Grundsatzvereinbarung

Lebensmittelindustrie geht Zuckerfrage an

Deutschland soll sich dem Kampf gegen zu viel Zucker, Salz und Fette in Nahrungsmitteln verschreiben. Als Vehikel dazu dient eine Grundsatzvereinbarung der Bundesernährungsministerin Julia Klöckner mit verschiedenen Wirtschaftsverbänden. Der Lebensmitteleinzelhandel verfolgt diese Strategie indes schon lange – ein Überblick.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Wie viel Zucker sollen Fertiglebensmittel künftig enthalten? Diese Frage treibt die Branche genauso um wie die zum Fett- und Salzgehalt.

Wie viel Zucker sollen Fertiglebensmittel künftig enthalten? Diese Frage treibt die Branche genauso um wie die zum Fett- und Salzgehalt.

© Daniel Fleck / Fotolia

BERLIN. Die vergangene Woche stand der hohe Gehalt an Zucker, Salz und Fetten in Nahrungsmitteln in Deutschland in der großen medialen Aufmerksamkeit. So verkündete Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) am Dienstag, die Ernährungsindustrie verpflichte sich, ab 2019 den Gehalt an Zucker, Fetten und Salz in ihren Fertiggerichten zu reduzieren. Darauf habe sie sich in einer Grundsatzvereinbarung vom 26. September am Runden Tisch geeinigt. Besonders im Fokus stünden dabei speziell an Kinder gerichtete Produkte.

Partner des Runden Tisches – und damit Mitunterzeichner der Selbstverpflichtung – sind der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL), der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH), der Deutsche Fleischer-Verband (DFV), das Deutsche Tiefkühlinstitut (dti), der Milchindustrie-Verband (MIV), der Verband der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft, die Wirtschaftsvereinigung Alkoholofreie Getränke (wafg), die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker (WVZ), der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) sowie der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks (ZVDB).

Im Einklang mit Koalitionsvertrag

43 Prozent der Frauen, 62 Prozent der Männer und 15 Prozent der Kinder sind nach Ministeriumsangaben in Deutschland übergewichtig. Zu viel Zucker, gesättigte Fettsäuren und Salz erhöhten das Risiko für Übergewicht und Adipositas sowie ernährungsmitbedingte chronische Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-II-Diabetes.

Angesichts ihres häufigen Vorkommens stellten diese Erkrankungen die Gesundheitssysteme weltweit vor enorme Herausforderungen. Weniger Zucker, Fette und Salz in Fertiglebensmitteln sei daher für Klöckner das Ziel ihrer Reduktions- und Innovationsstrategie. Sie sei konsequent in mehreren Runden Tischen mit Wirtschaft, Wissenschaft, Gesundheits- sowie Verbraucherseite das Thema und die Zielsetzung des Koalitionsvertrages angegangen.

Im Koalitionsvertrag wurde das Ziel festgehalten, für die Nationale Reduktionsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten 2018 gemeinsam mit den Beteiligten ein Konzept zu erarbeiten und dies mit wissenschaftlich fundierten, verbindlichen Zielmarken und einem konkreten Zeitplan zu versehen. Ein wichtiges Zwischenziel sei nun die mit der Wirtschaft erzielte Grundsatzvereinbarung – "eine Vereinbarung, die es bisher so noch nicht gegeben hat", wie es von Ministeriumsseite heißt.

Zwei Kernziele sieht die Grundsatzvereinbarung mit der Wirtschaft vor, die über eine breite Palette an Maßnahmen erreicht werden soll:

  • Zum einen soll "die Energiezufuhr der Bevölkerung durch eine Reduktion des Zuckergehaltes und/oder des Fettgehaltes und/oder der Portionsgrößen von Lebensmitteln senken, dabei jedoch die Nährstoffversorgung der Bevölkerung im Blick behalten."
  • Zum anderen sollen die Maßnahmen "die Aufnahme von Salz und nicht ruminanten Transfettsäuren in der Bevölkerung weiter reduzieren" helfen.

Fortschrittsbericht für 2019 avisiert

Die Umsetzung ab 2019 wird durch ein Monitoring und ein übergeordnetes Beratungsgremium begleitet, in dem auch die Wissenschaft, Verbraucherorganisationen, Krankenkassen und Fachgesellschaften aus dem Gesundheitsbereich beteiligt sind. Schon im Herbst 2019 soll dem Gremium ein erster Fortschrittsbericht vorgelegt werden. Bis 2025 sollen die in den Prozess- und Zielvereinbarungen festgelegten Zielmarken erreicht werden.

 Klöckners Kabinettskollege Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sitzt bei der Konzertierten Aktion für gesündere Lebensmittel übrigens auch mit im Boot. "Wir setzen auf freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie", verdeutlichte Spahn kürzlich in einem Interview. Diese müssten aber auch "verbindlich und wirksam sein. Sonst erfordere der Schutz der öffentlichen Gesundheit "weitergehend Maßnahmen".

Für die Wirtschaft kommt die Forderung nach gesünderen Lebensmitteln indes nicht aus heiterem Himmel. Seit Jahren sieht sich die Lebensmittelbranche durch die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) und der WHO, die aufgenommene Menge an Salz und Zucker zu verringern, da es einen wissenschaftlich belegten Zusammenhang zwischen zu hohem Salz- und Zuckerkonsum und Volkskrankheiten wie Bluthochdruck und Adipositas gebe, unter Zugzwang gestellt – und ging ihrerseits in die Offensive.

Zahlreiche Lebensmitteleinzelhändler wie auch Discounter haben in der jüngeren Vergangenheit bereits die Eigeninitiative ergriffen und öffentlichkeitswirksam Strategien für gesündere Lebensmittel in ihren Regalen – der Schwerpunkt liegt meist auf den jeweiligen Eigenmarken – veröffentlicht, über deren Fortschritt sie in regelmäßigen Abständen berichten.

Das bisherige Präventionsbetreiben der Lebensmittelwirtschaft goutiert auch Ministerin Klöckner. "Anerkennung sollen dabei auch Initiativen und Aktivitäten finden, die vonseiten der Lebensmittelwirtschaft bereits in den vergangenen Jahren geleistet worden sind", heißt es von Ministeriumsseite.

Beispiele für zuckerreduzierende Maßnahmen

Und die Verbraucher? Die goutieren es offensichtlich ebenso – vor allem, wenn sie zum Beispiel in Entscheidungen zum Zuckergehalt bestimmter Produkte eingebunden werden. Der Lebensmitteleinzelhändler Rewe, der in diesem Jahr die ersten rund 100 zuckerreduzierten Pilotprodukte seiner Eigenmarken ins Sortiment einführen will, ließ zu Jahresbeginn seine Kunden darüber abstimmen, welche zuckerreduzierte Produktvariante in die Regale kommen soll. Zur Wahl stand ein Schokoladenpudding-Quartett, das es in Originalrezeptur sowie mit 20, 30 und 40 Prozent weniger Zucker zum Probieren gibt – ohne Einsatz alternativer Süßungsmittel.

Rund 100.000 Kunden nahmen an der Abstimmung teil, wie der selbstständige Berater Michael Warburg, der Rewe im Issue Management betreut, am Mittwoch in Berlin beim 2. Deutschen Zuckerreduktionsgipfel des AOK-Bundesverbandes hervorhob. Gewonnen hat übrigens – mit einem Stimmenanteil von 45 Prozent – die Variante mit dem um 30 Prozent reduzierten Zuckergehalt.

Unterdessen startete Rewe im September einen Piloten mit einem Markenartikler. Konkret ging es um eine Produktneuheit der Molkereigenossenschaft Arla Foods. Der Fruchtjoghurt der Marke Arla Bio enthalte ausschließlich Bio-Joghurt und Bio-Früchte. Auf den Zusatz von Zucker, Aromen oder anderen Stoffen wie Verdickungsmitteln werde komplett verzichtet. Die Innovation stehe für die nächsten vier Monate exklusiv bei Rewe im Regal.

In puncto Lebensmittelampel plädierte Nadine Küster, bei Danone für das Deutschlandgeschäft zuständig, beim AOK-Zuckergipfel für den Ende 2017 von der französischen Regierung auf freiwilliger Basis eingeführten Nutri-Score. Dieser sei von unabhängigen Wissenschaftlern kreiert und stelle ein klares Kennzeichnungssystem je 100 Gramm eines Lebensmittels dar.

Sie zeigte damit eine Alternative zu dem umstrittenen, von Mondelez, Coca-Cola, Mars, Nestlé, Pepsi und Unilever im März gemachten Vorstoß für eine "weiterentwickelte Farbkennzeichnung" für Lebensmittel auf. Foodwatch kritisiert, das vorgeschlagene System sei weniger strikt und aussagekräftig als die Lebensmittelampel in Großbritannien.

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