Nikotinabusus
Bei E-Zigaretten „Dual Use unbedingt vermeiden“
Experten plädieren dafür, dass E-Zigaretten zur Tabakentwöhnung mehr Aufmerksamkeit erhalten. Entscheidend sei allerdings, klar zu kommunizieren, dass nur ein kompletter Umstieg gesundheitliche Vorteile bringt.
Veröffentlicht:Frankfurt. An E-Zigaretten scheiden sich die Geister. Zumindest in den USA sprechen Public Health Experten mittlerweile von einer „Vaping-Epidemie“ bei jungen Menschen. Über 27 Prozent der High School Schüler rauchten dort 2019 E-Zigaretten, nach nur rund zwei Prozent im Jahr 2011. Im gleichen Zeitraum ging der Anteil der Schüler, die konventionelle Zigaretten rauchten, von rund 16 auf rund sechs Prozent zurück. (N Engl J Med 2020; 382:689-91)
Zunehmend unstrittig ist, dass E-Zigaretten, richtig eingesetzt, ein Hilfsmittel bei der Entwöhnung von bereits tabaksüchtigen Menschen sein können. Denn konventionelle Tabakprodukte seien gerade in Deutschland weiterhin ein großes Problem, erläuterte Professor Heino Stöver vom Institut für Suchtforschung, Frankfurt University of Applied Sciences.
Die Prävalenz der erwachsenen Tabakraucher in Deutschland liege aktuell bei 27,5 Prozent und damit deutlich höher als in anderen europäischen Ländern. Deutschland ist europaweit allerdings auch bei den Tabakkontrollmaßnahmen das absolute Schlusslicht, wie zuletzt die Tabakkontrollskala 2019 der Europäischen Krebsligen (ECL) erneut gezeigt hat.
Nikotinersatz kommt nicht gut an
Aus Sicht eines Lungenfacharztes sei die E-Zigarette eine relevante Facette der Tabakentwöhnung, sagte Dr. Thomas Hering aus Berlin bei einem Webinar des Instituts für Suchtforschung. Es sei nicht wegzudiskutieren, dass die Nutzerquoten bei den in den Leitlinien verankerten Entwöhnungs-Tools eher gering seien: „Unsere Zielgruppe mag den Nikotinersatz nicht. Der Appeal der E-Zigarette ist dagegen ähnlich gut wie beim Tabak. Letztlich muss der Köder dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.“
Der Pneumologe zeigte sich überzeugt, dass die Toxizität von E-Zigaretten deutlich geringer ist als die konventioneller Zigaretten. So hätten Experten vom College of Global Public Health der New York University die Toxizität in einem vor zwei Jahren publizierten Review ähnlich jener von Nikotinersatzprodukten gewertet (Ann Rev Public Health 2018; 39:193-213).
Dieser Einschätzung schloss sich auch Professor Martin Storck von der Thoraxchirurgie am Klinikum Karlsruhe an. Er wies darauf hin, dass besonders im Zusammenhang mit der Atherosklerose-Entstehung Vorteile von E-Zigaretten bestünden, weil es nicht so sehr das Nikotin, sondern die zahlreichen anderen Bestandteile des Tabakrauchs seien, die die Entstehung atherosklerotischer Plaques begünstigten. Dies werde von Gesundheitsbehörden auch zunehmend erkannt.
So hebe etwa Public Health England, eine Behörde des britischen Gesundheitsministeriums, hervor, dass E-Zigaretten wesentlich risikoärmer als Zigaretten seien und dass Rauchern daher empfohlen werden könne, komplett auf das Dampfen zu wechseln.
Ziel muss kompletter Verzicht auf Tabak sein
Die Crux an dieser und ähnlichen Empfehlungen ist das Wörtchen „komplett“. Das betonte auch Hering: „Ziel bei der Entwöhnung muss es ganz klar sein, nach einer überschaubaren Übergangsphase den Konsum von Tabak vollständig sein zu lassen. Ein ‚Dual Use‘ muss unbedingt vermieden werden, weil schon eine nur geringe Nutzung von Tabak ein hohes Risiko darstellt.“
Illustrieren lässt sich das anhand einer schon etwas älteren Untersuchung, die klar zeigte, dass das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen nicht linear mit der Zahl der Zigaretten pro Tag ansteigt. Vielmehr wird ein erheblicher Teil des Risikos schon bei wenigen Zigaretten pro Tag erreicht (Circulation 2009; 120:941-8). Ähnliches gilt für die Lungenrisiken des Zigarettenrauchens.
Hering nutzt diese Daten bei Patienten, die auf E-Zigaretten umsteigen wollen, unmittelbar in der Beratung: „Ich sage ihnen deutlich, dass sie schon bei drei bis fünf Zigaretten 80 Prozent des Risikos haben, das sie mit der E-Zigarette eigentlich vermeiden wollen. Das wird auch verstanden.“ Hilfreich sei es auch, den „Beikonsum“ anhand des CO-Hb immer wieder zu überprüfen. Generell bleibe die Entscheidung über die richtige Entwöhnungsstrategie sehr individuell, so der Pneumologe. Suchtgrad, Bildungsgrad, Einkommen und nicht zuletzt die Motivation spielten tragende Rollen.