Darmkrebsvorsorge

"Ausreden können tödlich sein"

Lieber Shopping statt zur Darmkrebsvorsorge? Das kann tödlich sein! Dr. Christa Maar, Gründerin der Felix Burda Stiftung, spricht im Interview mit der "Ärzte Zeitung" über die neue Kampagne zum Darmkrebsmonat März.

Von Beate Schumacher Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Die Plakate zur Kampagne der Felix Burda Stiftung zum Darmkrebsmonat März überraschen mit Slogans wie "Shopping kann tödlich sein". Welche Idee steht dahinter?

Dr. Christa Maar: Nach 15 Jahren mit diversen Kampagnen mit Prominenten haben wir beschlossen, einen neuen Weg auszuprobieren. 80 Prozent der Menschen in Deutschland - vor 15 Jahren waren es nur 20 Prozent - wissen heute, dass es eine Darmkrebsvorsorge gibt. Trotzdem haben bisher kaum mehr als 30 Prozent der Anspruchsberechtigten die Vorsorgekoloskopie gemacht.

Laut Neuromarketing und Hirnforschung liegt das zum großen Teil daran, dass es für die Teilnahme keine direkte Belohnung gibt. Ein darmkrebsfreies Leben ist etwas, das in ferner Zukunft liegt und nicht unbedingt als Benefit fühlbar ist.

Daher kommt auch die Haltung, dass man diese Untersuchung nicht als dringlich ansieht und sie immer wieder aufschiebt. Man lässt sich gerne von den guten Vorsätzen abbringen und schiebt Dinge vor, die vermeintlich eiliger sind und die eine kurzfristige Befriedigung verschaffen wie Shopping, Yoga, Autopolieren.

Das ist die Idee hinter der Kampagne. Solche Ausreden können tödlich sein, wenn man deswegen nicht zur Darmkrebsvorsorge geht.

Was weiß man denn über die Ausreden, die gegen eine Früherkennungskoloskopie ins Feld geführt werden?

Maar: Untersuchungen zufolge steht als Erstes die Einschätzung: Ich fühle mich doch gesund. Ich müsste ja spüren, wenn mit mir etwas nicht stimmen würde. Das zeigt, dass viele gar nicht begriffen haben, dass Vorsorge eben gerade dann ansetzt, wenn man nichts spürt.

Als zweites Argument kommt dann: Ich habe keine Zeit. Die klassische Ausrede für alles, was nicht mit eindeutig angenehmen Gefühlen verbunden ist.

Was kann der Hausarzt tun, um solche Argumente zu entkräften?

Maar: Das Problem ist, dass der Hausarzt wenig Zeit hat und die Darmkrebsvorsorge bei ihm eine untergeordnete Rolle spielt. Der Hämoccult-Test ist zum Beispiel lausig bezahlt. Mit der Ausgabe des Tests müsste ein Aufklärungsgespräch verbunden sein, damit der Patient überhaupt begreift, warum der Test für ihn wichtig ist.

Aber so ein Gespräch ist nicht vorgesehen und wird dem Arzt nicht bezahlt. Das ist ein Fehler im System, der dazu führt, dass viele Menschen den Test nicht machen.

Wie hat sich die Teilnahme am Darmkrebs-Screening in den letzten Jahren entwickelt?

Maar: Wie gesagt, sind es ungefähr 30 Prozent der Anspruchsberechtigten, die die Vorsorgekoloskopie bisher gemacht haben, jedes Jahr sind es etwa 2,5-3 Prozent.

Im Prinzip ist aber ungefähr die Hälfte von ihnen dennoch vor Darmkrebs geschützt, weil sie in den zurückliegenden Jahren irgendwann eine kurative Koloskopie erhalten haben. Auch das Robert Koch-Institut geht inzwischen davon aus, dass die sechs Millionen Vorsorgekoloskopien, die seit 2002 durchgeführt wurden, dazu beigetragen haben, dass die Inzidenz und Sterblichkeit von Darmkrebs kontinuierlich zurückgehen.

Schon 2013 wurde die Einführung eines Einladungsverfahrens gesetzlich verankert. Nun muss der GBA bis April die Vorschriften zur Umsetzung beschließen. Wie lange wird es dann voraussichtlich noch dauern, bis das organisierte Screening startet?

Maar: Das wird noch eine Zeitlang dauern. Die Einführung eines solchen Programms ist doch komplexer, als viele sich das vorgestellt haben. Allein beim immunologischen Stuhltest gibt es viele Fragen zu klären: Wird er quantitativ oder qualitativ ausgewertet, macht das ein Zentrallabor, wie geht man mit den Tests verschiedener Hersteller mit unterschiedlichen Schwellenwerten um?

Es scheint aber klar, dass der immunologische Stuhltest kommen wird. Wahrscheinlich wird man auch die Männer früher einladen, weil sie im Schnitt fünf Jahre früher erkranken. Von dem Einladungsverfahren erhoffen wir uns natürlich, dass durch die persönliche Ansprache sehr viel mehr Menschen erreicht und motiviert werden, an der Vorsorge teilzunehmen.

Selbst wenn sie nur den immunologischen Stuhltest machen, ist das schon sehr viel besser als der alte Stuhltest, denn die Sensitivität liegt bei ungefähr 70 Prozent. Er erkennt damit zwei- bis dreimal mehr Karzinome und Adenome als der guajakbasierte Test.

Fachgesellschaften und andere Organisationen, darunter auch das Netzwerk gegen Darmkrebs, haben in der Berliner Erklärung gefordert, dass der GBA in seinen Vorgaben bestimmte Aspekte berücksichtigt. Einer davon betrifft die Informationsmaterialen, die an die Anspruchsberechtigten verschickt werden. Worauf kommt es Ihnen denn dabei an?

Maar: Die Leute müssen verstehen, was da steht. Aus der Information sollte klar hervorgehen, warum Darmkrebs so gefährlich ist und dass es sich um einen Krebs handelt, den man durch die Koloskopie verhindern kann, indem man die Vorstufen entfernt.

Mit statistischen Zahlen können viele Menschen nichts anfangen, die verstehen sie nicht. Aber man muss natürlich über die Nebenwirkungen und Risiken der Untersuchung aufklären.

Doch sollte man so informieren, dass die Menschen nicht von vorneherein abgeschreckt werden, sondern wirklich eine informierte Entscheidung für oder gegen die Untersuchung treffen können. Im Übrigen ist die Vorsorgekoloskopie eine sehr risikoarme Untersuchung. Die Komplikationsrate liegt im Promillebereich.

Sie fordern außerdem, Risikogruppen gesondert zu berücksichtigen. Welche Defizite gibt es hier?

Dr. Christa Maar

Position: Vorstand der Felix Burda Stiftung und Präsidentin des Netzwerks gegen Darmkrebs

Ausbildung: Studium der Kunstgeschichte

Karriere: Drehbuchautorin, Regisseurin und Chefredakteurin

Privates: Ihr Sohn Felix starb 2001 an Darmkrebs

Maar: Alle Menschen, die Verwandte ersten Grades mit Darmkrebs haben, haben ein familiär erhöhtes Risiko für diesen Krebs. Es reicht ein direkter Verwandter, damit sich das eigene Risiko verdoppelt bis vervierfacht.

Menschen mit familiär erhöhtem Risiko erkranken nachgewiesenermaßen häufiger und, laut einer Metastudie von Professor Hermann Brenner vom DKFZ, im Schnitt auch zehn Jahre früher. Die Leitlinien empfehlen deswegen, dass sie sich spätestens mit 40 bis 45 Jahren koloskopieren lassen.

Menschen, in deren Familie gleich mehrere Darmkrebserkrankungen und eventuell weitere damit korrelierte Krebserkrankungen auftreten, können zudem ein erbliches Risiko haben. Sie sollten laut Leitlinie schon ab dem Alter von 25 Jahren mit Koloskopie vorsorgen.

Um die Menschen mit familiärem oder erblichem Darmkrebsrisiko kümmert sich gegenwärtig niemand. Sie haben keinen Anspruch auf eine vorgezogene Koloskopie. Wenn sie vom Hausarzt zur Koloskopie geschickt werden, muss der Gastroenterologe eine Diagnose stellen, damit er die Untersuchung abrechnen kann.

Im Krebsfrüherkennungsgesetz ist festgelegt worden, dass der GBA für Risikogruppen abweichende Altersgrenzen und Häufigkeiten für die Untersuchungen festlegen kann. Das wird jetzt im GBA diskutiert.

Ich hoffe, dass man nicht nur die kurzfristigen Kosten sieht, sondern auch berücksichtigt, dass die Behandlung eines metastasierten Darmkrebses - und bei Menschen aus dieser Risikogruppe wird der Tumor besonders häufig erst in diesem Stadium erkannt - mehr als 200.000 Euro kosten kann.

Wie kann der Hausarzt zu einer besseren Früherkennung in den Risikogruppen beitragen?

Maar: Ich denke, dass Hausärzte verpflichtet werden müssen, bei allen ihren Patienten die Familienanamnese zu erheben. Dann kann man schon früh erkennen, ob es ein familiäres oder sogar ein erbliches Risiko gibt.

Heute ist es in vielen Kliniken immer noch so, dass Darmkrebspatienten entlassen werden, ohne dass jemand sie über das Risiko für ihre Angehörigen aufgeklärt hat.

In der Krebsfrüherkennungsrichtlinie muss verankert werden, dass Menschen mit familiärem und erblichem Darmkrebs Anspruch auf risikoangepasste Früherkennung haben und dass von den Ärzten verpflichtend bei allen Versicherten die Familienanamnese erhoben wird.

In den letzten Jahren hat die Zahl der Kolorektalkarzinome bei jungen Menschen kontinuierlich zugenommen. Wie kann man in dieser Altersgruppe die Früherkennung verbessern?

Maar: Das ist schwierig, wenn die Familienanamnese keinen Hinweis auf ein familiär erhöhtes Risiko gibt. Die Gründe für die Zunahme sind bisher nicht untersucht, es könnte einen Zusammenhang mit dem Lebensstil geben, also Übergewicht, ungesunde Ernährung, zu wenig Bewegung, aber das ist spekulativ.

Was man weiß, ist, dass Übergewichtige anfällig für Diabetes sind und Diabetiker ein erhöhtes Risiko für Darmkrebs haben.

In der Berliner Erklärung wird auch gefordert, dass alle Maßnahmen von den Leistungserbringern elektronisch dokumentiert werden. Das ist bisher vernachlässigt worden …

Maar: Seit den 70er-Jahren werden von den Ärzten Stuhltests abgegeben, ohne dass wir wissen, wie viele gemacht wurden und was dabei herausgekommen ist.

Viele Hausärzte sagen, dass etwa die Hälfte der Tests im Papierkorb landet. Die Ergebnisse müssen dokumentiert werden, damit wir wissen, wie viele Tests tatsächlich gemacht wurden und was dabei unterm Strich herausgekommen ist.

Sie können dieses Jahr auf 15 Jahre Felix Burda Stiftung zurückblicken. Was waren Ihre wichtigsten Erfolge in dieser Zeit?

Maar: Der erste Darmkrebsmonat im Jahr 2002 hat für so viel Aufmerksamkeit gesorgt, dass der GBA ein halbes Jahr später die Vorsorgekoloskopie eingeführt hat. Das war ein großer Erfolg, den es ohne die Kampagnen und die vielen Menschen und Kliniken und Medien, die uns unterstützt haben, nicht gegeben hätte.

Der zweite große Erfolg war, dass Professor Riemann von der Stiftung LebensBlicke und ich im Nationalen Krebsplan nie davon abgewichen sind, dass wir ein Einladungsverfahren brauchen und dass Menschen mit familiärem oder erblichem Risiko einen Anspruch auf frühere Koloskopien haben sollen. Beide Empfehlungen sind jetzt im Krebsfrüherkennungsgesetz enthalten.

Was ist Ihr nächstes großes Ziel?

Maar: Was mir außerordentlich am Herzen liegt, ist die bessere Versorgung von Menschen mit einem familiären Risiko. Es ist ja nicht nur so, dass sie keinen Anspruch auf eine vorgezogene Vorsorge haben, sondern man tut gegenwärtig auch nichts, um sie frühzeitig zu identifizieren und aufzuklären. Das zu ändern ist unser nächstes großes Ziel und daran arbeiten wir über verschiedenste Stellschrauben.

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