Barmer Arztreport
Die Ängste der Akademiker
Albtraum Studium: Jeder sechste Studierende, insgesamt 470.000 angehende Akademiker, sind von einer psychischen Störung betroffen. Tendenz steigend. Die Barmer reagiert mit niedrigschwelligen Online-Angeboten.
Veröffentlicht:BERLIN. Bei jedem vierten jungen Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren wurde 2015 mindestens eine gesicherte Diagnose aus dem ICD10-Kapitel V (psychische Störungen) gestellt. Im Vergleich zu 2005 ist das ein Zuwachs von 38 Prozent. Besonders ausgeprägt ist dabei die Zunahme von Depressionen mit 75 Prozent und psychischen Reaktionen auf schwere Belastungen mit 89 Prozent.
Dies geht aus dem vom Göttinger aQua-Institut erstellten "Barmer Arztreport 2018" hervor. Er basiert auf einer Vollauswertung aller Barmer-Versichertendaten, die wegen ihrer Repräsentativität auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet werden können. In diesem Jahr setzt der Report einen Schwerpunkt auf psychische Erkrankungen bei jungen Menschen.
Zweithäufigster Hospitalisierungsgrund
Die Diagnose ist – nach Schwangerschaften – der zweithäufigste Hospitalisierungsgrund. Die jährlichen Behandlungskosten bei jungen Erwachsenen mit Depressionen liegen pro Kopf bei 2629 Euro, bei den Gesunden nur bei durchschnittlich 84 Euro. Rund drei Viertel aller Behandlungskosten werden für Depressionen in dieser Altersgruppe aufgewendet.
Sorge bereitet insbesondere auch die Zunahme psychischer Störungen bei angehenden Akademikern. Jeder sechste in dieser Gruppe ist betroffen, Frauen etwa doppelt so oft wie Männer.
Verdopplung der psychischen Erkrankungen bei jungen Akademikern
Anders als bei den Nichtakademikern, bei denen der Anteil psychischer Erkrankungen mit dem Alter abnimmt, nimmt die Häufigkeit bei den Studierenden zu. Ursächlich könnten Examensstress, Zukunftsängste und finanziellen Sorgen beim Start in eine prekäre berufliche Situation sein.
Laut Report sind im 18. Lebensjahr zum Beispiel nur 1,4 Prozent der Studierenden erstmals von einer Depression betroffen, Nicht-Studierende sind es zu 3,2 Prozent. Gut zehn Jahre später liegt der Anteil der Studierenden, die erstmalig an einer Depression erkranken, jedoch schon bei 3,9 Prozent, bei den Nicht-Studierenden hingegen "nur" bei 2,7 Prozent. Die Erhebung legt nahe, dass psychische Erkrankungen in der Jugend darüber hinaus Einfluss darauf haben können, ob später ein Studium aufgenommen wird.
Barmer-Chef Christoph Straub wertet die Daten des Arztreports als "alarmierend". Es sei notwendig, dass auch Krankenkassen verstärkt in Angebote investieren, die jungen Menschen helfen, eine psychische Erkrankung effektiv zu verhindern.
Hier setze die Barmer mit Projekten zu gezieltem Online-Antidepressionstraining an. So ist die Kasse Partner bei dem von der WHO initiierten Projekt "StudiCare", das von der Harvard University koordiniert und in Deutschland von der Uni Erlangen betreut wird. Dieses Programm richtet sich speziell an Studenten.
Mit "Pro Mind" hat die Barmer im Jahr 2015 ein Online-Training implementiert, mit dem Depressionen verhindert werden können. Das Risiko, binnen eines Jahres an einer Depression zu erkranken, konnte dadurch um 40 Prozent gesenkt werden. Bislang haben 2100 junge Menschen dieses Training genutzt.
Ausbaubedürftig seien aber auch niedrigschwellige professionelle Angebote. Der Zugang dazu sei noch befriedigend. Selbst bei Betroffenen, bei denen eine Depression diagnostiziert wurde, finden sich bei 45 Prozent der jungen Erwachsenen keinerlei Kontakte zu niedergelassenen Fachärzten oder Psychotherapeuten, kritisierte Straub.