Hintergrund
Mastzellen: Dirigenten der Immunantwort
In Berlin trafen sich über 300 Wissenschaftler und redeten über eine einzige Zelle: die Mastzelle. Sie ist nicht mehr das schwarze Schaf der Immunologie, sondern ein Hauptschalter des Immunsystems. Dieses Umdenken könnte auch zu neuen Therapien führen.
Veröffentlicht:Mastzellen tragen IgE-Rezeptoren auf der Oberfläche und sind an der Entstehung von Allergien und Asthma beteiligt - das haben Generationen von Ärzten aus dem Medizinstudium in Sachen Mastzellen mit in den Berufsalltag genommen.
Bisher reichte das auch, denn Therapien, die bei den Mastzellen ansetzen, gab es kaum. Doch in der Forschung haben die Mastzellen in den vergangenen Jahren so etwas wie eine Renaissance erlebt.
Das Bild von ihrer Funktion hat sich gewandelt: "In der Immunologie galt die Mastzelle als Bösewicht, und teilweise stimmt das auch: Keine andere Zelle des Menschen kann den eigenen Organismus so schnell umbringen. Ihre zentrale Rolle beim allergischen Schock macht die Mastzelle zur tödlichsten Zelle des Körpers", betont Professor Marcus Maurer vom Allergie-Centrum der Charité Berlin.
Die Zellen bilden eine Art Vorhut des Immunsystems
Einerseits. Andererseits ist die Mastzelle auch völlig unverzichtbar. "Wenn wir ein hypothetisches Medikament hätten, das die Mastzellen komplett lahmlegt, dann würden wir wahrscheinlich umfallen wie die Fliegen, sobald wir Bakterien nur von ferne sehen", so Maurer.
Der Grund ist, dass die Mastzellen so etwas wie die Vorhut des Immunsystems bilden. Eine riesige Zahl von Mastzellen ist verteilt über den ganzen Körper. Vor allem Haut und Schleimhäute sind reich an diesen Zellen.
Würden sich alle Mastzellen an einem Ort versammeln, dann entstünde ein Organ so groß wie die Milz. Doch Mastzellen sind Einzelgänger. "Sie sind die mit Abstand effektivsten Zellen für die Auslösung einer Entzündung und damit für einen der wichtigsten Schutzmechanismen des Körpers", so Maurer.
Nähert sich ein Erreger, entsteht eine Wunde oder kommt das Gewebe in Kontakt mit Giftstoffen - immer ist die Mastzelle als erstes da. Sie entleert ihre Granula, die über 70 verschiedene Botenstoffe enthalten.
"Die Mastzelle sitzt da, wo die Spinne beißt. Sie sagt den anderen Immunzellen im Blut oder in den Lymphknoten Bescheid, wann sie kommen müssen", so Maurer.
Den Mastzellen als Dirigenten der unspezifischen Immunantwort komme damit bei der Vermeidung von Infektionen eine Schlüsselrolle zu.
Sie seien es, die dafür sorgen, dass 90 Prozent aller Bakterien, die in den Körper eindringen, beseitigt werden, ohne dass die spezifische Abwehr überhaupt aktiv werden muss.
Eine weitere neue Erkenntnis ist, dass die Mastzellen an einer Schnittstelle zwischen Nervensystem und Immunsystem sitzen: "Mastzellen halten sich bevorzugt in unmittelbarer Nachbarschaft von Nervenendigungen auf. Das ist wirklich auffällig", betonte Maurer im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".
Passend dazu verfügen sie über Rezeptoren für Neuropeptide, etwa Substanz P. Mit anderen Worten: Die Degranulation von Mastzellen kann auch über Nervenreize vermittelt werden.
Bei starkem Stress werden die Mastzellen aktiviert
Was bei der Infektionskontrolle möglicherweise sinnvoll sein kann, das kann bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen zum Problem werden: "Wir wissen, dass zahlreiche chronisch-entzündliche Erkrankungen sich unter Stressbedingungen verschlechtern", so Maurer.
Die These wäre demnach, dass Stress über eine lokale Freisetzung von Neuropeptiden Mastzellen aktiviert, was eine Exazerbation der chronischen Entzündung zumindest begünstigt.
Sollte sich das bewahrheiten, dann könnten Therapien, die sich gegen Mastzellen richten, möglicherweise nicht nur bei den klassischen mastzellvermittelten Erkrankungen wie der Urtikaria oder der Mastozytose helfen, sondern - vielleicht sogar präventiv - auch bei vielen anderen chronisch- entzündlichen Erkrankungen.
Allein, es fehlen derzeit noch die Moleküle. Doch daran wird gearbeitet. "Wir wollen die nützlichen Effekte der Mastzellen beibehalten und schädliche Signalwege blockieren", so Maurer.
Strategien, die sich gegen die IgE-vermittelte Mastzellaktivierung richten, hält er für sehr vielversprechend. Hier gebe es auch schon gute Daten aus Phase-II-Studien, etwa bei Patienten mit Urtikaria.
Aber bei Anti-IgE-Therapien soll es nicht bleiben: Grundsätzlich könne fast jeder Aktivierungsweg der Mastzellen ein sinnvoller Angriffspunkt für hemmende Medikamente sein.
Um die klinische Zukunft der Mastzellforschung ist Maurer deswegen nicht bange. Und die Forscherkollegen scheinen das ähnlich zu sehen: Zum Mastzell-Symposium an der Charité kamen über 300 Anmeldungen: "Da mussten wir erst einmal einen größeren Raum suchen."