Welt-Aids-Tag

Das HIV-Stigma

86.000 Menschen leben aktuell mit HIV in Deutschland. Dank moderner Medizin haben sie eine fast normale Lebenserwartung bei einer sehr guten Lebensqualität. Was statt der Infektion das Leben mit HIV beeinträchtigt: die Diskriminierung im Alltag.

Marco MrusekVon Marco Mrusek Veröffentlicht:
Menschen mit HIV fühlen sich in Deutschland häufig diskriminiert: Drei Viertel geben an, im vorgangenen Jahr Diskriminierung erfahren zu haben.

Menschen mit HIV fühlen sich in Deutschland häufig diskriminiert: Drei Viertel geben an, im vorgangenen Jahr Diskriminierung erfahren zu haben.

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Seit 1988 erinnern die Vereinten Nationen jedes Jahr am ersten Dezember an die Herausforderungen, die HIV und Aids an die Infizierten, an Angehörige, aber etwa auch an das Gesundheitswesen stellen. In Deutschland wird die Kampagne zum Welt-Aids-Tag organisiert vom Bundesgesundheitsministerium und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Partnerschaft mit der Deutschen AIDS-Hilfe und der Deutschen AIDS-Stiftung. 2018 konzentriert sich die Kampagne zum ersten Dezember ganz auf den Abbau von Vorurteilen.

Drei Viertel letztes Jahr diskriminiert

Eine HIV-Infektion bedeutet für viele Betroffene mittlerweile ein fast normales Leben. Bei rechtzeitiger Behandlung haben sie eine ähnliche Lebenserwartung wie Gesunde und können in den Bereichen Arbeit, Sexualität und Familie ein quasi normales Leben führen – wenn ihnen nicht Ablehnung und Diskriminierung entgegenschlagen. Denn davon fühlen sich viele Infizierte beeinträchtigt – in einer Studie der Deutschen AIDS-Hilfe aus dem Jahr 2012 traf dies für drei Viertel der befragten Personen mit HIV-Infektion zu.

Von 1148 Befragten gaben 77 Prozent an, im vergangen Jahr Diskriminierung erlebt zu haben. Die Formen reichten von Tratsch über Beleidigungen bis hin zu tätlichen Angriffen. Besonders häufig fühlten sich die Befragten im Gesundheitswesen benachteiligt.

Rund 20 Prozent gaben an, ihnen sei schon einmal aufgrund ihrer HIV-Infektion eine medizinische Behandlung verweigert worden. Sie hätten zum Beispiel keine Behandlung beim Zahnarzt oder nur den letzten Termin am Tag bekommen, weil das Praxispersonal davon ausgegangen sei, dass danach besondere Reinigungsmaßnahmen notwendig seien.

Eine mögliche Folge von diesen Erlebnissen von Diskriminierung seien psychische Probleme, heißt es im Material zur Kampagne. So gaben in der Befragung der AIDS-Hilfe 42 Prozent an, sie hätten aufgrund ihrer HIV-Infektion ein niedriges Selbstwertgefühl. 30 Prozent der Befragten hatten sich sogar von der Familie zurückgezogen.

Fortbildung für mehr Vielfalt

Um dieser Belastung durch Diskriminierung zu begegnen und die HIVInfizierten in Deutschland zu unterstützen, hat die Deutsche AIDS-Hilfe ein Fortbildungscurriculum mit dem Titel "Praxis Vielfalt" geschaffen, das einen Beitrag leisten soll für eine respektvolle und fachgerechte Behandlung von Menschen mit HIV. Finanziert wird es mit Mitteln des AOK-Bundesverbandes.

Teilnehmende Praxen und Ambulanzen erhielten ein Gütesiegel, heißt es in einer Mitteilung der AIDS-Hilfe. Das Curriculum soll Kenntnisse zu den Lebenswelten und speziellen Angeboten für die betroffenen Gruppen vermitteln sowie das Wissen, wie sich eine offene Atmosphäre schaffen lässt. Dazu gehören auch Grundregeln und Tipps zur Gesprächsführung, zum sensiblen Umgang mit Diagnosen und Daten sowie der Umgang mit Sprachbarrieren und verschiedenen kulturellen Hintergründen.

Durch E-Learning, in Webinaren und Gruppengesprächen soll das Wissen leicht verständlich und praxisnah vermittelt werden. Denn oft seien schlicht Unwissenheit und Unsicherheit ursächlich für eine Benachteiligung von HIV-positiven Menschen, erläutert Winfried Holz aus dem Vorstand der AIDS-Hilfe: "Offenheit und Wertschätzung sind eine notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung. Wir vermitteln Wissen und Fähigkeiten für eine respektvolle und fachgerechte Versorgung. Teilnehmende Praxen setzen ein Zeichen, das signalisiert: Bei uns bist du willkommen, deine Bedürfnisse sind uns wichtig."

Stigmen gefährden UN-Ziele

Die Angst vor Ablehnung und gesellschaftlicher Stigmatisierung belastet nicht nur die Infizierten psychisch, sie führt auch dazu, dass eine wachsende Gruppe in Deutschland HIVinfiziert ist, aber noch keine gesicherte Diagnose hat. Diese Menschen tragen also das Virus in sich, wissen aber nichts von ihrer Infektion.

Einen Test auf das Virus scheuen sie häufig aus Angst vor Diskriminierung und Ausgrenzung. Das geht aus den aktuellen Zahlen zum Leben mit HIV in Deutschland hervor, die das Robert Koch-Institut (RKI) zum Welt-Aids-Tag veröffentlicht hat.

Seit 2011 ist die Zahl der unbewusst HIV-positiven Menschen von schätzungsweise 10.800 auf 11.400 gestiegen. Diese Menschen erfahren häufig erst von ihrer Infektion, wenn das Immunsystem bereits deutlich geschädigt ist. Damit verfehlt Deutschland bislang noch das erste der drei "90-90-90"-Zielsetzungen des gemeinsamen Programmes für HIV und Aids der Vereinten Nationen (UNAIDS).

Die UNAIDS-Ziele besagen, dass bis 2020 mindestens 90 Prozent aller Menschen mit HIV ihre Diagnose haben und von diesen auch wieder mindestens 90 Prozent antiretroviral therapiert sein sollten. Bei mindestens 90 Prozent der Therapierten sollte kein HI-Virus mehr im Blut nachweisbar sein.

Zwar erhält die große Mehrheit der HIV-Infizierten mit gesicherter Diagnose in Deutschland eine antiretrovirale Therapie (92 Prozent) und befindet sich unter der Virus-Nachweisgrenze von 50 Kopien pro Milliliter Blut (95 Prozent der Therapierten). Damit sind das zweite und dritte "90-90-90"-UNAIDS-Ziel also bereits jetzt erfüllt und übertroffen.

Woran es also zur gesamten Erfüllung der Zielsetzung hapert, ist, dass bei zu wenig HIV-Infizierten die Diagnose gestellt ist. Aktuell schätzt das Robert Koch-Institut, dass 87 Prozent der in Deutschland lebenden 86.100 HIV-Infizierten eine gesicherte Diagnose haben.

Circa 13 Prozent der HIV-Betroffenen sind damit also infiziert, aber nicht als solche erkannt. Botsuana, Kambodscha, Eswatini (das bis vor einem Jahr Swasiland hieß), Namibia, Dänemark und die Niederlande seien bei der Rate erkannter HIV-Infizierter weiter, so UNAIDS.

Die Testbereitschaft wächst

Die Losung muss also lauten, mehr potenziell Infizierte dazu zu bewegen, sich in irgendeiner Form auf das Virus testen zu lassen. Eine Möglichkeit dafür stellen für das RKI niedrigschwellige Testangebote und freiwillige Selbsttests dar, wie sie seit einigen Monaten frei erhältlich sind. Experten hoffen, dass der unkomplizierte und auch anonym mögliche Zugang zu Testangeboten die Hemmschwelle senkt, sich über den eigenen HIV-Status Gewissheit zu verschaffen.

Denn obwohl die Angst vor Stigmatisierung der Inanspruchnahme eines HIV-Tests noch zu oft entgegensteht, ist die Bereitschaft in den Risikogruppen insgesamt gewachsen, sich auf das Virus testen zu lassen. Auch darauf führt das RKI die in diesem Jahr erneut leicht gesunkene Zahl von 2700 Neuinfektionen mit dem HI-Virus zurück. 2016 waren es noch 2900 Neuinfektionen.

Bei der Gruppe der Männer, die Sex mit Männern (MSM) haben, würde zum Beispiel zunehmend die Möglichkeit genutzt, in den Profilen von Dating-Apps für MSM den eigenen HIV-Status sowie das letzte Testdatum anzugeben. Und die Kenntnis des eigenen HIV-Status führe dem RKI zufolge zu vermehrter Kommunikation mit Sexualpartnern über HIV.

Bekanntermaßen sinkt dadurch der Gebrauch von Kondomen. Zu verhindern, dass deshalb wieder stärker sexuell übertragbare Infektionen auftreten, wird dann die nächste Herausforderung.

Die Webseite zur Kampagne zum Welt-Aids-Tag von BMG und BZgA ist zu erreichen unter www.welt-aids-tag.de.

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