Aufklärung

HIV – bei Flüchtlingen oft ein Tabu-Thema

Fast ein Drittel der HIV-Neu-Diagnosen in Deutschland entfallen auf Migranten. Doch nach der Diagnose werden sie oft allein gelassen. Die Initiative Afrikaherz bietet Hilfe.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Viele Flüchtlinge haben offenbar Angst, wegen ihrer HIV-Infektion abgeschoben zu werden.

Viele Flüchtlinge haben offenbar Angst, wegen ihrer HIV-Infektion abgeschoben zu werden.

© beermedia / stock.adobe.com

BERLIN. Aktuellen Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) zufolge entfallen circa 30 Prozent aller HIV-Neudiagnosen in Deutschland auf Migranten.

Bis zu 15 Prozent betreffen Einwanderer aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara (Subsahara), obwohl diese Gruppe nur 0,25 Prozent der Bevölkerung der Bundesrepublik ausmacht.

Betroffene erfahren oft erst durch Routineuntersuchungen in der Erstaufnahme von ihrer Infektion und sind mit der Situation meist hoffnungslos überfordert.

Unbürokratische Hilfe erfahren sie vom Projekt Afrikaherz, einer 1998 gegründeten Initiative, die sich der gesundheitlichen Aufklärung, Beratung und Betreuung afrikanischer Migranten verschrieben und ihren Sitz unter dem Dach des Verbands für interkulturelle Arbeit (VIA) im Berliner Stadtteil Alt-Treptow hat.

Anonymer Test kaum bekannt

"Viele Flüchtlinge haben Angst, wegen ihrer HIV-Infektion abgeschoben zu werden", berichtet Rosaline M'Bayo, die seit August 1999 für Afrikaherz arbeitet und sich schwerpunktmäßig um Aidspatienten sowie HIV-positive Migranten kümmert. "Andere fürchten, dass ihr Asylantrag abgelehnt werden könnte, wenn ihre Infektion bekannt wird. Also verschweigen sie sie lieber."

Wie groß die Verunsicherung ist, ermittelte das Robert Koch-Institut (RKI) in einer Befragung unter afrikanischen Migranten 2015 bis 2016.

Die Auswertung ergab zum Beispiel, dass das Angebot eines anonymen Tests lediglich sechs von zehn Studienteilnehmern bekannt war und nur zwei Drittel der Befragten wussten, dass HIV in Deutschland kein Grund zur Ausweisung darstellt. Große Wissenslücken ermittelte das RKI auch in puncto Hepatitis, Koinfektionen mit STIs und Tuberkulose.

Bis zu 20 Gespräche notwendig

Rosaline M'Bayo, 1967 in Sierra Leone geboren, lebt seit 32 Jahren in Deutschland und weiß, wie sie ihre Schützlinge am besten erreicht. "Zunächst geht es darum, zuzuhören und Vertrauen aufzubauen."

Bei der ersten Beratung stünden oft aufenthaltsrechtliche Fragen im Vordergrund, auch Wohnungsanliegen, da die Situation in den Gruppenunterkünften für viele Migranten sehr belastend sei. Auf den Erstkontakt folgten in der Regel zehn bis zwanzig weitere Gespräche, bei denen dann zunehmend auch gesundheitliche Aspekte im Vordergrund stünden.

"Gerade bei HIV ist die Unsicherheit groß", sagt Rosaline M'Bayo und zählt die häufigsten Fragen auf, die sie im Beratungsgespräch beantwortet: "Wem darf ich von meiner Infektion erzählen? Wer bezahlt die Medikamente? Von wem bekomme ich Medikamente? Darf ich trotz HIV schwanger werden? Oder geht die Infektion dann auf mein Kind über?"

Über die Beratung hinaus schreibt die Sozialarbeiterin Briefe ans Sozialamt, vermittelt Termine mit Rechtsanwälten, begleitet Betroffene ins Krankenhaus oder in die Arztpraxis und besucht Familien in deren Unterkunft.

Nach Paragraf 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) werden Leistungen zur medizinischen Versorgung nur bei akuter Krankheit oder akutem Behandlungsbedarf und bei schmerzhafter Krankheit erbracht.

Insbesondere bei chronischen Erkrankungen und Behinderungen "können" nach Paragraf 6 "Ermessensleistungen" erbracht werden, sofern sie "zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich" sind.

Eingeschränkter Behandlungsanspruch in Kritik

Der eingeschränkte Behandlungsanspruch für Asylbewerber steht seit Jahren in der Kritik. Darüber hinaus beklagen Helfer, dass in einigen Erstaufnahmeeinrichtungen routinemäßig HIV-Tests vorgenommen würden, ohne zuvor die informierte Zustimmung der Getesteten einzuholen; überhaupt seien Aufklärung und Prävention in vielen Einrichtungen völlig unzureichend.

Laut RKI ist von den neudiagnostizierten HIV-Infektionen unter Migranten aus Subsahara-Afrika (MiSSA) etwa jede Dritte nicht im Herkunftsland, sondern vermutlich in Deutschland erworben worden.

Bei einer Befragung gab mehr als die Hälfte der Migranten (in der Mehrheit Männer) an, trotz wechselnder Partner(innen) nur unregelmäßig Kondome zu verwenden.

Häufig erfolge die Diagnose einer HIV-Infektion bei MiSSA in einem späteren klinischen Stadium als bei anderen Personen, weshalb das RKI nicht ausschließt, dass auch der Anteil nicht diagnostizierter HIV- und STI-Infektionen unter afrikanische Migranten höher ist als in anderen Gruppen.

Die HIV-Prävention für Migranten auszubauen, ist ein Anliegen, für das sich M'Bayo mehr Unterstützung durch politische Entscheidungsträger wünscht.

Eine weitere zentrale Forderung ist, dass ausnahmslos alle HIV-positiven und aidskranken Migranten mit kostenlosen Medikamenten versorgt werden.

"Leider sind HIV und Aids noch immer Tabuthemen", sagt die Sozialpädagogin, die ihre Erfahrungen inzwischen auch in Seminaren und als Lehrbeauftragte der Evangelischen Hochschule Berlin für den Bereich "Gesundheitspolitische Sozialarbeit" weitergibt.

"Oft werden Betroffene stigmatisiert. Daher ist auch die Entwicklung kultursensibler Versorgungsangebote wichtig und wünschenswert."

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