Nephrologen warnen

Immer mehr kaputte Nieren

2,5 Millionen Menschen in Deutschland haben eine mittelgradige oder noch schwerere Niereninsuffizienz - und die Tendenz ist steigend. Die Imageprobleme der Transplantationsmedizin sind daher fatal.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Dialyse: Etwa 80 000 Patienten in Deutschland sind dauerhaft auf Blutwäsche angewiesen.

Dialyse: Etwa 80 000 Patienten in Deutschland sind dauerhaft auf Blutwäsche angewiesen.

© Eisenhans / fotolia.com

BERLIN. Bei der 6. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) wurden am Montag zum ersten Mal bevölkerungsrepräsentative Daten zur Häufigkeit der chronischen Niereninsuffizienz in Deutschland vorgestellt.

Demnach liegt der Anteil von Patienten mit einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) von unter 60 ml/min in der Population der unter 80-Jährigen bei 2,3 Prozent.

"Das entspricht etwa 1,5 Millionen Menschen. Dazu kommen eine Million Menschen über 80 Jahre", sagte Kongresspräsident Professor Matthias Girndt, an dessen Universitätsklinikum in Halle-Wittenberg die entsprechenden Daten ermittelt wurden.

Die Untersuchung, an der sich über 7000 Probanden aus ganz Deutschland beteiligten, ist Teil der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS) des Robert Koch-Instituts (RKI).

Bedarf an Nierenersatzverfahren wird steigen

Wann überweisen?

Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion sollten zum Facharzt überwiesen werden,

- wenn die GFR kleiner ist als 45 ml/min.

- Bei 45 bis 60 ml/min sollte ein Nephrologe bei Proteinurie oder Hämaturie hinzugezogen werden, ebenso bei Hypertonie, morphologisch veränderten Nieren oder nierenspezifischen Komorbiditäten (Anämie oder Störung des Ca-/PO4-Haushalts).

- Unabhängig vom Krankheitsstadium sind Patienten mit therapieresistenter Hypertonie, mit Proteinurie › 200 mg/l (Diabetiker › 20 mg/l) in zwei Messungen sowie Patienten, bei denen die GFR um mehr als 5 ml/min pro Jahr abfällt, Kandidaten für den Facharzt, so die DGfN. (gvg)

Die Zahl der Betroffenen liege in der erwarteten Größenordnung, betonte Girndt. Auffällig sei die sehr starke Altersabhängigkeit. Während unter 50 Jahren kaum jemand eine GFR unter 60 ml/min aufweise, seien es in der sechsten Dekade schon 3 Prozent.

Bei den über 70-Jährigen sind es knapp 13 Prozent, wobei der Anteil der Frauen mit einer GFR unter 60 ml/min bei 15 Prozent liegt. Bei den Männern ist es ein Drittel weniger. Die Ursache dafür sei unklar, so Girndt.

Die neuen Zahlen untermauern die These, wonach der demografische Wandel in den nächsten 20 Jahren zu einem zunehmenden Bedarf an Nierenersatzverfahren führen wird. Derzeit erhalten circa 80.000 Patienten in Deutschland eine Dialysetherapie, weitere etwa 20.000 leben mit transplantierten Nieren.

Die Dialyse sei dabei weniger das Problem, betonte Professor Jürgen Floege, Uniklinikum Aachen: "Zehn Prozent mehr Dialysepatienten können wir versorgen. Die Strukturen dafür stehen." Viel mehr Sorge bereitet die fallende Bereitschaft zur Nierenspende nach dem Tod.

Derzeit liegt die Zahl der Nierenspenden um etwa ein Viertel unter jener im Vergleichszeitraum 2008. Rund 8000 Dialysepatienten warten auf eine Nierentransplantation. 2272 wurden im Jahr 2013 transplantiert.

Bessere Aufklärung über Lebendspende gefordert

Um die Zahlen zu verbessern, fordert die DGfN die Einrichtung eines Transplantationsregisters, damit valide Daten für das Qualitätsmonitoring generiert werden können.

Zudem sollten die Spendenbereitschaft nach Auffassung der DGfN auf der elektronischen Gesundheitskarte hinterlegt und deutlich mehr Anstrengungen bei der Aufklärung der Bevölkerung unternommen werden.

Floege kritisierte Medienberichte, in denen vor den vorgeblich erheblichen Gefahren von Lebendnierenspenden für die Spender gewarnt worden war.

"Die Lebendspende ist für den Spender nicht völlig risikofrei, und darüber müssen wir auch aufklären. Allerdings sollte nicht auf Basis von Einzelfällen ein Verfahren verteufelt werden, das bereits vielen Hundert Menschen komplikationsarm geholfen hat", so Floege.

Wenn nach dem Rückgang bei den Totspenden auch noch die Bereitschaft zur Lebendspende sinke, bestehe die Gefahr, dass der illegale Organhandel auch in Deutschland wieder zunehme, so der DGfN-Präsident.

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