Interview

Hindernislauf zum organisierten Darmkrebs-Screening

Bis Ende 2017 soll ein organisiertes Darmkrebsscreening starten. Dr. Christa Maar, Vorstand der Felix Burda Stiftung, hat jedoch Zweifel, dass der Termin gehalten wird. Es müsse eine komplexe Infrastruktur aufgebaut werden.

Von Beate Schumacher Veröffentlicht:
Der Schlüssel für die Früherkennung von familiärem Darmkrebs liegt in der Familienanamnese. Direkte Verwandte von Darmkrebspatienten sollten 10 Jahre vor dem Diagnosealter des Erkrankten mit der Vorsorge beginnen.

Der Schlüssel für die Früherkennung von familiärem Darmkrebs liegt in der Familienanamnese. Direkte Verwandte von Darmkrebspatienten sollten 10 Jahre vor dem Diagnosealter des Erkrankten mit der Vorsorge beginnen.

© Sebastian Kaulitzki / fotolia.com

Ärzte Zeitung: Seit über 15 Jahren engagieren Sie sich mit der Felix Burda Stiftung für ein organisiertes Darmkrebsscreening. War das zurückliegende Jahr in diesem Sinn ein gutes Jahr?

Dr. Christa Maar: Es dauert alles sehr lang. Seit 2013 gibt es das Krebsfrüherkennungs- und Registergesetz, das den GBA zur Einführung eines organisierten Screening-Programms verpflichtet. Darin heißt es auch, dass der GBA für geeignete Gruppen von Versicherten eine abweichende Altersgrenze und Häufigkeit der Untersuchung festlegen kann.

Das trifft zum Beispiel auf Menschen mit familiärem Darmkrebs zu. Geplant war die Umsetzung bis zum 30. April 2016. Das Einzige, was bis jetzt erreicht wurde: ein Vorentscheid, dass endlich der alte chemische Stuhltest durch den neuen immunchemischen Stuhltest ersetzt wird. Bisher gibt es aber noch keine EBM-Ziffer dafür.

Warum ist der Austausch des Stuhltests ein Fortschritt?

Dr. Christa Maar: Der neue Test reagiert im Gegensatz zum alten nur auf humanes Blut, dadurch gibt es weniger falsch positive Ergebnisse. Das Wichtigste ist aber, das hat Professor Hermann Brenner vom DKFZ gezeigt, dass der immunchemische Test wesentlich mehr Karzinome und fortgeschrittene Krebsvorstufen erkennt.

Mit 70 Prozent erkannten Karzinomen nähert sich der immunchemische Test schon fast der Detektionsrate der Koloskopie. Auch die Erkennungsrate der fortgeschrittenen Krebsvorstufen liegt dreimal höher als die des alten Tests.

Der GBA hat nur die quantitativen, im Labor auszuwertenden Tests zugelassen. Dieser Beschluss stößt teilweise auf Widerstand.

Dr. Christa Maar: Wir haben von Anfang gesagt, dass nur die quantitativen Tests infrage kommen. Die qualitativen Tests haben eine fest eingestellte Empfindlichkeit, man erhält nur ein Ja-Nein-Ergebnis. Nur mit den quantitativen Tests ist ein Vergleich von Testergebnissen möglich, Voraussetzung für die Evaluation des Programms.

Ab 1. April soll der immunchemische Stuhltest Teil der Regelversorgung werden. Was bedeutet das konkret für die Ärzte?

Dr. Christa Maar: Laut einer Änderung in der Krebsfrüherkennungsrichtlinie vom April 2016 sollen Ärzte, die die Krebsfrüherkennungs- und Gesundheitsuntersuchungen durchführen, den Stuhltest an ihre Patienten ausgeben und nach der Rückgabe die Untersuchung in einem medizinischen Labor veranlassen.

Käme das so, wäre das die Fortsetzung des erfolglosen alten Systems. Die Ärzte haben Jahr für Jahr vier Millionen Tests ausgegeben; mehr als die Hälfte ist, wie mir Ärzte selbst gesagt haben, vermutlich im Papierkorb gelandet.

Man würde dem organisierten Screening-Programm einen Bärendienst erweisen, wenn man die Menschen dazu einlädt, sich den neuen Test beim Arzt abzuholen und ihn wieder dorthin zu bringen.

Das wäre eine Art Hindernislauf und das Ergebnis sicher eine geringe Teilnahmequote. Wie man es besser macht, sieht man in den Niederlanden. Dort wird der immunchemische Test mit einem frankierten Rückumschlag für das Labor nach Hause zugestellt. Dort hat man im ersten Jahr des Programms die unglaubliche Teilnahmequote von 70 Prozent erreicht!

Bei der Einladung zur Koloskopie hat es immerhin einen ersten kleinen Fortschritt gegeben...

Dr. Christa Maar: Das stimmt. Nachdem in Studien gezeigt wurde, dass Männer im Schnitt fünf Jahre früher an Darmkrebs erkranken als Frauen, hält es auch der GBA für sinnvoll, Männern die Vorsorgekoloskopie zukünftig schon ab 50 anzubieten.

Männer könnten dann zwischen einem Stuhltest und der Vorsorgekoloskopie wählen. Frauen werden ab 50 zum Stuhltest und wie gehabt mit 55 zur Koloskopie eingeladen. Ob es Erinnerungsschreiben geben wird und wie oft eingeladen wird, wissen wir noch nicht.

Die Männer können dann zwischen Stuhltest und Vorsorgekoloskopie wählen. Frauen werden ab 50 zum Stuhltest und wie gehabt mit 55 zur Koloskopie eingeladen. Ob es Erinnerungsschreiben geben wird und wie oft eingeladen wird, wissen wir noch nicht.

Gehen Sie davon aus, dass die Einladung die Teilnahme an der Screening-Koloskopie verbessern wird?

Dr. Christa Maar ist Präsidentin des Netzwerks gegen Darmkrebs.

Dr. Christa Maar ist Präsidentin des Netzwerks gegen Darmkrebs.

© Netzwerk gegen Darmkrebs e.V.

Dr. Christa Maar: Ich kann mir vorstellen, dass man Menschen, die schon mal mit der Idee schwanger gegangen sind, durch die Einladung anstoßen kann.

Aber es gibt viele, die eine extreme Aversion gegen die Koloskopie haben, die wird man mit der Einladung nicht gewinnen.

Aber man bekommt sie vielleicht dazu, den Stuhltest zu machen, wenn man ihnen den Test nach Hause schickt. Und falls Blut im Stuhl nachgewiesen wird, sind sie dann vielleicht auch bereit, den Befund durch eine Koloskopie abklären zu lassen.

Für das Einladungsverfahren hat das IQWiG jetzt die Entscheidungshilfen fertiggestellt. Entsprechen sie den Ansprüchen, die u.a. vom Netzwerk gegen Darmkrebs in der Berliner Erklärung formuliert wurden?

Dr. Christa Maar: Man muss schon einen bestimmten Grad an Bildung mitbringen, um die ganzen Zahlen zu verstehen, mit denen Nutzen und Schaden der Vorsorgekoloskopie darin vermittelt werden.

Da heißt es zum Beispiel: Von 1000 Frauen im Alter von 55 Jahren sterben ohne Früherkennung 2 an Darmkrebs, 8 erkranken und 0 haben Komplikationen; von 1000 Frauen im Alter von 55, die an der Früherkennung teilnehmen, stirbt eine an Darmkrebs, 3–7 Frauen erkranken daran und 2 haben Komplikationen.

Wir haben in Deutschland sieben bis acht Millionen Menschen, die nur rudimentär lesen und schreiben können – was fangen die mit solchen Aussagen an? Und überhaupt, welche Schlüsse soll man daraus ziehen?

Ein Teilnehmer der Fokusgruppe, die die Entscheidungshilfe beurteilen sollte, hat es auf den Punkt gebracht: Wenn man lese, dass nur einer von 1000 durch die Untersuchung vor dem Tod durch Darmkrebs bewahrt würde, frage man sich doch, warum man da überhaupt hingehen solle.

Hinzu kommt, dass alles, was überhaupt jemals an Komplikationen vorkommen könnte, aufgezählt wird. Die tatsächliche Komplikationsrate liegt aber, wie zahlreiche Studien belegen, im Promillebereich.

Ein anderer Teilnehmer der Fokusgruppe meinte, dass er die Untersuchung bereits gemacht habe, sich aufgrund der Entscheidungshilfe aber bestimmt nicht dafür entschieden hätte. Ich kenne aus anderen Ländern keine Broschüre, die so aussieht.

Wie lange, glauben Sie, wird es noch dauern, bis das organisierte Screening beginnt?

Dr. Christa Maar: Ende 2017 ist im Gespräch, aber ich habe Zweifel, dass der Termin gehalten wird.

Es muss eine komplexe Infrastruktur aufgebaut werden, denn anders als bei der Vorsorgekoloskopie werden beim Einladungsverfahren nicht nur die Gastroenterologen, sondern alle Ärzte, die Vorsorgeuntersuchungen durchführen, einbezogen.

Für eine wachsende Zahl von Patienten würde das organisierte Screening zu spät kommen, weil sie schon im Alter unter 50 erkranken. Gibt es Pläne, wie hier die Früherkennung verbessert werden kann?

Dr. Christa Maar: Bei den jüngeren Patienten liegt häufig ein familiäres Risiko für Darmkrebs vor. Das Hauptproblem ist, dass die meisten Betroffenen nichts davon wissen. Die Frage ist: Wie kann man sie möglichst früh identifizieren? Der Schlüssel ist die Familienanamnese.

Sie müsste von den beteiligten Ärzten nicht nur bei den Patienten im Vorsorgealter, sondern auch bei jüngeren Patienten erhoben werden. Die Leitlinie empfiehlt allen direkten Verwandten von Darmkrebspatienten, zehn Jahre vor dem Diagnosealter des Erkrankten mit der Vorsorge zu beginnen.

Liegt ein Lynchsyndrom in der Familie vor, sollten direkte Verwandte bereits ab dem Alter von 25 eine Vorsorgekoloskopie machen.

Bisher werden Familienanamnese und frühere Vorsorgekoloskopie nicht erstattet. Das IQWiG hat festgestellt, dass es keine hochwertigen Studien gibt, die zeigen, dass familiär belastete Menschen von einer vorgezogenen Früherkennung einen Nutzen haben.

Nur, wie will man solche Studien durchführen? Soll man bei den Kontrollpatienten trotz des hohen Risikos auf eine Diagnostik verzichten? Wenn heute jemand mit familiärem Risiko, um vorzusorgen, von sich aus zum Gastroenterologen geht, muss der eine Diagnose stellen, damit er diese Vorsorgekoloskopie abrechnen kann. Das kann nicht der richtige Weg sein!

Inwieweit trägt www.darmkrebs.de, eine Webseite der Felix Burda Stiftung dazu bei, Menschen über ihr Darmkrebsrisiko zu informieren?

Dr. Christa Maar: Als mein Sohn 2001 an Darmkrebs erkrankte, gab es im deutschsprachigen Internet keine wirklichen Informationen zu dieser Krankheit. Deswegen wollte ich, dass wir eine Webseite für Patienten machen, auf der alles Wesentliche verständlich beschrieben wird.

Die Seite ist die umfangreichste Informationsseite für Patienten, ihre Familien und ihre Freunde. Sie informiert ausführlich über Risiko, Prävention, Diagnose und Behandlung bis hin zu sozialen Fragen. Monatlich rufen 90.000 "unique user" die Seite auf. Derzeit wird die Webseite vom Krebsinformationsdienst inhaltlich auf den neuesten Stand gebracht.

Was ist derzeit Ihr vordringliches Anliegen?

Dr. Christa Maar: Was ich mir am allerdringlichsten wünsche, ist, dass etwas für die Menschen mit familiärem Darmkrebsrisiko getan wird.

Dazu ist es notwendig, dass die Familienanamnese frühzeitig bei allen Patienten erhoben wird und dass der Arzt sie auch bezahlt bekommt. Und: Diejenigen, die ein familiäres Risiko haben, müssen einen Anspruch auf eine vorgezogene Früherkennung gemäß der Leitlinie erhalten.

Dr. Christa Maar

- Felix Burda Stiftung: Mit ihrem früheren Mann Hubert Burda rief Christa Maar 2001 die Felix Burda Stiftung ins Leben, die sich für die Darmkrebs-Vorsorge einsetzt und zu diesem Zweck u.a. den jährlichen Aktionszeitraum Darmkrebsmonat März initiiert hat. Maar ist Vorstand der Felix Burda Stiftung.

- Netzwerk gegen Darmkrebs: Seit 2004 ist Maar Präsidentin des Netzwerks gegen Darmkrebs, das auf Initiative der Felix Burda Stiftung gegründet wurde. Zielsetzung des Vereins ist die Vernetzung von Beteiligten im Bereich Prävention sowie die Initiierung wissenschaftlicher Projekte zur Verbesserung der Darmkrebsvorsorge.

Lesen Sie dazu auch: Vor der Entscheidung: iFOBT wird endlich Kassenleistung

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