Viele Neuinfektionen

Die HIV-Prävention muss neue Wege gehen!

Um die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland zu senken, bedarf es neuer Ansätze: Die PrEP ist generisch geworden; damit ist der Preis für einen sicheren Schutz deutlich gesunken. Experten wie Dr. Hans Jäger, MVZ Karlsplatz, München, befürworten außerdem den HIV-Test für zu Hause.

Von Dr. Elke Oberhofer Veröffentlicht:
Ein Weg, um weitere Neuinfektionen zu vermeiden: Ein junger Mann führt einen HIV-Heimtest durch.

Ein Weg, um weitere Neuinfektionen zu vermeiden: Ein junger Mann führt einen HIV-Heimtest durch.

© Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/ZB

MÜNCHEN. Die medikamentöse Präexpositionsprophylaxe, kurz PrEP, ist heute "ein wichtiger Pfeil im Köcher der HIV-Prävention"; das hat Dr. Hans Jäger, München, anlässlich der 17. Münchner AIDS- und Hepatitis-Tage, die von 23. bis 25. März in Berlin stattfinden, betont.

Kondome und Aufklärung seien zwar weiterhin unverzichtbar, aber angesichts von jährlich circa 3000 Neuinfektionen und einer Dunkelziffer von geschätzt rund 14.000 unwissentlich HIV-Infizierten in Deutschland benötige man "neue Instrumente, mit denen wir die Menschen erreichen", so der HIV-Experte im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

PrEP endlich erschwinglich

Mit einer Schutzrate von deutlich über 90 Prozent (bei strikter täglicher Einnahme) ist die in den PrEP-Medikamenten enthaltene Wirkstoffkombination Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil hoch effektiv.

Auch das Kostenproblem hat sich mittlerweile entspannt: Während das seit 2016 für die PrEP zugelassene Ursprungspräparat (Truvada®) mit einem Preis von circa 800 Euro für die Monatspackung nur für wenige erschwinglich war, sind mittlerweile zwei Generika – von Hexal bzw. Ratiopharm – auf dem Markt, die man für 50 bzw. 69,90 Euro monatlich aus der Apotheke beziehen kann.

Die Wirkstoffkombi von Hexal ist bislang allerdings nur in bundesweit 60 Apotheken erhältlich, die einen Liefervertrag mit dem Blisterzentrum des Kölner Apothekers Erik Tenberken geschlossen haben.

Hauptzielgruppe für die PrEP sind homosexuelle Männer mit häufig wechselnden Sexualkontakten, bei denen man, so Jäger, "nicht immer sicherstellen kann, dass sie die üblichen Präventionsmethoden einhalten".

Außer diesen kommen in Jägers Schwerpunktpraxis immer öfter auch Männer, die aufgrund ihres Sexualverhaltens zwar kein besonders hohes Ansteckungsrisiko haben, auch Kondome benützen, sich aber aus einem ausgeprägten Sicherheitsdenken heraus zusätzlich schützen wollen. "Auch diesen werden wir die PrEP nicht verwehren", so der HIV-Arzt.

Keine Indikation bestehe dagegen für den (gesunden) Partner eines erfolgreich behandelten HIV-Patienten. "Letzterer kann das Virus definitiv nicht übertragen", betonte Jäger.

Eine besondere Situation liegt bei Frauen vor: Auch bei diesen besteht zwar grundsätzlich die Möglichkeit der medikamentösen Prävention, allerdings ist die Schutzrate mit etwa 66 Prozent deutlich geringer als bei homosexuellen Männern.

Ein Grund dafür ist wahrscheinlich die geringere Wirkstoffkonzentration in der Vaginal- im Vergleich zur Rektalschleimhaut; an den offenbar recht komplexen Zusammenhängen wird aber noch geforscht.

Wer als Arzt einen potenziellen PrEP-Nutzer umfassend beraten will, muss einigen Zeitaufwand einplanen. Die Aufklärung über den sicheren Umgang und über mögliche Nebenwirkungen, unter anderem Nierenschäden, gehört dazu, aber auch der nachdrückliche Hinweis auf notwendige Kontrolluntersuchungen. Dazu zählen unter anderem regelmäßige Tests auf Hepatitis C und vor allem auch auf HIV.

HIV-Ausschluss vor PrEP

Für den neuen PrEP-Nutzer ist der Ausschluss einer bestehenden HIV-Infektion deshalb so wichtig, weil das gleiche Medikament auch in der HIV-Therapie eingesetzt wird, allerdings nicht in der gleichen Dosierung und auch keinesfalls als einzige Substanz.

"Wenn jemand mit einer unerkannten HIV-Infektion die als Therapie insuffiziente PrEP-Medikation erhält, können Resistenzen entstehen", warnte Jäger. Unter diesen Umständen wären weitere antiretrovirale Therapien deutlich erschwert.

Wir müssen die Schwelle für das HIV-Testen in Deutschland senken.

Dr. Hans Jäger, MVZ Karlsplatz, München

Die PrEP-User müssen außerdem darauf aufmerksam gemacht werden, dass das Medikament "nur" vor HIV schützt, nicht aber vor anderen sexuell übertragbaren Infektionskrankheiten wie Syphilis, Chlamydien oder Gonorrhö. Letztere haben in Deutschland in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen.

Ein gewisses Problem sieht Jäger darin, dass es "für diese umfangreiche Beratung bisher keine kassentechnische Abrechnung" gibt. Die Preissenkung für die PrEP habe zusätzlich dazu beigetragen, dass immer mehr Menschen zur Beratung und zu Kontrolluntersuchungen in die Schwerpunktpraxen drängen, wodurch sich das Problem noch verschärft.

Für Jäger spricht grundsätzlich nichts dagegen, dass auch Hausärzte die PrEP verschreiben. Nach Auffrischung der entsprechenden Kenntnisse – hierzu geben zum Beispiel die von ihm initiierten AIDS- und Hepatitis-Tage Gelegenheit – sei das durchaus möglich und z. T. auch ratsam: "Es gibt, aus welchen Gründen auch immer, Menschen, die wollen nicht in eine Schwerpunktpraxis."

HIV-Heimtests in Deutschland noch nicht zugelassen

Neben der PrEP gehören auch die sogenannten Heimtests auf HIV zu den Hot Topics der 17. Münchner AIDS- und Hepatitis-Tage. In Deutschland sind solche Selbsttests, die auf der Basis einer Blutprobe funktionieren, derzeit noch nicht zugelassen; es gibt aber die (legale) Möglichkeit, sie über das Internet aus dem europäischen Ausland zu beziehen (auf CE-Kennzeichnung achten!).

Speziell die in Frankreich und den Niederlanden hergestellten Tests sind laut Jäger "qualitativ sehr gut", mit einer Zuverlässigkeit, was Sensitivität und Spezifität angeht, von deutlich über 90 Prozent.

Auch weil HIV mittlerweile gut behandelbar ist und die Diagnose ihren Schrecken verloren hat, sieht der Experte kein Problem darin, dass solche Tests immer breitere Anwendung finden; den verantwortlichen Umgang damit könne man "erwachsenen Menschen durchaus zutrauen".

Jäger würde es befürworten, wenn entsprechende Kits auch hierzulande in Drogerien und Apotheken erhältlich wären, nach dem Modell des Schwangerschaftstests: "Wir müssen die Schwelle für das HIV-Testen in Deutschland senken!" Damit habe man zumindest eine Chance, die genannte Dunkelziffer zu senken.

In Bezug auf die Dunkelziffer hat Jäger noch ein besonderes Anliegen an die Allgemeinärzte: HIV als Differenzialdiagnose müsse in der niedergelassenen Praxis stärker ins Bewusstsein rücken: "Wenn Sie eine unklare Symptomatik mit geschwollenen Lymphknoten sehen, sollten Sie nicht nur ans Pfeiffersche Drüsenfieber, sondern auch an HIV denken!", mahnte der Experte.

Die Anamnese erfordert dann etwas Fingerspitzengefühl. Anstelle der krassen Frage, ob der Patient schwul ist, sollte man eine sensiblere Formulierung wählen, z. B.: "Haben Sie Erfahrung im sexuellen Umgang mit Männern?" Darauf zu antworten, fällt den Patienten nach Jägers Erfahrung leichter.

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