COVID-19-Selbsttests
Der „richtige“ Zeitpunkt für Corona-Tests: Bitte an Bayes und den Rachen denken
Marburger Bund-Chefin Johna empfiehlt allen mit Symptomen, Selbsttests auf SARS-CoV-2 zu nutzen – im Zweifel zweimal. Aber ist die Nase der richtige Ort dafür? Und was bedeuten negative Ergebnisse? Ein Überblick.
Veröffentlicht:Neu-Isenburg. Mit ihrer Forderung, die Bürger sollten sich bei Erkältungssymptomen testen, im Zweifel an zwei Tagen, hat die Chefin des Marburger Bunds Dr. Susanne Johna auf eine offene Flanke in der Pandemiebekämpfung hingewiesen. Denn nach wie vor ist völlig offen, ob die Menschen sich hinreichend und zu den richtigen Zeitpunkten testen. Und ob sie die Ergebnisse korrekt einordnen können, ob sie den Begriff der Vortestwahrscheinlichkeit verinnerlicht haben.
Johna hatte am Sonntag gegenüber dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ kritisiert, dass es leider auch Hemmungen gebe, sich zu testen. Mit Blick auf die Omikron-Variante B.1.1.529 sagte sie, es sei wichtig, sich bei Symptomen zu testen. „Wer einen Schnupfen hat, hustet oder sich unwohl fühlt, sollte sich vorsorglich testen und isolieren und im Zweifelsfall am zweiten Tag erneut einen Antigentest machen.“
Johnas Hinweis deckt sich mit den Testkriterien des Robert Koch-Instituts (RKI), wonach bereits akute respiratorische Symptome zum Test führen sollten. Mit ihrem zweiten Hinweis, lieber am zweiten Tag noch einmal zu testen, spielt Johna auf die Schwächen der Antigen-Selbsttests auf SARS-CoV-2 an, die durch wiederholte Tests an verschiedenen Tagen teilweise kompensiert werden können.
Sensitivität unter 60 Prozent
Denn nach einer Analyse unter anderem des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) und mehrerer Labore haben die Selbsttests im Mittel nur eine Sensitivität von 58 Prozent (Euro Surveill. 2021;26(44):pii=2100441). Bei Ct-Werten (Cycle Threshold) ab 30 versagen die meisten Tests komplett und können ob der geringen Viruslast die wenigen Nukleokapsidproteine in der Probe nicht mehr nachweisen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Tests in der Regel erst dann anschlagen, wenn die Betroffenen schon zwei Tage eine infektiöse Viruslast hatten, wie jüngst erst Autoren aus New York in einer kleinen Studie bestätigt werden (medRxiv 2022.01.04.22268770).
All diese Faktoren können die Vortestwahrscheinlichkeit beeinflussen. Daran erinnert auch der Labormediziner Dr. Michael Müller, Vorstandsvorsitzender vom ALM, im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“: „Passt das ermittelte Ergebnis zur klinischen Situation? Und habe ich alles getan, den Zeitpunkt, die Probenqualität, den richtigen Probenort, um die Vortestwahrscheinlichkeit mit einer guten Präanalytik maximal zu erhöhen?“
Müller empfiehlt, den Abstrichort gegebenenfalls sogar je nach Lokalisation der Symptome zu wählen: „Wenn das Virus sich im Hals bemerkbar macht, kann es sein, dass die erste Vermehrung viel mehr an der Rachenhinterwand ist. Dann wird der Nasenvorhof-Test nicht so gut helfen wie ein oropharyngealer Test, der auch die Rachenhinterwand betrachtet.“ Autoren aus Südafrika hatten an Heiligabend in der Tat Hinweise publiziert, dass die Omikron-Variante im Speichel besser nachweisbar sein soll als über die Nasenschleimhaut (medRxiv 2021.12.22.21268246). All das kann die Vortestwahrscheinlichkeit erhöhen.
„ÄrzteTag“-Podcast
Wie viele PCR-Tests brauchen wir gegen die Omikron-Wand, Herr Müller?
Negative Ergebnisse im Corona-Cluster nutzlos
Ebenso entscheidend ist nach Bayes Theorem aber auch die Prävalenz: Je häufiger eine Erkrankung in einer Zielpopulation auftritt, desto höher ist die Chance, dass ein positives Ergebnis selbst bei geringer Sensitivität richtig ist. Desto höher ist aber das Risiko, dass ein negatives Ergebnis falsch-negativ ist.
Ein einfaches Beispiel: Erkranken nach einer Silvester-Feier mit zehn Personen neun an COVID-19, dann liegt die Prävalenz, also die Vortestwahrscheinlichkeit in diesem Cluster bei mindestens 90 Prozent. Ein negatives Schnelltest-Ergebnis sagt dann schlicht nichts mehr aus, da es nach den mittleren Testgüte-Kriterien nur zu 21 Prozent richtig-negativ war. Vermutlich würde in einem solchen Setting ohnehin der gesunde Hausverstand genügen, um sich selbst einstweilen in Isolation zu begeben.
Wir haben für verschiedene Prävalenzen und anhand der gemittelten Testgüte-Kriterien für Antigen-Schnelltests auf SARS-CoV-2 beispielhaft die positiv- und negativ-prädiktiven Werte PPV und NPV errechnet, um die Aussagekraft der Ergebnisse abschätzen zu können. (nös)