Medica Econ Forum
Mehr Kreißsäle sollen in die Hand von Hebammen
Ein Forschungsprojekt der Uni Bonn zu hebammengeleiteten Kreißsälen hat positive Ergebnisse gebracht. NRW will das System nun großflächig fördern – und so dem Fachkräftemangel an Kliniken entgegenwirken.
Veröffentlicht:Düsseldorf. Nordrhein-Westfalen will den Anteil der von Hebammen geleiteten Kreißsäle in geburtshilflichen Krankenhausabteilungen deutlich erhöhen. Deshalb hat das Land einen Förderaufruf an die knapp 140 in Frage kommenden Kliniken gerichtet. Sie können für die Implementierung oder Weiterentwicklung solcher Angebote bis Ende 2022 bis zu 25.000 Euro vom Land erhalten.
„Wir haben schon viele Anträge erhalten“, berichtete Juliane Walz, Leiterin der Projektgruppe „Strukturelle Weiterbildung Geburtshilfe“ im Landesgesundheitsministerium, auf dem Medica Econ Forum der Techniker Krankenkasse während der Medizinmesse Medica in Düsseldorf.
In den hebammengeleiteten Kreißsälen könnten nur Hebammen arbeiten, die mindestens zwei Jahre Berufserfahrung in der Geburtshilfe haben, sagte Walz. Das Modell setzt auf die enge Zusammenarbeit der Hebammen mit den Ärztinnen und Ärzten. „Ärzte und Hebammen entscheiden gemeinsam, welche Frauen teilnehmen können.“
23 derartige Kreißsäle bundesweit
Solche Kreißsäle gibt es seit 2003 in Deutschland, ihre Zahl liegt bundesweit bei 23. Davon sind neun in NRW. Auch nach Ablauf des Förderprogramms wird das Land weiter daran arbeiten, dass es immer mehr werden, kündigte die Juristin an, die selbst zehn Jahre als Hebamme gearbeitet hat. Ihre Zielvorstellung: „Irgendwann müssen Kliniken begründen, warum sie keinen hebammengeleiteten Kreißsaal anbieten.“
Walz sieht ihn als Baustein zu einer Verbesserung der geburtshilflichen Versorgung, in Ergänzung des ärztlich geleiteten Kreißsaals. Als Ziele nannte sie die Förderung der physiologischen Geburt sowie der selbstbestimmten Geburt und die verbesserte Zusammenarbeit der Berufsgruppen. Walz verwies auf ein vom NRW-Gesundheitsministerium gefördertes Forschungsprojekt der Uniklinik Bonn zum hebammengeleiteten Kreißsaal.
Danach verbessert sich die interprofessionelle Zusammenarbeit, die Arbeitszufriedenheit der Hebammen erhöht sich. Nach der bisherigen Auswertung ist die Sicherheit im Kreißsaal gegeben, er hat positive Auswirkungen auf die Geburtsverläufe, was sich in weniger Interventionen und einer kürzeren Geburtsdauer niederschlägt.
Weniger Peridualanästhesien
Die Zahl der Peridualanästhesien habe sich im hebammengeleiteten Kreißsaal um 20 Prozent reduziert, sagte Professor Ulrich Gembruch, Leiter der Abteilung für Geburtshilfe und Pränatale Medizin am Perinatalzentrum der Bonner Uniklinik. Das Haus sei die einzige Universitätsklinik mit einem solchen Angebot. „Wir haben von vielen Frauen gehört, dass sie nicht an Kliniken entbinden wollen, weil sie Angst haben, dass dort zu viel interveniert wird“, erläuterte er.
Die Klinik hat eine Sprechstunde für interessierte Frauen eingerichtet. Dort werden sie aufgeklärt und es wird anhand eines Kriterienkatalogs geprüft, ob sie für eine Entbindung im hebammengeleiteten Kreißsaal in Frage kommen. „Nach unserem Katalog kämen 20 bis 25 Prozent der Frauen in Deutschland dafür in Frage“, sagte er.
Die Hebammenversorgung an den Kliniken müsse deutlich verbessert werden. Viele Frauen müssten abgewiesen werden, weil es nicht genug Personal gibt. „Das ist das Problem, das wir in den nächsten Jahren irgendwie lösen müssen.“
Anreiz für Bewerbungen
Das Vorhalten eines solchen Kreißsaals sei ein Grund für Hebammen, sich an der entsprechenden Klinik zu bewerben, sagte Andrea Ramsell, Beirätin für den Angestelltenbereich im Deutschen Hebammen Verband. „Er bietet einen guten Arbeitsplatz für Hebammen.“ Die Zusammenarbeit zwischen Hebammen und Ärztinnen sowie Ärzten ist grundsätzlich gut, findet sie. „Aber die Zusammenarbeit in einem Projekt steigert noch einmal die Attraktivität.“
Gleichzeitig ist der hebammengeleitete Kreißsaal in ihren Augen ein sehr gutes Versorgungsmodell für die Frauen. Es gehe darum, Angebote zu schaffen, die dem Wunsch der Gebärenden und der Familien entsprechen, sagte Ramsell. Kliniken haben in ihren Augen einen Wettbewerbsvorteil, wenn sie einen solchen Kreißsaal anbieten. „Wegen des Personalmangels können wir das nicht flächendeckend vorhalten“, bedauerte sie.