Antipsychotika
Medikamente machen Straftäter zahmer
Stehen Patienten unter Antipsychotika oder Stimmungsstabilisierern, begehen sie seltener Gewaltstraftaten als in Phasen ohne Medikation. Die Dosierung spielt eine Rolle.
Veröffentlicht:OXFORD. Immer mehr Menschen nehmen Neuroleptika: In den USA hat sich die Zahl derer, die Antipsychotika oder Stimmungsstabilisierer erhalten, innerhalb einer Dekade verdreifacht. Auch in anderen Industrieländern gab es einen beträchtlichen Anstieg bei den Verordnungen solcher Medikamente, berichten Psychiater um Seena Fazel von der Universität in Oxford (The Lancet 2014, 384: 1206 - 1214).
Wenn eine Therapie nun Krankheitsrückfälle verhindert, was in großen Interventionsstudien gezeigt wurde, dann sollte sie auch Straftaten vermeiden, die während akuter Krankheitsphasen begangen werden. Vor allem Gewaltstraftaten hochagitierter Patienten müssten dann seltener auftreten.
Schwedische Daten analysiert
Allerdings ist der Nachweis solcher Effekte schwierig: Kontrollierte Studien dauern in der Regel nicht lange genug und sind zu klein, um statistisch belastbare Daten zu liefen.
Beobachtungsstudien, in denen Patienten mit und ohne Medikation verglichen werden, sind wenig aussagekräftig, da Patienten mit Medikation vermutlich stärker krank sind oder andere Persönlichkeitsmerkmale aufweisen - hier werden mitunter also Äpfel und Birnen verglichen. Forscher um Fazel haben daher einen anderen Ansatz gewählt.
Sie schauten, ob Gewaltstraftaten bei denselben Patienten weniger häufig vorkommen, wenn sie unter Medikamenten stehen.
Als Datenbasis dienten mehrere große schwedische Register. Die Wissenschaftler fanden in der schwedischen Bevölkerung knapp 83.000 Patienten, denen zwischen 2006 und 2009 mindestens einmal Antipsychotika oder Stimmungsstabilisierer verordnet wurden - das waren etwa zwei Prozent der Bevölkerung, Männer und Frauen erhielten gleich häufig solche Arzneien.
Mord, Übergriffe, Raub, sexuelle Belästigung und Gewalt
Bei den einzelnen Patienten überprüften sie nun anhand von Polizeiregistern, wie häufig diese in den Zeiten mit und ohne Medikation straffällig wurden. Hatten die Patienten mindestens vier Monate in Folge keine Medikamente bekommen, galten sie als unbehandelt.
Unter Gewaltstraftaten verstanden die Studienautoren Mord, körperliche Übergriffe, Raubüberfälle, sexuelle Belästigung oder Gewaltdrohungen.
Insgesamt wurden von über 2600 Männern knapp 4200 Gewalttaten registriert. Frauen waren erwartungsgemäß deutlich zurückhaltender, nur rund 600 wurden straffällig und begingen knapp 800 Straftaten. Wie sich herausstellte, traten Gewaltstraftaten in Phasen mit Antipsychotika zu 45 Prozent seltener auf als in unbehandelten Zeiten.
Bei Patienten, die Stimmungsstabilisierer bekamen, war der Unterschied nicht ganz so groß: Hier war die Rate von Gewaltstraftaten in behandelten Phasen um etwa ein Viertel reduziert. Schauten die Forscher nach anderen Straftaten, so traten diese zwar unter der jeweiligen Medikation auch etwas seltener auf als ohne, der Unterschied war jedoch nur etwa halb so groß wie bei den Gewaltstraftaten.
Bei Schizophrenie-Patienten schienen Antipsychotika am stärksten Gewalttaten zu verhindern, Stimmungsstabilisierer hatten dagegen keinen Effekt. Bipolar-Patienten zeigten hingegen unter Stimmungsstabilisierern die niedrigste Kriminalitätsrate, Antipsychotika waren diesbezüglich jedoch fast ähnlich wirksam.
Hohe Dosis, wenig Gewalt
Für eine kausale Beziehung spricht, dass die Kriminalitätsrate während einer hohen Dosierung deutlich niedriger war als unter einer niedrigen, und unter Depot-Neuroleptika war sie geringer als mit einer oralen Therapie.
Zwar lässt sich trotz Berücksichtigung vieler Begleitfaktoren und dem intraindividuellen Vergleich aus einer Registeranalyse keine eindeutige Kausalität ableiten, das Team um Fazel sieht in den Daten aber einen deutlichen Hinweis auf eine niedrigere Rate von Gewaltstraftaten unter Antipsychotika und Stimmungsstabilisierern.