Panenzephalitis wie bei Masern
Demenz mit 45 Jahren durch Denguevirus
US-Forscher haben erstmals eine chronische Hirnentzündung durch Dengueviren nachgewiesen. Sie führte zu einer rasch progredienten Demenz und schließlich zum Tod.
Veröffentlicht:Baltimore. Der Fall gibt den Forschern noch einige Rätsel auf: Dass eine Dengue-Virus-Infektion im ZNS chronisch verlaufen kann, war bislang nicht bekannt. Der 45-jährige Mann, bei dem das Virus letztlich im Hirngewebe nachgewiesen wurde, hatte weder eine Immunschwäche, noch handelte es sich bei dem Virus um eine neue Variante.
Es scheint daher sogar wahrscheinlich, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt und eine Dengue-Virus-Infektion öfter mal zu einer langsamen Zersetzung des Hirns führt, ohne dass die Ursache erkannt wird (Ann Neurol 2019; 86: 695-703).
Das Virus hatte den Forschern um Dr. Tory Johnson von der Johns Hopkins University in Baltimore die korrekte Diagnose nicht gerade leicht gemacht. Erst eine intensive Untersuchung über das „Undiagnosed Diseases Program“ (UDP) der National Institutes of Health (NIH) führte auf die richtige Spur.
Ausgeprägte Hirnatrophie
Die Beschwerden des Patienten begannen etwa im Alter von 40 Jahren mit Gleichgewichts- und Sprechstörungen, zugleich beschrieb er unwillkürliche Bewegungen der Zehen. Zwei Jahre später klagte er über eine psychomotorische Verlangsamung, nach einem weiteren Jahr entwickelte er eine rasch voranschreitende Demenz zusammen mit extrapyramidalen Störungen. Im MRT zeigte sich eine ausgeprägte Hirnatrophie. Sämtliche Blut- und Liquoranalysen ergaben keine klaren Hinweise auf die Ursache, es fanden sich aber oligoklonale Banden und erhöhte IgG-Werte im Liquor.
890 Gramm wog das Gehirn des Patienten, der aufgrund einer chronischen Dengue-Virus-Infektion eine Enzephalitis entwickelt hatte.
Die Ärzte hielten eine primärprogrediente MS für möglich und starteten einen Versuch mit Glatirameracetat, brachen diesen aber nach drei Monaten mangels Erfolg ab. Später versuchten sie eine Behandlung mit Cyclophosphamid und Steroiden gegen eine mögliche Autoimmunenzephalitis, ebenfalls ohne Erfolg. Eine Hirnbiopsie offenbarte Mikrogliaknötchen und Entzündungsinfiltrate, die hauptsächlich aus CD8-T-Zellen bestanden und mit Nervenzellverlust sowie einer reaktiven Gliose einhergingen. Amyloidablagerungen waren nicht erkennbar, ebenso wenig Mutationen für Leukodystrophien oder neurodegenerative Erkrankungen.
Bettlägerig mit 45 Jahren
Im Alter von 45 Jahren war der Mann aufgrund von ausgeprägter posturaler Instabilität und Dyskinesien bereits bettlägerig. Die neurologische Untersuchung ergab fokale Dystonien, Blepharospasmen, Apraxien sowie eine diffuse Hyperreflexie. Das Team veranlasste erneut eine Serum- und Liquoranalyse. Mithilfe des VirScan-Tests screenten sie die Proben auf sämtliche bekannten humanpathogenen Viren. Sie fanden eine relativ hohe Konzentration von Dengue-Virus-Antikörpern sowohl im Serum als auch im Liquor, zusätzlich Antikörper gegen das Japanische-Enzephalitis-Virus im Serum, aber kaum im Liquor. Die Forscher tippten daher auf eine Dengue-Virus-Enzephalitis.
Helfen konnten sie dem Mann aber nicht, er starb zwei Jahre später an den Folgen der Erkrankung – mit einem Hirngewicht von 890 Gramm.
Die immunhistologische und molekularbiologische Analyse von Hirnproben post mortem deutete auf einen extensiven Befall mit Typ-1-Dengueviren. Solche Viren konnten die Forscher auch in einer drei Jahre vor dem Tod entnommenen Hirnbiopsie nachweisen, sodass sie von einem chronischen Verlauf ausgehen. Dazu beigetragen haben vermutlich Mutationen im Hüllprotein des Virus, die unter dem Druck einer anhaltenden Immunantwort entstanden sein dürften. Auf diese Weise habe sich der Erreger dauerhaft im Gehirn einnisten können, spekulieren die Autoren.
Der Verlauf erinnerte sie an den einer subakuten sklerosierenden Panenzephalitis (SSPE) durch Masernviren. Auch hier scheint ein ansonsten gesundes Immunsystem nicht in der Lage zu sein, das Virus aus dem Gehirn zu entfernen.
Infiziert auf Indienreise?
Infiziert hatte sich der Patient möglicherweise auf einer Indienreise im Jahr 2008. Dort gab es damals einen größeren Ausbruch mit dem Typ-1-Virus. Dazu passe der Symptombeginn im Jahr 2009, so die Ärzte um Johnson.
Es könnte sich also durchaus lohnen, bei relativ jungen Patienten mit rascher Neurodegeneration nach einem Aufenthalt in Dengue-Virus-Gebieten zu fragen. Da ein Großteil der weltweit jährlich rund 400 Millionen Dengue-Infektionen asymptomatisch verläuft, müssen sich die Patienten nicht einmal an eine Erkrankung während oder nach der Reise erinnern.