Diäten

Kein Königsweg zur schmalen Taille

Wollen Übergewichtige dauerhaft abnehmen, wird ihnen immer noch zu Diäten geraten - obwohl wissenschaftlich längst belegt ist, dass eine reduzierte Kost alleine nicht zum Idealgewicht führt. Zum erfolgreichen Schlankwerden gehört weitaus mehr.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Schmale Kost ist zur Gewichtsreduktion nur kurzfristig erfolgreich, wie Studien immer wieder ergeben haben.

Schmale Kost ist zur Gewichtsreduktion nur kurzfristig erfolgreich, wie Studien immer wieder ergeben haben.

© Pixelbliss / fotolia.com

NEU-ISENBURG. Eigentlich hätten sich die Forscher um Dr. Renée Atallah die neueste Übersichtsarbeit zum Diäten-Vergleich sparen können: Den meisten Dicken helfen Diäten alleine nichts, egal ob sie eine kohlenhydrat-, protein- oder fettarme Ernährung zum Abspecken bevorzugen (Circulation 2014, online 11. November).

Das alles ist schon lange bekannt, so lange, dass die Erkenntnisse bereits in die aktuelle S3-Leitlinie der Adipositas-Gesellschaft eingeflossen sind: Hier kommen die Autoren zu dem Schluss, dass die Zusammensetzung der Makronährstoffe für den Diäterfolg unerheblich ist, letztlich sei die Gesamtkalorienzahl entscheidend, und die, so heißt es in der Leitlinie, bekommen viele Adipöse langfristig nicht in den Griff.

Das Problem sind also nicht die Diäten - selbst mit einer reinen Schokodiät könnte jemand abnehmen, wenn er außer einer Tafel am Tag nichts anderes isst.

Es ist der adipöse Körper, der, vermutlich evolutionsbiologisch begründet, verbissen jedes Gramm der einmal angelegten Kalorienreserven verteidigt und dabei ein leichtes Spiel hat, in einer Welt, in der hochkalorische Verführungen an jeder Ecke lauern.

Ohne Sport schafft es kaum jemand abzuspecken

Die entscheidende Frage lautet also: Wie lässt sich der Körper überlisten? Hier lohnt es sich, bei denen nachzuschauen, die es dauerhaft geschafft haben, ihren BMI von über 30 auf unter 25 zu senken.

In der Regel haben solche Leute nicht nur ihre Ernährung, sondern ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Weniger essen ist nur ein Weg, mehr Bewegung der andere, um eine negative Kalorienbilanz zu erreichen. Am besten funktioniert beides zusammen.

Ohne Sport schafft es jedenfalls kaum jemand, abzuspecken. Man denke nur an Joschka Fischer, der vom Pummelchen zum Leichtgewicht mutierte, als er sich aufraffen konnte, täglich zu joggen, und der schnell wieder in die Breite ging, als er damit aufhörte.

Doch auch der Mangel an Bewegung erklärt nicht alles, letztendlich muss man von einem komplexen adipogenen Umfeld ausgehen, das die Fettpölsterchen so prächtig gedeihen lässt: Zu viel Fettes und Süßes, zu viel Fast- und Fertigfood, zu viel Fernsehen, zu wenig Bewegung, zu wenig Obst und Gemüse, zu wenig Wissen über eine gesunde Lebensweise, zu wenig Möglichkeiten für eine aktive Freizeitgestaltung.

Adipositas scheint an solchen Faktoren zu kleben wie die Finger an einem fettigen Donut, und das wird besonders in jenem Land deutlich, in dem die Übergewichtigen und Adipösen bereits 70 Prozent der Bevölkerung in den USA stellen.

Doch gerade dort lässt sich auch gut beobachten, wie das Wachstum des Bauchumfangs zu verhindern ist: In den Straßen von Manhattan, in den Kneipen von Brooklyn, an den Stränden Kaliforniens, auf dem Campus von Harvard - dort sucht man sie vergeblich, die Dicken.

Es ist die gebildete urbane Mittel- und Oberschicht, die sich der Adipositas-Epidemie erfolgreich widersetzt. Menschen, die öffentliche Verkehrsmittel benutzen, mit dem Rad fahren, abends zu Tausenden durch Parks und an Flussufern entlangjoggen und es nicht weit zum nächsten Bioladen haben.

Die Dicken findet man dagegen in den Problemvierteln oder in den unzähligen Vororten und auf dem Land, wo jeder Schritt aus dem Haus in die Garage mündet, weil es sonst keine anderen Möglichkeiten gibt, sich fortzubewegen. Man trifft sie auch überall dort, wo der Weg zum nächsten Supermarkt viel weiter ist als der zum nächsten Fast-Food-Provider.

Kochen findet nur noch im Fernseher statt

Nun liegt natürlich nicht alles an den vorhandenen Möglichkeiten, sondern auch an der Einstellung: Wer häufig einen großen Bogen um die Frittenbräter und Donut-Verkäufer macht, der will sich bewusster ernähren.

Und an diesem Bewusstsein mangelt es häufig auch in Deutschland. Hier gibt es zwar fast überall eine gute Freizeit-, Sport- und Frischwaren-Infrastruktur, doch nimmt offenbar der Teil der Bevölkerung ab, der diese zu nutzen und zu schätzen weiß.

Und das liegt nicht primär am Geld: Eine Tiefkühlpizza kostet mitunter mehr als ein paar Hühnchenstreifen auf Rucolasalat. Die Pizza muss ich aber nur in den Backofen schieben, mit dem Salat bin ich eine halbe Stunde beschäftigt.

Schaut man sich Familien an, in denen die Adipositas von den Eltern auf die Kinder übertragen wird, so trifft man den Rucolasalat dort eher selten. Kochen ist für viele eine Beschäftigung, die allenfalls noch im Fernseher stattfindet.

Beim Abspecken muss also der gesamte Lebensstil auf den Prüfstand. Und wer der Adipositas-Epidemie etwas entgegensetzen will, sollte bereits bei den Kindern beginnen.

Vielleicht wären Kochstunden in der Schule eine Möglichkeit, um Appetit auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu machen, vielleicht sollten dicke Kinder ihren eigenen Sportunterricht bekommen, wo sie Spaß an körperlicher Bewegung lernen, statt von den anderen gehänselt zu werden.

Es gibt im Bemühen gegen die Fettsucht wahrlich Sinnvolleres, als nach der richtigen Diät zu schauen.

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