Lehren aus SIMPLICITY HTN-3

"Denervation nur noch in Studien"

Große Ernüchterung bei Kardiologen und Nephrologen: Das Veröden von Nierennerven nützt kaum mehr als ein Placebo, wie die Studie SYMPLICITY HTN-3 überraschend zeigt. Im Interview erklärt Professor Michael Böhm die Konsequenzen - und wie ein globales Register helfen soll.

Von Dirk Einecke Veröffentlicht:
Katheter auf dem Weg zur Nierennervenarterie - ohne signifikanten Unterschied zum Placebo in der SYMPLICITY HTN-3-Studie.

Katheter auf dem Weg zur Nierennervenarterie - ohne signifikanten Unterschied zum Placebo in der SYMPLICITY HTN-3-Studie.

© Springer Verlag

Was ist das Ziel des SYMPLICITY-Registers und welches sind die wichtigsten Zwischenergebnisse nach Auswertung der ersten 1000 Patienten?

Professor Michael Böhm: Das Register soll zeigen, wie sicher und effektiv die renale Denervation in der klinischen Praxis von Studienzentren ist, die mit der Methode gut vertraut sind und über Erfahrung verfügen, wie das in Deutschland der Fall ist - im Vergleich zu strikten Protokollen und selektierten Patienten bei klinischen Studien.

Gesehen haben wir bis dato, dass die Prozedur sicher ist, die Rate von Gefäßkomplikationen liegt unter einem Prozent. Gezeigt hat sich auch, dass die Blutdrucksenkung vom Ausgangsblutdruck abhängig und grob mit derjenigen vergleichbar ist, die wir auch in den klinischen Studien sehen. Im Vergleich mit der gerade publizierten SYMPLICITY HTN3-Studie haben wir im Register eine bessere Blutdrucksenkung erzielt.

Das Register beschreibt, wie die renale Denervation in der Praxis eingesetzt wird. Wir sehen, dass nur ein Drittel der Patienten überhaupt systolische Blutdruckwerte über 160 mmHg aufweist. Zwei Drittel der Patienten haben niedrigere Blutdruckwerte, fast 200 Patienten waren normoton. Hat das Register einen Missstand aufgedeckt?

Ausgezeichneter Kardiologe: Prof. Dr. med. Michael Böhm, Direktor der Klinik für Innere Medizin III, Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin an der Universität des Saarlandes

Ausgezeichneter Kardiologe: Prof. Dr. med. Michael Böhm, Direktor der Klinik für Innere Medizin III, Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin an der Universität des Saarlandes

© Staatskanzlei Saarland

Böhm: Am Register beteiligt sind Zentren mit wissenschaftlichem Interesse und viele dieser Zentren haben mit Einwilligung des Patienten Therapieversuche gemacht in anderen Indikationsgebieten, etwa bei Herzinsuffizienz oder bei Arrhythmien.

Auch zeigt die Aufstellung der Blutdruckwerte nach Praxismessung nicht das vollständige Bild, wir haben 40 bis 50 Patienten im Register mit einer maskierten Hypertonie, deren Bluthochdruck nur bei der Langzeitmessung auffällt.

Sie deuten Unterschiede in der interventionellen Erfahrung zwischen den Ärzten in den USA und Deutschland an. Kann das die Unterschiede bei der Blutdrucksenkung erklären?

Böhm: Ja. In der SYMPLICITY HTN-3-Studie haben 88 Zentren etwa 350 Patienten behandelt, das heißt die meisten Zentren haben nur einen Patienten behandelt. In den Zentren mit mehreren Patienten haben oft auch mehrere Ärzte behandelt, sodass der Großteil aller Studienpatienten von Untersuchern behandelt wurde, die ihre erste und einzige Intervention durchgeführt haben.

Die Studie ist bekanntlich negativ ausgegangen und zeigt Ihren Worten zufolge, dass mit dem Eingriff unerfahrene Ärzte durch renale Denervation unter gut kontrollierten Bedingungen keinen Therapieerfolg erzielen. Wäre es nicht überfällig in einer großen Studie aufzuzeigen, ob mit dem Eingriff erfahrene Ärzte unter gut kontrollierten Bedingungen erfolgreich sind?

Böhm: Absolut, das ist wünschenswert. Wir sind dabei, eine solche Studie zu planen, und arbeiten bei der Konzeption mit dem Steering Comittee der HTN-3-Studie zusammen.

Die SYMPLICITY HTN-3-Studie ist negativ ausgegangen, weil in der Kontrollgruppe mit einer SHAM-Prozedur eine erhebliche Blutdrucksenkung von circa zwölf mmHg bei der Praxismessung erreicht wurde. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Böhm: Alle Studienpatienten wurden in den Wochen vor dem Eingriff mit einer sehr intensiven antihypertensiven Behandlung auftitriert, wobei vor allem Vasodilatatoren in hohen Dosen eingesetzt wurden.

Es dauert in der Regel zwei bis acht Wochen, bis sich der Therapieeffekt von Vasodilatatoren vollständig einstellt, das heißt in beiden Gruppen ist der blutdrucksenkende Effekt dieser zusätzlichen medikamentösen Behandlung erst in der Phase nach der renalen Denervation zum Tragen gekommen. Dies könnte den Plazeboeffekt erhöht haben.

Eine weitere Erklärungsvariante könnte sein, dass die renalen Nerven gar nicht immer gekappt werden. Gibt es Ansätze, den Erfolg des Eingriffs diesbezüglich künftig zu messen?

Böhm: Da gibt es verschiedene experimentelle Ansätze, die sich bisher alle nicht als praktikabel erwiesen haben. Zurzeit ist das also leider nicht überprüfbar.

Eine dritte Erklärungsvariante wäre, dass das Verfahren in seiner Wirksamkeit überbewertet und in Deutschland zu häufig angewendet wird. Muss man zurückrudern?

Böhm: Es geht nicht um die Frage, ob die Prozedur weitergemacht wird oder ob sie gestoppt werden soll, sondern es geht darum, sie wissenschaftlich zu untersuchen.

Sollte man ein Verfahren nicht erst wissenschaftlich untersuchen, bevor man es so breit anwendet, wie dies in Deutschland der Fall ist?

Böhm: Richtig. Wir sind auch strikt gegen eine zu breite und unkontrollierte Anwendung. Jeder Patient sollte entweder an einem Register oder an einer Studie teilnehmen, damit der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn der Behandlung nicht verloren geht.

Ist es aus Ihrer Sicht und aus Sicht der wissenschaftlichen Fachgesellschaft wünschenswert, den Wildwuchs in Deutschland einzudämmen?

Böhm: Die breite Anwendung besteht auf dem Boden der gegebenen gesetzlichen Vorgaben. Der Nachteil besteht darin, dass ein interventionelles Verfahren auch mal breit angewendet wird, ohne dass eine Evidenz für Wirksamkeit vorliegt.

Wäre aber SYMPLICITY HTN-3 positiv ausgegangen, hätte man umgekehrt argumentiert: Man wäre dankbar, dass Deutschland eine solche Rechtsprechung hat, damit der Vorteil einer sinnvollen innovativen Therapie die Patienten nicht erst mit großer Zeitverzögerung erreicht.

Sollte die Indikation für den Eingriff künftig strenger gestellt werden?

Böhm: Man muss natürlich die Patienten künftig aufklären, dass es eine große negative Studie gibt. Man sollte Patienten nur denervieren, wenn eine therapieresistente Hypertonie mit deutlich erhöhten Blutdruckwerten über 160 mmHg systolisch vorliegt.

Bei Patienten mit niedrigerem Blutdruck bringt der Eingriff nichts. Man wird die Indikation kritischer stellen, oder den Patienten im Rahmen einer Studie behandeln, die auch blutdruckunabhängige Effekte untersucht.

Lesen Sie dazu auch: Renale Denervation: Enttäuschte Hoffnung Lehren aus SIMPLICITY HTN-3: "Denervation nur noch in Studien" Unkontrollierte Hypertonie: Register bestätigt Sicherheit der Denervation

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