Akutversorgung
Blutdrucksenkung bringt nichts bei frischem Schlaganfall
Bei einem ischämischen Schlaganfall trägt eine frühe Blutdrucksenkung wenig zur Prognose bei: Sterberate und Behinderungsgrad werden dadurch nicht beeinflusst.
Veröffentlicht:SUZHOU. Etwa drei Viertel aller Patienten mit ischämischem Schlaganfall haben bei der Klinikaufnahme einen deutlich zu hohen Blutdruck. Ob es viel Sinn macht, diesen dann schnell und aggressiv zu senken, ist bislang unklar. Beobachtungsstudien hätten hierzu in der Vergangenheit sehr widersprüchliche Ergebnisse geliefert, berichten Wissenschaftler um Dr. Jiang He aus New Orleans in den USA und Suzhou in China.
Und in der Studie SCAST* ergab eine frühe Senkung des Blutdrucks mit Candesartan keinen Hinweis auf einen Nutzen, allerdings gelang mit dem Sartan in der Akutphase nur eine geringe Drucksenkung. An der Studie nahmen zudem auch Patienten mit hämorrhagischen Infarkten teil.
Die Forscher um He haben nun in der Studie CATIS**den Nutzen einer Blutdrucksenkung bei über 4000 Patienten mit ausschließlich ischämischem Infarkt untersucht. Die Teilnehmer stammten aus 26 Kliniken in China, hatten keine Thrombolyse erhalten und zeigten bei der Klinikaufnahme einen systolischen Blutdruck zwischen 140 und 220 mmHg (im Schnitt 165 mmHg). Bei solchen Patienten wird bisher keine antihypertensive Therapie in der Akutphase empfohlen.
Die Hälfte der Patienten bekam innerhalb von 48 Stunden nach Symptombeginn (im Schnitt nach 15 Stunden) eine antihypertensive Therapie mit dem Ziel, den Blutdruck in den folgenden 24 Stunden um zehn bis 25 Prozent zu senken. Innerhalb von sieben Tagen nach dem Infarkt sollte der Blutdruck unter 140/90 mmHg stabilisiert werden (JAMA 2014; 311(5): 479-489).
Die andere Hälfte wurde ohne Blutdrucksenker behandelt. Eine bestehende Behandlung mit Antihypertensiva unterbrachen die Ärzte. Mehr als 60 Prozent der Patienten hatten vor dem Infarkt Blutdrucksenker erhalten.
Blutdruck gesenkt, Prognose unverändert
Den Ärzte in China gelang es, in der Therapiegruppe den systolischen Blutdruck innerhalb von 24 Stunden im Schnitt um 22 mmHg (13 Prozent) zu senken, in der Kontrollgruppe ging er um 13 mmHg oder sieben Prozent zurück.
Nach sieben Tagen lag der systolische Druck in der Interventionsgruppe im Schnitt bei 137 mmHg, in der Kontrollgruppe etwa neun mmHg höher. Von den Patienten mit Antihypertensiva unterschritten zwei Drittel den Zielwert von 140/90 mmHg, in der Kontrollgruppe gelang das nur einem Drittel.
In der Gruppe mit Blutdrucksenkern führte die erfolgreiche Drucksenkung allerdings nicht zu einer besseren Prognose. Nach zwei Wochen waren in beiden Gruppen 25 Patienten (1,2 Prozent) gestorben.
Jeweils ein Drittel der Patienten erfüllte die Kriterien für den primären Endpunkt - Tod oder schwere Behinderungen, definiert als mindestens drei Punkte auf der modifizierten Rankin-Skala (mRS). Auch beim durchschnittlichen mRS-Wert fanden die Forscher keine Unterschiede, er lag in beiden Gruppen bei 2,0 Punkten.
In der Gruppe mit Antihypertensiva war lediglich die Streuung etwas größer: So gab es hier etwa ein Drittel mehr Patienten ohne Behinderungen (mRS = 0), aber auch etwa ein Drittel mehr Patienten mit äußerst schweren Behinderungen (mRS = 5).
Ein ähnliches Bild zeigte sich nach drei Monaten. Ein mRS-Wert von mindestens drei Punkten ließ sich in beiden Gruppen bei genau einem Viertel der Patienten feststellen. In der Gruppe mit Antihypertensiva waren etwas mehr Patienten gestorben (68 versus 54), dafür erreichte ein etwas höherer Anteil einen mRS-Wert von null Punkten (19 versus 17,2 Prozent).
Auch kam es in der Gruppe mit Blutdrucksenkung etwas seltener zu erneuten Infarkten (1,4 versus 2,2 Prozent) oder vaskulären Ereignissen insgesamt (2,4 versus 3,0 Prozent). Die Unterschiede waren aber nicht signifikant.
Auch Subgruppenanalysen konnten keine signifikanten Differenzen herauskitzeln: Egal ob Männer oder Frauen, hoher oder eher weniger hoher Blutdruck bei der Aufnahme, schwere oder weniger schwere Schlaganfallsymptome - die frühe Blutdrucksenkung hatte keinen Einfluss auf die Prognose.
Ein Schwachpunkt der Studie ist die relativ leichte Symptomatik der untersuchten Patienten: Der Wert auf der NIH-Schlaganfall-Skala betrug bei der Aufnahme im Schnitt vier Punkte, üblich sind nach chinesischen Registerdaten sieben Punkte - die Patienten hatten also auch schon ohne Therapie eine recht gute Prognose.
Leitlinie rät von Blutdrucksenkung ab
Nach der aktuellen Leitlinie der Deutsche Gesellschaft für Neurologie sollten Ärzte bei Schlaganfall-Akutpatienten auf eine Drucksenkung verzichten, solange der Druck unter 220/120 mmHg liegt.
"Da die Autoregulation des zerebralen Blutflusses in Arealen mit sich entwickelnden Infarkten aufgehoben sein kann und somit direkt vom systemischen Blutdruck abhängen kann, sollten Blutdruckabfälle in der Akutphase unbedingt vermieden werden", heißt es in der Leitlinie.
Bei Patienten mit Lysetherapie oder Antikoagulation darf aufgrund der Blutungsgefahr der systolische Druck jedoch 185 mmHg nicht überschreiten. "Eine Lysetherapie sollte sehr zurückhaltend indiziert werden, wenn der Blutdruck nicht unter diesen Wert gesenkt werden kann", schreiben die Leitlinienautoren.
Als weitere Indikationen für eine frühe Drucksenkung nennen sie ein Myokardinfarkt, eine Herzinsuffizienz, akutes Nierenversagen oder eine akute hypertensive Enzephalopathie.
Bei den übrigen Patienten rät die Leitlinie zu einer medikamentösen Normalisierung des Blutdrucks nach zwei bis drei Tagen, falls keine raumfordernde Wirkung des Schlaganfalls zu erwarten ist. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass sich erhöhte Blutdruckwerte nach Schlaganfällen oftmals spontan in den ersten Wochen zurückbilden, entsprechend sollten Ärzte die Therapie anpassen.
*SCAST: Scandinavian Candesartan Acute Stroke Trial
**CATIS: China Antihypertensive Trial in Acute Ischemic Stroke