Dieselskandal

Dicke Luft um Abgas-Tests an Affen und Menschen

Unethische Versuche oder alltägliche Übung arbeitsmedizinischer Wissenschaft? Berichte über Stickoxid-Expositions-Tests bringen nicht nur die Autobauer in die Kritik.

Anne-Christin GrögerVon Anne-Christin Gröger und Anno FrickeAnno Fricke Veröffentlicht:
Wie schädlich ist der Diesel? Autobauer müssen jetzt auch Tests an Menschen rechtfertigen.

Wie schädlich ist der Diesel? Autobauer müssen jetzt auch Tests an Menschen rechtfertigen.

© Julian Stratenschulte / dpa

BERLIN/AACHEN. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat umstrittene Diesel-Schadstofftests scharf verurteilt und Aufklärung eingefordert. "Diese Tests an Affen oder sogar Menschen sind ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen", erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. "Die Empörung vieler Menschen ist absolut verständlich." Den Aufsichtsräten der Auftraggeber der Tests komme nun eine besondere Verantwortung zu, kritische Fragen auch zur Zielsetzung der Tests zu beantworten. Die Autokonzerne hätten Schadstoffemissionen zu begrenzen und Grenzwerte einzuhalten und nicht die vermeintliche Unschädlichkeit von Abgasen zu beweisen.

Der geschäftsführende Bundesverkehrsminister Christian Schmidt (CSU) kritisierte die Tests ebenfalls scharf, die ausschließlich PR-Zwecken dienten, wie ein Sprecher sagte. Die Untersuchungskommission des Ministeriums zum Abgasskandal solle in einer Sondersitzung prüfen, ob es weitere Fälle gibt. Die Autokonzerne seien aufgefordert worden, umgehend und detailliert Stellung zu nehmen.

Fakten zu Stickstoffdioxid

  • Stickstoffdioxid ist ein ätzendes Reizgas, das akut Schleimhautgewebe im Atemtrakt angreift und die Augen reizt.
  • Als Vorläufersubstanz ist es an der Entstehung von Ozon und Feinstaub beteiligt.
  • Hauptquelle von Stickstoffdioxid in Deutschland ist zu zwei Dritteln der Straßenverkehr. Davon kommen etwa drei Viertel aus dem Auspuff von Diesel-PKW.

Berichten der "Stuttgarter Zeitung" und der "Süddeutsche Zeitung" zufolge hatte die Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT), eine von VW, Daimler und BMW finanzierte Lobby-Initiative, vor Jahren Schadstofftests mit Stickstoffdioxid (NO2) in Auftrag gegeben. Auftragnehmer war die Uniklinik der RWTH Aachen. Die RWTH Aachen ist eine der größten Forschungseinrichtungen für die Automobilindustrie in Deutschland.

Am Wochenende hatte sich zudem VW für NO2-Expositionstests an Affen öffentlich entschuldigt, die in den USA durchgeführt wurden. Darüber hatte die "New York Times" berichtet. Diese Tests, ebenfalls von der EUGT beauftragt, sollten belegen, wie moderne Diesel-Abgasreinigungssysteme die Schadstoffbelastung durch Dieselabgase reduzieren.

"Klinikversuch steht in keinem Zusammenhang mit dem Affenversuch"

Die Aachener Uniklinik wies in einer Stellungnahme am Montag, "ausdrücklich darauf hin", dass sich ihre Studie "inhaltlich nicht mit der Dieselbelastung von Menschen befasst und in keinem Zusammenhang mit dem ,Affenversuch‘ steht".

Die sogenannte Aachener NO2-Studie stamme aus den Jahren 2013 und 2014, lange vor Bekanntwerden des Dieselskandals, und habe sich mit dem NO2-Grenzwert am Arbeitsplatz befasst. Bei dem Versuch seien 25 gesunde Probanden drei Stunden lang einer Stickoxid-Belastung gemäß einem neuen Grenzwert ausgesetzt worden. Gesundheitliche Auswirkungen habe es dabei nicht gegeben.

Weiter heißt es, dass experimentelle Untersuchungen mit Arbeitsstoffbelastungen zu den wissenschaftlichen Aufgaben der Arbeitsmedizin gehörten, um Arbeitsplätze sicherer zu machen. Davon profitierten unter anderem Lkw-Fahrer, Kfz-Mechaniker und Schweißer. „Die Belastungen, denen die Probanden ausgesetzt wurden, lagen deutlich unter den Konzentrationen, wie sie an vielen Arbeitsplätzen in Deutschland auftreten können“, sagte der Klinik-Sprecher. Der Autor der Studie Dr. Peter Brand wollte sich nicht äußern und verwies auf das Pressestatement.

Allerdings habe die EUGT die Studie gefördert, die Forscher jedoch "in keinster Weise" beeinflusst, sagte der zuständige Institutsleiter Thomas Kraus von der RWTH. Die Klinik bestätigt, dass die 2016 publizierte Studie von der zuständigen Ethikkommission des Klinikums Aachen geprüft und genehmigt worden war. In der Veröffentlichung sei die EUGT auch ausdrücklich als Förderer genannt worden.

Krankenhausgesellschaft und BÄK reagieren zurückhaltend

Die Krankenhausgesellschaft NRW äußerte sich zurückhaltend zu den Vorwürfen. "Wir kennen die Sachlage noch nicht, sollte aber etwas dran sein, wären die Vorgänge in keiner Hinsicht akzeptabel", sagte ein Sprecher der "Ärzte Zeitung". Die Bundesärztekammer enthielt sich am Montag eines Kommentars. Die BÄK sei nicht mit der Planung, Begleitung oder Bewertung solcher Tests betraut, erklärte ein Kammer-Sprecher auf Anfrage. (Mit Material von dpa)

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