HINTERGRUND
25 Jahre IvF in Deutschland - jetzt gibt es schon 100 000 Retortenbabys
Seine Geburt wurde für Zehntausende ungewollt kinderloser Frauen zum Hoffnungsschimmer: Nach jahrzehntelanger Forschung erblickte am 16. April 1982 in der Erlanger Frauenklinik das erste deutsche Retortenbaby das Licht der Welt. Erstmals war deutschen Ärzten eine künstliche Befruchtung außerhalb des weiblichen Körpers gelungen.
Am kommenden Montag feiert Oliver Wimmelbacher seinen 25. Geburtstag. Wie schon seine Mutter gibt auch er sich medienscheu. Interviews und Fotoaufnahmen lehnt der in seinem oberfränkischen Heimatort lebende Mann ab. In dem Dorf heißt es lediglich: "Der Oliver? Das ist inzwischen ein Brocken von Mann."
Erlanger Ärzte forschten seit 60er Jahren an IvF
Mit den Forschungen hatten die Erlanger Mediziner bereits in den 60er Jahren begonnen. Tierversuche widerlegten bald Bedenken, die Befruchtung einer Eizelle in einem Reagenzglas könnte ein Risiko für das so gezeugte Kind darstellen. Den Durchbruch aber brachte die Geburt des weltweit ersten Retortenbabys, Louise Brown. Es kam vier Jahre vor Oliver in Oldham bei Manchester in England zur Welt.
Doch nicht nur die Geburt von Louise Brown, auch das erste deutsche Retortenbaby löste einen gewaltigen Medienrummel aus. Um genau 14.49 Uhr erblickte Oliver Wimmelbacher als 4150 Gramm schwerer Säugling nach einem Kaiserschnitt das Licht der Welt.
Oliver Wimmelbacher war weltweit das siebte Kind, das durch eine In-vitro-Fertilisation (IvF) gezeugt wurde. Vorausgegangen waren zwölf gescheiterte Versuche des Ärzteteams um Professor Siegfried Trotnow. Reporter belagerten vor Olivers Geburt die Klinik, manche versuchten, das Personal zu bestechen, um in die Geburtshilfestation vorzudringen. Zudem mussten sich die Erlanger Reproduktionsmediziner einer lebhaften Debatte darüber stellen, ob eine künstliche Befruchtung ethisch vertretbar sei.
Die Aufregung hat sich längst gelegt. Künstliche Befruchtungen sind zum medizinischen Alltag geworden. "Mit allen Weiterentwicklungen der Methode können wir jetzt Paaren helfen, deren Behandlung vor 30 Jahren kaum denkbar war", sagt der Direktor der Erlanger Frauenklinik, Professor Matthias Beckmann. Seit der Geburt des ersten Retortenbabys sind in Deutschland fast 100 000 Kinder durch die Methode der künstlichen Befruchtung zur Welt gekommen. Weltweit sind es nach Schätzungen von Fachleuten mehr als drei Millionen.
Seit 2003 geht die Zahl der IvF-Behandlungen zurück
Einen Rückschlag erfuhr die IvF allerdings mit der Gesundheitsreform im Jahr 2003. Denn seither müssen Paare mit Kinderwunsch die Hälfte der Behandlungskosten für künstliche Befruchtungen selbst tragen - pro Behandlungszyklus sind das etwa 1700 bis 1800 Euro. Allerdings wird der Zuschuss der Kassen nur für drei Behandlungszyklen gewährt.
Im Jahr 2003 hatte die Zahl der IvF-Behandlungen noch bei etwa 80 000 gelegen, im Jahr 2004 ging sie auf 40 000 zurück. Damit ging auch die Zahl der Kinder zurück, die mit Hilfe der IvF gezeugt wurden: Im Jahre 2003 waren dies noch knapp 17 000 Kinder, im Jahr darauf waren es dagegen nur noch etwa 5300. Vor allem finanziell schwächer gestellte Eltern schreckten offenbar vor den Kosten zurück, sagt Dr. Klaus Bühler, Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Reproduktionsmedizinischer Zentren (BRZ).
An der Universitätsklinik Erlangen konzentrieren sich Forscher inzwischen darauf, jungen krebskranken Frauen eine Chance zu geben, Kinder zu bekommen. Krebsmedikamente können die Eierstöcke dauerhaft schädigen.
Die Wissenschaftler arbeiten an einer Methode, bei Frauen vor einer Krebsbehandlung Eierstockgewebe zu entnehmen und schonend einzufrieren, um so später Schwangerschaften zu ermöglichen, erläutert Dr. Ralf Dittrich aus dem Forschungsteam.
Erfolg nach zwölf Versuchen
Der Arzt Professor Siegfried Trotnow wurde von der Geburt des ersten Retortenbabys 1978 in England überrascht. Trotnow hatte schon lange an der IvF geforscht und begann in Erlangen sofort mit der Biologin Dr. Tatjana Kleinwald und dem Tiermediziner Dr. Saafa Al-Hasani, eine IvF in Deutschland vorzubereiten. Das Team war dabei weitgehend auf sich gestellt: Die Briten hielten die Zusammensetzung der Nährflüssigkeit für den Embryo geheim, die DFG wollte das Projekt finanziell nicht fördern. Trotz aller Widrigkeiten gelang dem Team in drei Jahren und nach zwölf vergeblichen Versuchen die erste erfolgreiche künstliche Befruchtung in Deutschland. (mut)