GKV
Kassen tappen im „Reformnebel“ und fürchten Ausgabenturbo
Der GKV-Spitzenverband sieht die Reformkaskade von Gesundheitsminister Spahn mit Sorgen. Allein zwei Gesetze ziehen bis 2022 Mehrausgaben von 22 Milliarden Euro nach sich, rechnete Verbandschefin Doris Pfeiffer vor.
Veröffentlicht:KREMMEN. Das Gesetzesfeuerwerk der großen Koalition führt zu Verunsicherung bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Kosten seien derzeit kaum abschätzbar, sagte die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Dr. Doris Pfeiffer, am Montag vor Journalisten in Kremmen (Brandenburg).
Man tappe im „Reformnebel“. Trotz einer sich andeutenden Konjunktureintrübung übe Gesundheitsminister Jens Spahn keine Zurückhaltung, sondern entwickele „große Kreativität“ beim Schnüren neuer Ausgabenpakete für die Kassen.
Allein das Pflegepersonalstärkungsgesetz (PpSG) und das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) werden nach einer Schätzung des Spitzenverbandes bis Ende 2022 mit 21,4 Milliarden Euro an Mehrkosten gegenüber 2018 zu Buche schlagen. Eine Milliarde Euro an Mehrkosten verursacht demnach das TSVG bereits 2019.
Die zusätzlichen extrabudgetären Vergütungen für die Vertragsärzte zum Beispiel für ihre Teilnahme an der Terminvermittlung und die Erhöhung des Festzuschusses für Zahnersatz sorgen für Mehrkosten durch das TSVG von mehr als drei Milliarden Euro ab 2021. Zum Stand der Verhandlungen zwischen Vertragsärzten und der Kassenseite über die Details der neuen Vergütungsoptionen nach dem TSVG äußerten sich die Kassenvertreter am Montag nicht.
Weniger Prüfungen, mehr Ausgaben
Weitere Mehrkosten für die Kassen zeichnen sich durch das geplante Absenken der Prüfquote von Krankenhausabrechnungen ab, sagte Pfeiffer. Hier werde mit 1,2 Milliarden Euro gerechnet. „Keinerlei Dimension“ könne man sich bislang beim Digitale-Versorgungs-Gesetz vorstellen.
Damit sollen Gesundheit-Apps leichter als bisher in die Regelversorgung gelangen. Auch die Auswirkungen der erleichterten Methodenbewertung mit dem Implantateregister-Gesetz ließen sich bisher nicht abschätzen.
Dass aktuell alle Kassenarten außer der AOK im ersten Quartal 2019 ins Minus gerutscht sind, wollte Pfeiffer nicht überbewerten. Darin zeige sich ein saisonaler Effekt, der sich durchaus im zweiten Halbjahr wieder ausgleichen könne. Nach einem Quartal wiesen die Krankenkassen ein Minus von 102 Millionen Euro auf.
Die Rücklagen und Betriebsmittel der Kassen betragen mit 20,9 Milliarden Euro nur noch knapp mehr als eine Monatsausgabe, die derzeit bei rund 20,8 Milliarden Euro liegt. Der Gesundheitsfonds stecke nach drei Monaten mit 2,573 Milliarden Euro in den roten Zahlen, berichtete Pfeiffer. Er steht damit bei 6,7 Milliarden Euro.
Die Leistungsausgaben für ärztliche Behandlung, Krankenhausbehandlung und Arzneimittel sind nach GKV-Angaben im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahr je Versichertem um 3,95 Prozent gestiegen.
Digitalisierung treibt Kosten in Höhe
Sorgen um die Kassenfinanzen gibt es auch im Zusammenhang mit der Einführung der elektronischen Gesundheitsakte, der elektronischen Gesundheitskarte sowie dem Ausbau der Telematikinfrastruktur. Seit 2008 habe das Projekt bereits mehr als zwei Milliarden Euro verschlungen, berichtete Pfeiffer. Rund drei Viertel davon seien in die Ausstattung der Leistungserbringer, die Gesundheitskarte und Fachdienste geflossen.
Für die Anbindung der Krankenhäuser werde nun über Hochleistungskonnektoren nachgedacht. Bei der Anbindung weiterer Leistungserbringer sollen zudem Software gestützte Konnektoren Zeit und Geld sparen. Als „nicht abschätzbar“ bezeichnete Pfeiffer Kosten, die die KBV mit der Standardisierung der künftigen Inhalte der elektronischen Patientenakte verursache.
Das gelte auch für die Vergütungen für Ärzte für das Anlegen und Verwalten der elektronischen Patientenakten. Diese Akten werden ab 2021 zum Pflichtangebot jeder Krankenkasse zählen müssen.Kassen, die zu diesem Zeitpunkt keine Akte vorhalten, bekommen die Zuweisungen aus dem Fonds um 2,5 Prozent gekürzt, ein Jahr später sogar um 7,5 Prozent.