Prostatakrebs

Lieber abwarten statt operieren

Soll beim Niedrig-Risiko-Prostatakarzinom operiert, bestrahlt oder "nur" aktiv überwacht werden? Neuen Diskussionsstoff liefert die deutsche Versorgungsforschungsstudie HAROW.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Der Blick ins Innere eines Mannes mit Fokus auf die Prostata.

Der Blick ins Innere eines Mannes mit Fokus auf die Prostata.

© Springer Verlag GmbH

BERLIN. Eine neue Versorgungsstudie deutet darauf hin, dass eine aktive Überwachung beim Niedrig-Risiko-Prostatakarzinom unter den Bedingungen des deutschen Gesundheitswesens möglich und sicher ist. Wird in Deutschland viel zu viel operiert?

Die beim Kongress der European Association of Urology in Stockholm präsentierten Ergebnisse der HAROW-Studie wurden bereits im Vorfeld in einigen Medien thematisiert. Studienleiter Professor Dr. Lothar Weißbach hat sich jetzt zu den Details der von GAZPROM Germania unterstützten Studie geäußert.

An der HAROW-Studie nahmen 3169 Patienten teil, die in 263 urologischen Praxen in Deutschland über fünf Jahre rekrutiert wurden. Es wurden dabei keine Therapievorgaben gemacht.

Die Urologen konnten frei entscheiden, ob sie ihre Patienten mit Niedrig-Risiko-Prostatakarzinom operieren ließen, ob eine Strahlen- oder Hormontherapie erfolgte oder ob eine Strategie der aktiven Überwachung (Active Surveillance, AS) gewählt wurde.

Bei der AS wurde (nach einer initialen Biopsie) alle drei Monate der PSA-Wert gemessen und rektal untersucht. Bei Verdacht auf eine Progression wurde erneut biopsiert.

Es gab allerdings keine festen PSA-Grenzwerte. Die Urologen wurden vielmehr angehalten, ihre Entscheidung über eine erneute Biopsie nicht an einzelnen PSA-Werten festzumachen, sondern den Verlauf zu beurteilen.

Jeder fünfte Patient wurde defensiv behandelt

Dies habe sehr gut funktioniert, so Weißbach. Die Urologen wählten bei jedem fünften Patienten eine defensive Therapiestrategie. Die durchschnittliche Nachbeobachtungszeit im AS-Arm liegt bisher bei 1,84 Jahren.

Bei 38,9% der Patienten erfolgte in diesem Zeitraum eine Kontrollbiopsie. Bei 23,3 Prozent wurde sekundär doch operiert oder radiologisch therapiert. Kein Patient in der AS-Gruppe sei bisher an den Folgen des Prostatakarzinoms gestorben, so Weißbach.

In erster Linie zeigt die HAROW-Studie Weißbach zufolge, dass eine AS unter den Bedingungen der ambulanten Versorgung in Deutschland umsetzbar ist. Auch seien niedergelassene Urologen zunehmend bereit, zurückhaltende Strategien zu empfehlen.

Dennoch werde in Deutschland beim Niedrig-Risiko-Prostatakarzinom weiterhin viel zu viel operiert, so Weißbach: "Ich bin aber überzeugt, dass sich das in den nächsten Jahren drastisch ändern wird."

Weißbach erläuterte, dass es bei der HAROW-Studie nicht primär um die Effektivität der AS gegangen sei. Diese sei bei weltweit über 30.000 Patienten gut belegt.

"Patienten mit Niedrig-Risiko-Karzinom sterben nicht an, sondern mit ihrem Karzinom", so Weißbach. Entscheidend sei, Patienten mit hohem Risiko herauszufischen.

Die Erfahrung aller bisherigen AS-Studien sei, dass diese Patienten in den ersten zwei Jahren demaskiert würden. Deswegen sei die hohe Konversionsrate in der HAROW-Studie auch nicht überraschend.

In weiteren Auswertungen soll geklärt werden, ob die erwartete Stabilisierung der verbleibenden Patienten bei längerer Nachbeobachtung auch eintritt.

Kritik an der deutschen PREFERE-Studie: "Fehlinvestition"

Deutliche Kritik übte Weißbach an der seit 2013 laufenden deutschen PREFERE-Studie, einer randomisiert-kontrollierten, auf mindestens 13 Jahre angelegten Studie, die radiologische und operative Therapien sowie die AS in einem vierarmigen Studiendesign vergleicht.

"Die Studie ist eine Fehlinvestition, weil die Unterschiede zwischen den Gruppen wegen der niedrigen Sterblichkeit nur gering sein werden. Alle internationalen Versuche, vierarmige Studien zu machen, wurden abgebrochen. Meiner Auffassung nach sollten die Studienleiter das Design verändern."

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