Grippewelle trifft Arztpraxen

"Bei mir ist die Hölle los"

Hausarzt- und Bereitschaftsdienstpraxen sowie Notaufnahmen ächzen unter den Folgen der starken Grippewelle. Doch bewältigen die Praxisteams den Mehraufwand derzeit offenbar noch gut. Ein Überblick.

Alexander JoppichVon Alexander Joppich Veröffentlicht:
Bei einer Grippewelle kann es auch am Empfang einer Praxis zu Wartezeiten kommen.

Bei einer Grippewelle kann es auch am Empfang einer Praxis zu Wartezeiten kommen.

© Picture-Factory / fotolia.com

NEU-ISENBURG.Volle Wartezimmer, arbeiten am Kapazitätsmaximum: Die offiziellen Influenza-Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) sind hoch und das spüren auch Arztpraxen in ganz Deutschland beim Patientenaufkommen.

Die "Ärzte Zeitung" hat Allgemeinmediziner in mehreren Bundesländern nach ihrer Situation befragt. Das Ergebnis: Die Ärzte bewältigen den großen Andrang in den Praxen, allerdings nur mit Mühe. Bei der Behandlung setzen Hausärzte überwiegend auf eine symptomorientierte Therapie.

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"Wir arbeiten am Kapazitätsmaximum."

Auch die Praxis von Dr. Heidrun Jost in Sulzbach am Taunus zum Beispiel verzeichnet ein deutlich erhöhtes Patientenaufkommen, wie die Praxischefin auf Anfrage erläutert. Luft nach oben sieht Jost kaum: "Wir arbeiten am Kapazitätsmaximum." Dieses Jahr kämen besonders viele Erkrankte mit hohem Fieber, ausgeprägtem Schwächegefühl und Schweißausbrüchen. Bei der Behandlung setzt die Allgemeinmedizinerin auf klassische Therapieansätze: "Ruhe und viel Trinken", lautet ihre Devise. Nur bei Hinweisen auf bakterielle Superinfektionen setzt sie Antibiotika ein – antivirale Mittel überhaupt nicht.

Ein ähnliches Bild zeichnet die Praxis von Dr. Johannes Brümel in Bad Driburg (NRW). Auch hier sei das Patientenaufkommen sehr hoch; Patienten kommen typischerweise mit einer Laryngitis oder Tracheobronchitis. Im Gegensatz zum Trend kommen zu Blümel dieses Jahr deutlich weniger Patienten, die gegen Grippe geimpft sind. Auch in dieser Praxis setzt man auf Altbewährtes: Symptom-orientierte Behandlung und ansonsten Schonung zur Genesung. Nachfragen in Praxen anderer Bundesländer zeichnen ein ähnliches Bild der Lage.

Mehr Fahrzeuge im Einsatz

Beispiel Berlin: Die Hausärztin und stellvertretende Vorsitzende der KV-Vertreterversammlung in Berlin Dr. Gabriele Stempor ist extrem kurz angebunden, als die "Ärzte Zeitung" sie in der Praxis erreicht. "Ganz schlecht, bei mir ist die Hölle los", sagt sie. Die Grippewelle hält ihr Praxisteam in Atem. Auch Hausarzt-Kollegen haben ihr berichtet, dass ihre Praxen voll sind.

Auch im Ärztlichen Bereitschaftsdienst der KV Berlin wirkt sich die Grippewelle aus. Die Aufträge sind nach KV-Angaben um ein gutes Drittel gestiegen. Seit Mitte Januar wurde der fahrende Bereitschaftsdienst aufgestockt, so dass nun pro Tag mindestens zwei Fahrzeuge mit Ärzten mehr im Einsatz sind. Jedoch haben nicht alle Patienten echte Influenza, weit verbreitet sind auch grippale Infekte.

Jeder Vierte hat grippale Symptome

Das beobachtet auch der Berliner Hausarztinternist Dr. Rüdiger Brand. "Langwierige Infekte sind fast die Regel. Das trifft geimpfte wie ungeimpfte Patienten", sagte er der "Ärzte Zeitung". Einen Teil dieser Patienten musste er mit Antibiotika behandeln, antivirale Medikamente waren jedoch bisher kaum nötig. Das Praxispersonal und Brand selbst sind geimpft und blieben bislang verschont.

Auch in benachbarten Brandenburg ist die Grippe- und Erkältungswelle angekommen. Der Vorsitzende des Hausärzteverbands Brandenburg, Dr. Johannes Becker, bemerkt seit etwa zwei Wochen einen deutlichen Anstieg der Patientenzahlen. "Jeder Vierte, der in die Praxis kommt, hat grippale Symptome", sagt er. Antivirale Mittel hat er noch nicht eingesetzt "Der Benefit ist im Vergleich zu den Kosten zu gering", meint Becker. Vereinzelt impft der Hausarzt noch. "Vor allem Männer kommen jetzt noch zum Impfen, oft auf Druck Ihrer Frauen hin", sagt Becker. Er selbst und sein Praxispersonal sind geimpft und wohlauf. Die Abläufe in der Praxis sind durch den erhöhten Andrang noch nicht gesprengt.

Verdreifachung bei Atemwegserkrankungen

Ähnlich die Situation in Hessen: In Frankfurt berichten Ärzte über eine Verdreifachung bei Atemwegserkrankungen. Nach einem Bericht in der FAZ verzeichnete allein das Frankfurter Gesundheitsamt mit 120 Influenza-Meldungen in der Woche "so viele wie noch nie". Seit zwei Wochen würden in den Kliniken der Region zudem die Betten knapp. Vor zwei Jahren habe es aber mehr Patienten gegeben, die intensivmedizinisch behandelt werden müssen.

Süden und Osten besonders betroffen

Der Deutsche Hausärzteverband bestätigt diese Erfahrungen für ganz Deutschland: In den Praxen sei das Patientenaufkommen derzeit hoch – im Süden und Osten Deutschlands besonders. Dabei verweisen die Hausärzte auch auf die Zahlen des RKI. Der Verband betont auch, dass die Allgemeinmediziner weiterhin gegen Grippe impften und Wert darauf legten, dass das Praxisteam geimpft ist. Beim Thema Einsatz antiviraler Mittel verweist man auf die Einzelfallentscheidung des jeweiligen Arztes. Sinnvoll sei der bekanntlich nur "in den ersten 48 Stunden nach Krankheitsbeginn", so Verbandssprecher Vincent Jörres.

Auch Notaufnahmen stark belastet

Die gestiegene Fallzahl macht sich nicht nur in den Hausarztpraxen bemerkbar. Der Andrang in den Klinikambulanzen ist zur Zeit ebenfalls hoch, so die Deutsche Krankenhausgesellschaft auf Nachfrage.  Um über das Patientenaufkommen Herr zu werden passten Kliniken ihre Besetzung generell stetig auf Stoßzeiten an. Dies sei auch außerhalb der Grippesaison ein Standardvorgehen.  Wie groß der Anteil an selbst erkranktem Personal sei, könne man nicht sagen. Um über das Patientenaufkommen Herr zu werden passten Kliniken ihre Besetzung generell stetig auf Stoßzeiten an, was  aber auch außerhalb der Grippesaison ein Standardvorgehen  sei.

Impfungen weiterhin empfohlen

Besonders in Bayern drängten Patienten in die Notfallversorgung. Konkrete Zahlen habe die Gesellschaft jedoch nicht parat.  Eduard Fuchshuber, Pressesprecher der Bayerischen Krankenhausgesellschaft (BKG), bestätigt das im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" teilweise. Tatsächlich kämen mehr Grippepatienten in die Notaufnahmen, jedoch auch andere. "Wenn Patienten bei sich eine schwerere Symptomatik wahrnehmen, suchen sie gern die Notaufnahme einer Klinik auf", stellt Fuchshuber fest. Sie hätten dann die Sicherheit eines umfangreichen, weiteren Behandlungsangebotes mit vor Ort.

 Dr. Wolfgang Krombholz, Allgemeinarzt und erster Vorstandsvorsitzender der KVB, berichtet: "Wir sehen in den Bereitschaftspraxen derzeit einen enormen Anstieg bei den grippalen Infekten." Auch jetzt werden Impfungen für Senioren, Schwangere und chronisch Kranke noch empfohlen. "Hausärzte, die an Alten- und Pflegeheimen im Einsatz sind, denken immer auch mit an Impfungen", so KVB-Chef Krombholz. Für Ärzte und MFA gibt es zwar keine Pflicht zur Grippeimpfung. Es sei aber davon auszugehen, dass ein Großteil ebenfalls geimpft ist.

 (ajo/ami/cmb/ger)

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