Berufsrecht beim DÄT
Ärztetag hebt Verbot der Suizidbeihilfe auf
Das Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe ist gefallen. Die Streichung der entsprechenden Passage aus der Musterberufsordnung erhielt am Mittwoch eine überzeugende Mehrheit des Deutschen Ärztetages. Eine Pflicht zur Beihilfe soll daraus aber nicht erwachsen.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Berlin. Mit mehr als 90 Prozent Zustimmung sind die Delegierten des 124. Deutschen Ärztetages am Mittwochabend dem Beschlussantrag des Vorstands der Bundesärztekammer gefolgt und haben das Verbot der Suizidbeihilfe gestrichen.
In der Folge wird nun der Satz „Sie (die Ärzte, die Red.) dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten“ aus dem Artikel 16, „Beistand für Sterbende“ der Musterberufsordnung Ärzte (MBO) gestrichen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte am 26. Februar 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidassistenz für verfassungswidrig erklärt. Solange das berufsrechtliche Verbot der Ärzteschaft fortbestehe, schaffe sie einen tatsächlichen Bedarf nach geschäftsmäßigen Angeboten der Suizidhilfe. Da einige Landesärztekammern den Satz bereits aus ihren Berufsordnungen gestrichen haben, werde die Verwirklichung der Selbstbestimmung Einzelner zudem „geografischen Zufälligkeiten“ unterstellt.
Ärztetag lehnt Pflicht zur Beihilfe ab
Den Satz: „Es ist damit den Ärztinnen und Ärzten überlassen, aufgrund individueller Gewissensentscheidungen insbesondere schwer kranke Patientinnen und Patienten bei einem Suizid zu unterstützen“, haben die Abgeordneten aus dem Antrag des Vorstands herausgestimmt.
Die Autoren des Änderungsantrags räumen allerdings ein, dass die moralische Rolle, welche die deutsche Ärzteschaft zum Thema des ärztlich assistierten Suizids nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts einnehme, noch nicht abschließend definiert sei.
Einem Antrag, auch das Verbot, Patienten auf deren Verlangen hin zu töten, aus der MBO zu streichen, folgten die Abgeordneten nicht.
Ausnahmen nicht ausgeschlossen
Eine breite Mehrheit des Ärztetages stellte sich hinter einen Beschlussantrag von Dr. Susanne Johna, Dr. Martina Wenker und Rudolf Henke sowie zahlreicher Abgeordneter mehr, eine Verpflichtung von Ärztinnen und Ärzten zur Mitwirkung beim assistierten Suizid ausdrücklich abzulehnen. Eine Mitwirkung von Ärztinnen und Ärzten bei der Selbsttötung sei keine ärztliche Aufgabe.
Die „Herbeiführung des Todes war und ist nie Ziel einer ärztlichen Heilbehandlung“, heißt es in einem Antrag von Dr. Christoph Stork (Hessen) und weiterer Abgeordneter zum Thema, der ebenfalls mit großer Mehrheit beschlossen wurde.
Ausnahmen soll es geben dürfen. „Bei terminal Erkrankten kann es davon abweichende und begründete Einzelfallentscheidungen geben“, formuliert der Beschluss. Betont wird darin aber, dass es „niemals“ Aufgabe der Ärzteschaft sein könne, Nichterkrankten einen Sterbewunsch zu erfüllen.
Die Gesellschaft wird aufgefordert, eine breite Diskussion über die Rolle der Ärztinnen und Ärzte in der Sterbehilfe zu führen. Ziel der Diskussion solle sein, die ärztliche Position in der künftigen Gesetzgebung zur Sterbehilfe zu klären.
Keine Bescheinigung vom Arzt
In diesem Zusammenhang hat der Ärztetag eine eventuelle Verpflichtung abgelehnt, Sterbewilligen eine ärztliche Beratungsbescheinigung auszustellen, damit sie an tödliche Medikamente gelangen können. Grundsätzlich aber gehöre das vertrauensvolle Gespräch von Arzt und Patient auch bei diesem Thema zum Kern ärztlicher Tätigkeit. Das gelte auch für Gespräche mit nicht erkrankten Sterbewilligen.
Der Ärztetag macht sich darüber hinaus für mehr Suizidprävention und leichteren Zugang zur Palliativversorgung stark. Sollten Ärzte an Entscheidungen über die Gewährung einer Suizidassistenz beteiligt sein, sollen bei der Einzelfallentscheidung mehrere Ärzte beteiligt werden.
Bundesärztekammerpräsident Dr. Klaus Reinhardt verwies eingangs der Debatte darauf, dass die Diskussion mit dem Ärztetag nicht zu Ende sei. Die Ärzteschaft müsse sich nun in das anstehende Gesetzgebungsverfahren zur Neuregelung der Suizidbeihilfe sowie den Ausbau von Suizidprävention und Beratung einbringen. „Das erwartet die Politik von uns“, sagte Reinhardt.
Soziale Not im Blick behalten
Für ihn sei klar, dass ärztliche Suizidprävention nicht nur in der Bewertung der Freiverantwortlichkeit eines Sterbeentschlusses liegen könne, wie dies in den vorliegenden fraktionsoffenen Gesetzentwürfen zur Neuregelung der Suizidbeihilfe anklingt.
Zur Sprache kommen in der politischen Diskussion sollten auch Armut, Vereinsamung und Depression. Lebensverhältnisse und Lebensqualität verbessern könnten Ärzte und Pflegekräfte aber nicht alleine. Die ganze Gesellschaft sei gefordert, darüber eine Orientierungsdebatte zu führen.
„Suizidassistenz ist keine ärztliche Aufgabe“ sagte Reinhardt. Das schließe nicht aus, dass ein Arzt einem leidenden Patienten im Einzelfall helfen dürfe. „Ich kann mir vorstellen, der Bitte eines Patienten im Einzelfall nachzukommen“, sagte Reinhardt.
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„Wir wollen klarstellen, dass wir die Gewissensentscheidung des einzelnen Arztes akzeptieren und nicht mehr als Berufspflichtverletzung ahnden wollen“, sagte BÄK-Vorstand Sanitätsrat Dr. Josef Mischo am Mittwoch zu Beginn der Debatte. Er bat die Ärzteschaft inständig darum, in den anstehenden Debatten keine „billige Richterschelte“ zu betreiben. Das Verfassungsgerichtsurteil sei von hoher Qualität.
Längst überfällige Diskussion
„Man muss den Verfassungsrichtern dankbar sein, dass wir nun offen über dieses Thema sprechen können“, sagte Dr. Hans Ramm (Hamburg). Diese Diskussion sei längst überfällig. Sie sei zudem klar von der Tötung auf Verlangen abgegrenzt. In die gleiche Kerbe hieb Dr. Sven Dreyer (Nordrhein).
Ärzte sollten mit ihren Patienten über deren „Grenzsituationen“ sprechen können. Die Streichung des Satzes aus der MBO sei notwendig, wenn auch nur für eine verschwindend kleine Zahl von Palliativpatienten.
Umfragen zur Sterbehilfe
72 Prozent der Deutschen sind für legale Suizidassistenz
Die Rolle der Ärzteschaft im Gesetzgebungsprozess solle sein, ein starkes Signal zu senden, dass der ärztlich assistierte Suizid keine ärztliche Aufgabe sei, sagte Dr. Steffen Liebscher (Sachsen). Menschen, die selbstbestimmt sterben wollten, seien nicht eigentlich Patienten. Dr Doreen Sallmann (Thüringen) setzte einen starken Akzent auf die Suizidprävention. Beratungsangebote müssten ausgebaut werden.
Johna warnt vor holländischen Verhältnissen
Die Vorsitzende des Marburger Bundes und BÄK-Vorstandsmitglied Dr. Susanne Johna rief dazu auf, Entwicklungen außerhalb Deutschlands zur Kenntnis zu nehmen. „Da kommt etwas auf uns zu“, mahnte sie zur Wachsamkeit. Verhältnisse wie in den Niederlanden, wo vier bis fünf Prozent aller Sterbefälle im Jahr bereits auf assistierten Suizid und auch auf aktive Sterbehilfe durch Ärzte zurückzuführen sei, solle es in Deutschland nicht geben.