. Petra Sindern 21.01.201210:44 Uhr

Tierärztliches Dispensierrecht und die Haustiere

Punkt 1: Erstaunt stellen wir Tierärzte fest, dass es „den Verbraucher“ sicherer machen soll, wenn die Abgabe von Tierarzneimitteln in die Hände von Humanpharma - Ausgebildeten übergehen soll. Nicht ohne Grund bedarf es eines fünfeinhalbjährigen Studiums, um die wichtigsten tierartspezifischen Besonderheiten und Unverträglichkeiten zu erfassen. Apotheker haben leider im Regelfall keinerlei diesbezügliche Ausbildung. Und die sollen nun Tierhalter „kompetent“ beraten?

Schon jetzt bescheren solche „kompetenten“ Beratungen durch Humanapotheker den Tierärzten zahlreiche Patienten. Ein Bespiel: Kaninchen mit mukösem Augenausfluss, Besitzer erhält in der Apotheke verschreibungsfreie Augentropfen. Drei Tage später ist nicht nur das Auge von den für diese Tierart unverträglichen Augentropfen zerstört, sondern das Tierchen auch endgültig so abgemagert, dass endlich eine tierärztliche Untersuchung erfolgt. Diese bringt dann auch endlich die Ursache, nämlich eine massive Fehlstellung der Backenzähne mit Durchbruch in den Tränennasenkanal (sehr häufig bei Kaninchen, wie jede/r TierärztIn weiß) zu Tage. So was sieht die Hälfte aller Kleintierpraxen jetzt schon mindestens 1 x monatlich!

Punkt 2: Im neuen Arzneimittelgesetz soll berechtigter Weise eine bakteriologische Untersuchung mit Antibiogramm vorgeschrieben werden, wie sie in dieser Sparte durch selbst gegebene Antibiotikaleitlinien seit Jahren sowieso gang und gäbe ist. Kein Problem! Aber: Dies gilt nur für Tiermediziner! Interessant auch, dass nur Tierärzten unterstellt wird, sie würden wahllos Antibiotika in Groß – und Kleinbeständen einsetzen. Jeder Landwirt wird Ihnen vorrechnen, das es auch im Sinne seiner eigenen Wirtschaftlichkeit notwendig ist, nie ohne genaue Diagnostik gezielt gegen tatsächlich gefundene Keime eine Therapie mit möglichst wenig teuren Antibiotika durchzuführen! In der Humanmedizin ist dies nach meinen Erfahrungen, hingegen der Regelfall, denn da interessiert im Einzelfall niemanden in einer Krankenkasse, ob denn das Antibiotikum wirklich notwendig war – es wird halt bezahlt und basta!

Wie viel besser wäre die humane MRSA Situation, wenn auch Menschen z.B. Fluochinolone (das gute alte „Cipro“) und Cephalosporine ausschließlich nach Nachweis der Wirksamkeit gegen die bei ihnen tatsächlich gefundenen Bakterien erhalten würden? Wenn schon so eine Vorschrift, dann doch bitte für alle, die Antibiotika einsetzen!

Punkt 3: Das Verbot, Medikamente anders, als es die Zulassung vorsieht, anzuwenden, das „Umwidmungsverbot“. Für kleine Heimsäugetiere wie Kaninchen, Meerschweine, Chinchillas oder Hamster, Vögel, Reptilien, Kopffüßer und noch exotischere Tier sowie alle Zootiere gibt es (bis auf eine einzige Ausnahme) keine zugelassenen Antibiotika. Und auch fast keine anderen zugelassenen Medikamente. Ein Umwidmungsverbot von Antibiotika wäre also Massenmord an bis zu 30% aller tierärztlichen Patienten in den Kleintier- und Zootierarztpraxen. Wie ist das mit dem Grundgesetz und dem Tierschutzgesetz vereinbar? Genau dafür studieren Tierärzte doch! Um zu wissen, dass es z.B. nur drei Antibiotikaklassen gibt, die bei Meerschweinchen überhaupt eingesetzt werden können, ohne sie umzubringen! Und nun soll mir also von Laien vorgeschrieben werden, wie ich meine Arbeit zu machen habe? Den entsprechenden Aufschrei in der Humanmedizin möchte ich hören!

Punkt 4: Ja, Tierärzte verdienen an den Medikamenten, die sie verkaufen! Wie viel, hängt davon ab, welche Praxisform sie betreiben. Praktisch immer ist die Medikamentenabgabe eine Mischkalkulation aus Untersuchung, Beratung, Vorfinanzierung, Lagerhaltungskosten, Rezeptierung und Abgabe an sich. Bisher ist es in Tierarztpraxen nur in wenigen Ausnahmefällen üblich, eine einzelne Beratung oder gar die Ausstellung eines Rezeptes, das dann über die eigene Hausapotheke eingelöst wird, zu liquidieren, obwohl die Gebührenordnung für Tierärzte (GOT) sie dazu ausdrücklich berecht

Rudolf Bauer 20.01.201219:17 Uhr

Dispensierrecht

Herr Prof.Dr.Friedrich-B.Spencker,/sehr geehrter Herr Dr.med.vet.Grünwoldt,
Wenn nicht die Veterinäre, sollen sich die Apotheker das Zubrot einstecken ?
Wo liegt der Unterschied für den Tierhalter?
Wie sieht es in anderen Ländern aus?
Von westlichen Nachbarn kann man Tierarzneimittel ohne Rezept direkt per Internet bestellen. Die Lieferanten stellen sich selbst ein Rp aus.
Jeder Tierbesitzer ist froh, wenn er beim Tierazt direkt sein Medikament nach der Diagnose mitnehmen kann und nicht erst eine Apo aufsuchen muß.
Das Märchen vom Pharmavertreter, der auf der Autobahn große Mengen an verschreibungspflichtigen Medikamenten verteilt, blüht immer wieder auf. Ich bin seit 40 Jahren in der Pharmaindustrie ,meistens im Außendienst tätig. Mir ist außer durch die Skandale witternden Medien kein einziger Fall bekannt.
Sicher ist auch ein schwarzes Schaf unter tausenden Pharmavertretern oder Veterinären nicht auszuschließen.
Frau Aigner soll sich auf die Dinge konzentrieren, die Ihre Berufung ins Amt brachten. Dazu gehört dieser Thmenkreis sicher nicht vordringlich.

Dr. Horst Grünwoldt 20.01.201218:46 Uhr

Tierärztliche Hausapotheke

Tierärzte haben aus guten Gründen das Recht, Tierarzneimittel selbst herzustellen, vorrätig zu halten und für die Behandlung ihrer vierbeinigen und geflügelten Klientel nach den Kriterien der Pharkopoe, klinischer Diagnostik und festgestellter Indikation anzuwenden oder abzugeben.
Dazu gehört in unseren modernen Zeiten auch die Abgabe von geeigneten Fertig-Arzneimitteln. Das Dispensieren (selbst Anfertigen) dürfte in den meisten Apotheken noch seltener als in der Tierärztlichen Hausapotheke stattfinden.
Approbierte Tiermediziner erwerben erst nach erfolgreicher Absolvierung der Staatsexamens-Prüfungen in Pharmakologie und dem Galenikkurs das Dispensier-Recht.
Daß umsatzorientierte Apotheker(innen)aus Konkurrenzgründen immer schon daran "sägen", gilt seit langem.
Nunmehr wird vordergründig die vermeintliche Antibiotikum-Problematik in den landwirtschaftlichen Tierhaltungen zum Anlaß genommen, wieder einmal am Dispensierrecht zu rütteln.
Dabei ist seine Einführung und Beibehaltung ganz im Interesse der Tierhalter, weil:
1. Im ländlichen Raum nicht an jeder zweiten Straßenecke -wie manchmal im Stadtgebiet schon zu sehen ist- eine Apotheke zu finden ist, die auch rund um die Uhr Arzneimittel nach tierärztlicher Verordnung zügig abgeben kann.
2. Die Tierarzneimittel ohne den erheblichen Aufschlag des Apothekers durch den praktizierenden Tierarzt an seine Tierbesitzer kostengünstiger abgegeben werden können.
3. Lediglich in der Kleintierpraxis Humanspezialitäten zur Anwendung kommen. Selbst humanwirksame Antibiotika enden bekanntlich in der "körperlichen Sackgasse" von Miau und Bello.
4. Die werden nach dem Ableben nicht gegessen und sind deshalb bezüglich Resistenzbildung von Bakterien irrelevant.
5. In der Großtierpraxis kommen aus Kostengründen pharmazeutische Human-Präparate so gut wie nicht zum Einsatz.
6. Wie mir aus eigener Praxis bekannt geworden ist, verkaufen Apotheker oder deren Helferin nicht selten verschreibungspflichtige Tierarzneimittel ohne das Rezept eines Tierarztes über die Theke.
7. Der praktizierende Tierarzt ist wegen der erforderlichen Mengenvorhaltung und seiner ständigen Einsatzbereitschaft selbstverständlich zur Führung einer Tierärztlichen Hausapotheke berechtigt.
Die bundesweit wenigen Fälle von sog. "Autobahn-Tierärzten oder Pharmavertreter", die ohne "Stallgeruch" beachtliche Mengen von Tierarzneimitteln ohne Führung einer Tierärztlichen Praxis und Hausapotheke aus dem Fahrzeug illegal verkauft haben, wurden durch niedergelassene Tierärzte angezeigt und verurteilt.
Dr. med. vet. Horst Grünwoldt aus Rostock

Prof. Dr. Friedrich - B. Spencker 20.01.201217:00 Uhr

Dispensierrecht für Tierärzte

Die Abschaffung dieses Zustandes ist generell überfälliig, in der Humanmedizin hat sich seit langem die strikte Trennung von ärztlicher Verordnung und Abgabe der Präparate nur durch Apotheken bewährt (und das seit Jahrhunderten!).
Allerdings generieren wohl die Tierärzte auf diesem Weg erhebliche zusätzliche Einkommen. Da werden heftige Reaktionen der entsprechenden Lobby-Verbände eintreten. Frau Ministerin Aigner sollte aber hart bleiben.

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