Lumbale Beschwerden

Jede zweite MRT ist überflüssig

Wegen Rückschmerzen gleich zur Magnetresonanztomografie? Das bringt offenbar nur unnütze Überdiagnostik: Denn laut einer kanadischen Studie ist jede zweite MRT-Überweisung unnötig. Vor allem Hausärzte überweisen demnach viel zu oft in die Röhre.

Dr. Robert BublakVon Dr. Robert Bublak Veröffentlicht:
Die Zahl von MR-Tomografien der lumbalen Wirbelsäule ist in den letzten Jahren drastisch gestiegen.

Die Zahl von MR-Tomografien der lumbalen Wirbelsäule ist in den letzten Jahren drastisch gestiegen.

© Killig / momentphoto / imago

ALBERTA. Die Forschergruppe um den Radiologen Derek Emery (Alberta) hat die Angemessenheit von MRT anhand einer Methode beurteilt, die von der US-Denkfabrik RAND (Research and Development) und der University of California, Los Angeles, entwickelt worden ist (JAMA Intern Med 2013, online 25. März).

Dabei wird ein Expertenpanel von Fachleuten eines Bereichs gebildet, die aufgrund der vorliegenden Daten den Einsatz einer Maßnahme mit einer Punktzahl von 1 bis 9 belegen.

Als unangemessen gilt der Einsatz bei ohne Dissens vergebenen Punktzahlen von 1 bis 3, als angemessen bei Punktzahlen von 7 bis 9.

Liegt der Median der verteilten Punkte zwischen 4 und 9 oder herrscht - bei welchem Median auch immer - Uneinigkeit unter den Experten, wird die Angemessenheit der Maßnahme als fraglich beurteilt.

1000 lumbale MRT und 1000 MRT-Aufnahmen des Schädels, letztere zur Abklärung von Kopfschmerzen, wurden gemäß diesen Vorgaben unter die Lupe genommen. Das Prädikat "angemessen" erhielten 443 lumbale Tomografien. 285 waren von fraglichem Wert, in 272 Fällen konnten die Experten unisono keinen Nutzen der MRT erkennen.

Nur eine Indikation im Lumbalbereich war weitgehend unumstritten. Sie betraf 167 Patienten, bei denen postoperative Bein- oder Rückenschmerzen bestanden. 160 dieser MRT-Untersuchungen (95,8 Prozent) galten den Fachleuten als adäquat.

Bei den sonstigen Anlässen für die MRT-Diagnostik lagen Radikulopathien an der Spitze; auf sie entfielen 29,6 Prozent der MRT im Lumbalbereich.

Die meisten der Überweisungen zur Lumbal-MRT, insgesamt 61,1 Prozent, stammten von Allgemeinärzten. Nur 33,9 Prozent davon galten als adäquat. Den höchsten Anteil an Angemessenheit erzielten Neurochirurgen mit 75,7 Prozent.

Hausärzte haben die Nase vorn

Andererseits bedeutet dies, dass selbst jede vierte neurochirurgisch veranlasste MRT nicht oder womöglich nicht notwendig war.

Ganz anders die Situation bei den MRT im Kopfbereich. Angemessen war der Kernspin-Einsatz hier in 82,8 Prozent der Fälle. Als fraglich wurden 8,2 Prozent, als überflüssig 9 Prozent der Untersuchungen eingestuft. Anlass für die MRT waren weit überwiegend nicht näher spezifizierte Zephalgien (43,3 Prozent).

Auch hier waren Allgemeinmediziner mit 53,1 Prozent die Hauptüberweiser. 10,4 Prozent ihrer Überweisungen zum Kopf-MRT waren unangemessen, die Quote unterschied sich kaum von jenen anderer Fachgruppen.

Bei der hohen Zustimmungsrate hinsichtlich der Schädel-MRT ist allerdings zu berücksichtigen, dass die meisten Patienten zuvor bereits eine Computertomografie hinter sich gebracht hatten und also entsprechend vorselektiert waren.

"Die hohe Rate nicht angebrachter oder nur fraglich indizierter MRT überrascht uns nicht", schreiben Emery und seine Kollegen im Resümee ihrer Studie. Schließlich habe die Zahl von Tomografien der lumbalen Wirbelsäule in den vergangenen Jahren dramatisch zugenommen.

Andererseits sei erwiesen, dass MRT-Befunde und klinische Zeichen sowie Symptome in diesem Bereich nur schlecht korrelieren.

Der kanadischen Studie zufolge sind viele der bei Kreuzbeschwerden veranlassten MRT unnötig. Andererseits könnte es sein, dass ein Gutteil der Patienten mit geeigneter Indikation nicht in den Tomografen geschoben wird. Entsprechende Erkenntnisse zu gewinnen, war das Vorgehen der Kanadier allerdings nicht geeignet.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Viel hilft nur wenig

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 08.04.201316:21 Uhr

"Was soll das?" (Herbert Grönemeyer)

"Womit hab ich das verdient, dass der mich so blöde angrient? Warum hast du mich nicht wenigstens gewarnt?" - Vor diesen "Klugscheißern", die erst n a c h einer MRT-Untersuchung ausgiebig im Experten-Panel diskutieren können, ob es im Nachhinein besser gewesen wäre, auf die extensive radiologische Diagnostik zu verzichten, warnt indirekt hier auch die ÄRZTE ZEITUNG. Denn abgesehen davon, dass in Kanada ein überwiegend privatärztliches System mit extremen Entfernungen außerhalb der Ballungszentren vorherrscht, gibt es hüben wie drüben Patienten mit Rückenbeschwerden, die am liebsten ein MRT auf dem juristischen Klageweg erzwingen möchten, bevor der Arzt überhaupt nach Beschwerdeanlass und gesundheitlichen Klagen fragen darf.

Dabei sind die Ergebnisse der hier vorgelegten Studie völlig unspektakulär:
1. Beim lumbalen MRT ergab sich nur in 27,2 Prozent k e i n e r l e i klinischer und differenzialdiagnostischer Nutzen.
2. Postoperativen Bein- oder Rückenschmerzen mit anlasslosen LWS-MRTs zu begegnen, wäre nur in 4,2 Prozent "State of the Art" gewesen.
3. Wer beschwerdebedingt bereits beim Neurochirurgen gelandet ist, kann froh sein, dass dieser nur in 75,7 Prozent mit dem MRT fündig wird.
4. Das hausärztliche Lumbal-MRT dient häufiger eher der Beruhigung der Patienten durch Ausschlussdiagnostik.

Beim Schädel-MRT hatte das Experten-Panel offensichtlich jede Art von Untersuchungsanlass wie z. B. (atypischen) Kopfschmerz durchgewunken. Anders ist die geringe Quote eindeutiger MRT-Fehlanforderungen von 9% bei Fachärzten und 10,4% bei Hausärzten nicht zu erklären. Zumal bei den meisten Patienten vorher schon ein Schädel-CT gelaufen war.

Ganz sicher taugt diese Einzelstudie nicht dazu, medizinische oder ökonomische Vor- und Nachteile von Hausarztsystemen im internationalen Vergleich zu evaluieren, wie ein kommentierender Kollege zugespitzt meint. Angesichts der Tatsache, dass im Haus-, Fach- und Klinik-Arztbereich von allen gestellten Diagnosen immer etwa ein Drittel Fehldiagnosen sind, wäre das eine unzulässige Spitzfindigkeit.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Dr. Joachim Nowak 08.04.201312:34 Uhr

Hausarztsystem

Die Erhebung wurde in Canada gemacht, also wundert es mich nicht bei dem dortigen Hausarztsystem, dass es zu einer Überdiagnostik beim MRT führt. Das Hausarztsystem führt nicht, wie von Politikern angenommen zu einer Einsparung von Kosten, sondern das Gegenteil ist der Fall. In Deutschland hat man das Gott sei Dank eingesehen und wieder abgeschafft.

Dr. Robert Siebel 08.04.201306:46 Uhr

Vielschichtiges Problem der Überversorgung ohne realen Nutzen

Das Erbegnis der vorliegenden Studie verwundert den in der täglichen Arbeit stehenden konservativen Orthopäden in keiner Weise.
Die Gründe hierfür sind jedoch umfassend. Auf der einen Seite steht sicher eine Unsicherheit bei der klinischen Diagnostik und die Angst etwas zu übersehen, für das man dann belangt werden könnte.Die weiterführende Therapie wird dann aber auch gern in andere Hände gelegt. Weiterhin wird heutzutage jegliche Hitech-Medizin von Patienten eingefordert, nach dem Motto " An meinen Körper nur das Beste", über Kosten muss man sich ja im Solidarsystem keine Gedanken machen.
Aber ein Hauptgrund ist sicher, dieses muss einmal ausdrücklich gesagt werden, dass die darauf folgende Therapie mit z.B. Medikamenten und Physiotherapie hochbudgetiert ist, eine aufwendige apparative Diagnostik auch ohne jegliche Indikation dagegen schmeichelt in der Wertschätzung und zieht ja zunächst einmal keine Sanktionen nach sich.

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