Essstörungen erfordern einen multimodalen Ansatz
Magermodells, magersüchtige Skispringer: Essstörungen sind zu einem gesellschaftlichen Problem geworden.
Von Michael Langenbach
DÜSSELDORF. Die internationalen Klassifikationssysteme (ICD-10, DSM-IV) definieren zwei Formen von Essstörungen: Anorexia nervosa (AN) und Bulimia nervosa (BN).
Darüber hinaus hat das Binge Eating (psychogene Essattacken) große epidemiologische Bedeutung. Bei AN werden eine "bulimische" und eine restriktive ("asketische") Form unterschieden.
Bei BN unterscheidet man eine Form mit Erbrechen oder Gebrauch von Laxantien, Diuretika oder Einläufen zur Kompensation der Essanfälle ("Purger") und eine Form, bei der die Patienten versuchen, die Essanfälle durch Nahrungsrestriktion oder extreme körperliche Bewegung auszugleichen ("Nichtpurger").
Fünf Kriterien
Nach ICD-10 ist die AN durch fünf Kriterien definiert: Erstens, das Körpergewicht liegt mindestens 15 Prozent unter dem zu erwartenden oder der BMI beträgt 17,5 oder weniger.
Zweitens, ist der Gewichtsverlust selbst herbeigeführt durch Vermeidung von "fettmachenden" Speisen, selbstinduziertem Erbrechen oder Abführen, übertriebene körperliche Aktivität und Gebrauch von Appetitzüglern oder Diuretika.
Als drittes kommt eine Körperbildstörung hinzu: Die Angst, zu dick zu werden, besteht als eine tiefverwurzelte, überwertige Idee. Die Betroffenen legen eine sehr niedrige Gewichtsschwelle für sich selbst fest.
Viertes Kriterium ist eine endokrine Störung auf der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse, die sich bei Frauen als Amenorrhö, bei Männern als Libido- oder Potenzverlust manifestiert.
Und fünftens: Bei Beginn der Erkrankung vor der Pubertät ist die Abfolge der pubertären Wachstumsschritte verzögert oder gehemmt.
Männer weniger gefährdet
Frauen sind etwa zehnmal häufiger von Anorexie und Bulimie betroffen als Männer. Die Prävalenz der AN liegt in der besonders gefährdeten Gruppe der 15 - bis 35-jährigen Frauen bei rund ein Prozent, die BN-Prävalenz bei zwei Prozent.
Die Prävalenz von Binge Eating wird auf etwa zwei Prozent der Allgemeinbevölkerung geschätzt - zwei Drittel davon Frauen.
Die Behandlung von Patienten mit Essstörungen erfolgt überwiegend psychotherapeutisch. Körperliche Krisen erfordern gelegentlich somatische Maßnahmen.
Neben spezifischen, auf die jeweilige Störung ausgerichteten Interventionen (Essvertrag, Gewichtskontrolle) werden die psychischen Beeinträchtigungen (Emotionsregulation, Affektdifferenzierung, intrapsychische und interpersonelle Konflikte) fokussiert.
Zur Person: Privatdozent Michael Langenbach ist Arzt am St. Marien-Hospital Bonn, Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie