Mund-Kiefer-und Gesichtschirurgie

Hohe Hürden für das Tissue Engineering

Lippen-Kiefer-Gaumenspalten ließen sich längst per Tissue Engineering schließen – wenn nicht gesetzliche Vorgaben das Verfahren extrem aufwändig machten – und damit verhindern.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:

DRESDEN. Wenn der 21-jährige Mann seinem Zahnarzt einen Besuch zur Kontrolluntersuchung abstattet, darf dieser einen wohl geformten Zahnbogen begutachten. Ein Laie würde keine Auffälligkeit des Gebisses erkennen. Dabei war der junge Mann mit einer ausgeprägten Lippen-Kiefer-Gaumenspalte geboren worden.

Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen an der TU Dresden haben, so das klassische Procedere, bei dem Patienten im Alter von sechs Monaten die Lippe verschlossen. Es folgten im Alter von einem Jahr das Gaumensegel und mit zweieinhalb Jahren der Hartgaumen. Kurz vor der Einschulung war zur Sprachverbesserung noch ein Re-Operation des Gaumens erforderlich gewesen.

"Der Zahn braucht Knochen"

Damit ist die Behandlung solcher Patienten aber längst nicht beendet. Im Bereich der zahntragenden Fortsätze bestehen bei Patienten mit breiten Kieferspalten zu diesem Zeitpunkt immer noch restliche Knochendefekte.

Es sei notwendig, diese aufzufüllen, um langfristig die richtige Einordnung und den Durchbruch der bleibenden Zähne zu gewährleisten, erläuterte Dr. Dr. Winnie Pradel von der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Dresdner Uniklinikums beim Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG) in Dresden.

"In erster Linie geht es um den Durchbruch des Eckzahnes", sagte Pradel. "In der Regel befindet sich Bindegewebe in der Spalte. Das verhindert das Durchbrechen des Eckzahnes. Der Zahn braucht Knochen, nur dann findet er seinen Weg in die Mundhöhle!"

Transplantation aus Beckenkammstück

Üblicherweise wird am Beckenkamm ein Knochenzylinder entnommen und transplantiert. Nachteilig ist aber der zweite Operationsort bei den im Allgemeinen zehnjährigen Kindern, manchmal resultieren schmerzbedingt Gehprobleme. Knochen von der Knochenbank wäre eine Alternative – der enthält aber keine lebenden Zellen, was für die Knochenbildung vor Ort wichtig ist.

Theoretisch könnte auch Knochenersatzmaterial verwendet werden. "Aber der Zahndurchbruch erfolgt dann nicht immer wie gewünscht", erklärte Pradel.

Bei dem beschriebenen Patienten waren die Dresdner Chirurgen vor zehn Jahren daher einen anderen Weg gegangen: Tissue Engineering. Statt aus dem Beckenkamm hatten sie acht Wochen vor der geplanten Operation eine Knochenbiopsie aus dem Oberkiefer entnommen. Die gewonnenen Osteoblasten wurden im gespendeten Serum der Mutter vermehrt und die kultivierten Zellen dazu verwendet, drei Tage vor der Transplantation eine poröse Knochenmatrix zu besiedeln.

Die Osteoblasten wuchsen auf dem Material an und die MKG-Chirurgen transplantierten im Februar 2007 den autogenen, per Tissue Engineering hergestellten Knochen in den verbliebenen Defekt am linken Oberkiefer. Bereits wenige Wochen später kam es zum Spontandurchbruch des bleibenden linken Eckzahns durch den neu gebildeten Kieferknochen. "Nach sechs Monaten war die Kieferspalte fast vollständig verknöchert", berichtete Pradel.

Transplantationsgesetz geändert

Später folgte die kieferorthopädische Behandlung des zu schmalen und zu weit hinten liegenden Oberkiefers und es waren noch zwei kieferverlagernde Operationen sowie eine Lippen-Nasen-Korrektur erforderlich. Heute hat der Mann einen harmonisch ausgeformten Zahnbogen bei regelrechtem Zusammenbiss von Ober- und Unterkiefer. Nur die zwei äußeren Schneidezähne fehlen, diese waren nicht angelegt. Dies ist optisch kaum zu erkennen und funktionell stört es nicht.

Damals waren an der TU Dresden insgesamt fünf Patienten mit per Tissue Engineering hergestellten autogenen Knochenimplantaten operiert worden. Dann änderten sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen, insbesondere das Transplantationsgesetz.

Pradel: "Ohne aufwändig eingerichtetes Speziallabor dürfen wir diese Transplantate nicht mehr herstellen. Wir mussten deshalb damit aufhören." Und DGMKG-Präsident Professor Günter Lauer von der Uniklinik Dresden ergänzt: "Die Zellproduktion unterliegt heute ähnlich strengen Zulassungskriterien wie Arzneimittel. Deshalb macht das zurzeit niemand in Deutschland." Die MKG-Chirurgen beklagen, dass die hohen gesetzlichen Hürden innovative Behandlungsoptionen verhindern würden.

In Zukunft, sagt Pradel, käme man sogar ganz ohne Knochenbiopsie aus. Stammzellen aus Nabelschnurblut könnten verwendet werden, um Knochenzellen anzuzüchten, zu kryokonservieren und später zu transplantieren. Was die MKG-Chirurgen bei ihrem Jahreskongress vom Gesetzgeber forderten, waren realistische Rahmenbedingungen, unter denen diese neuen Therapien finanziert und umgesetzt werden können.

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