Hintergrund

Der Kampf gegen Ärztemangel beginnt in den Kliniken

Die Weichen für junge Ärzte werden in den Kliniken gestellt - daran wird auch die Gesundheitsrefom wenig ändern. Doch gerade in den Kliniken entscheidet sich, ob ein Arzt später aufs Land geht. Experten fordern deswegen andere Lehrinhalte.

Von Monika Peichl Veröffentlicht:
Wo ist der Arzt? Viele Kliniken leiden ebenso unter dem Ärztemangel wie Landpraxen.

Wo ist der Arzt? Viele Kliniken leiden ebenso unter dem Ärztemangel wie Landpraxen.

© imagebroker / imago

Wer dem Ärztemangel entgegensteuern will, muss am Krankenhaus ansetzen. Denn dort beginnt die Flucht aus der kurativen Medizin.

Im stationären Sektor sei die Lage mindestens ebenso krisenhaft wie in der ambulanten Medizin, sagte Dr. Ingrid Hasselblatt-Diedrich, Schriftführerin der "Bad Nauheimer Gespräche" und ehemalige Chirurgie-Chefärztin, bei einer Vortragsveranstaltung in Frankfurt am Main zu Situation und Perspektiven der Ärzte.

"Wir beobachten immer mehr Gewinnmaximierung zulasten derjenigen, die die Leistungen erbringen", so Hasselblatt-Diedrich.

Der Ärzte-Nachwuchs starte hoch motiviert in den Beruf, sehe sich dann aber in den Kliniken ethischen Konflikten ausgesetzt, etwa durch die DRG, die Vergütung per Pauschalen.

Gesellschaft muss wissen, wie viel Geld sie investieren will

Das Versorgungsstrukturgesetz werde den sich abzeichnenden Ärztemangel nicht abwenden, erläuterte Dr. Andreas Botzlar, Unfallchirurg und zweiter Vorsitzender des Marburger Bundes (MB), in seinem Referat.

"Kleinräumige Versorgungsplanung wird das Problem nicht lösen", so seine These, dafür fehle auch jeder Beweis. Aus seiner Sicht führen Erwartungen, dass jede kleine Landgemeinde ihren eigenen Hausarzt bekommt, in die Irre.

Die Menschen seien ja mobil genug und nähmen zum Supermarkt auch weite Anfahrten in Kauf. Medizinische Versorgungszentren (MVZ) könnten, so Botzlar, einen wertvollen Beitrag zur Versorgung leisten.

Der hohe Anteil angestellter Ärzte in den MVZ - derzeit etwa 80 Prozent - verdeutliche die Attraktivität dieser Alternative.

Laut Botzlar muss die Gesellschaft sich grundsätzlich darüber verständigen, welches System sie haben will, und welches System sie bezahlen will.

Eine solche Debatte sei freilich in Deutschland sehr viel schwieriger zu führen als zum Beispiel in der Schweiz, wo über Grundsatzfragen nicht eine parlamentarische Mehrheit, sondern die Bevölkerung selbst in Volksabstimmungen entscheidet.

Somit seien die Parteien dort "von unpopulären Themen entlastet". Dazu gehöre auch die Diskussion über Priorisierung, die seiner Ansicht nach endlich geführt werden muss. Stattdessen herrsche in der Versorgungsrealität heimliche Rationierung.

Nach einer Umfrage des MB vom vergangenen Jahr liege die Zahl der unbesetzten Arztstellen deutlich über den offiziell verbreiteten Zahlen, nämlich bei etwa 12.000, so Botzlar.

Das ergebe sich aus den Antworten der befragten Ärzte über die Zahl der unbesetzten Stellen an ihren Abteilungen, die im Schnitt 1,5 betragen habe. Besonders ausgeprägt sei das Problem an den Universitätskliniken.

Historisch gehe der sich anbahnende Mangel an Ärzten in der ambulanten Versorgung auf die Niederlassungswelle vor rund zwei Jahrzehnten zurück, die ihrerseits eine Reaktion auf eine befürchtete Niederlassungssperre gewesen sei.

So sei bei den niedergelassenen Ärzten eine relativ homogene Altersstruktur mit einem hohen Anteil an über 60-Jährigen entstanden, die nun einen plötzlichen Ärztemangel auslöse.

Um die kurative Medizin attraktiver zu machen für die Nachwuchskräfte, bedarf es laut Botzlar auch veränderter Führungsmethoden und der Schaffung kollegialer Strukturen.

Historisch sei die Krankenhausmedizin durch eine Militärhierarche gekennzeichnet, die immer noch nicht überwunden sei. Betriebsklima und Führungsqualitäten der leitenden Ärzte würden ein immer wichtigeres Thema bei der Stellenbesetzung. Inzwischen befinden sich in Arbeitgeberbewertungsbörsen auch Krankenhäuser.

Bei der Weiterbildung läuft längst nicht alles rund

Ein weiteres Arbeitsfeld sieht Botzlar in Dauer und Inhalten der Weiterbildung an den Krankenhäusern, auch im Hinblick auf die Konkurrenz im Ausland.

Erst seit 2009 wird auch in Deutschland die Weiterbildung durch Befragung der Weiterzubildenden und der Weiterbildungsbefugten evaluiert.

An der seit Juni dieses Jahres laufenden Befragung haben sich nach seinen Angaben bis Ende Juli nur etwa zehn Prozent der Weiterzubildenden beteiligt.

Nach den Worten von Hasselblatt-Diedrich "müsste da doch ein Aufschrei sein" angesichts der Folgen der wirtschaftlichen Zwänge auf die ärztliche Arbeit an den Kliniken. Wie Botzlar berichtete, wurde der Befragungszeitraum bis Ende September verlängert.

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