Signale richtig deuten

So erkennen Hausärzte eine Depression

Depressionen sind auf dem Weg zur Volkskrankheit, dennoch brauchen Hausärzte oftmals ein gutes Gespür, um eine solche Erkrankung zu erkennen. Ein Experte erklärt, auf welche Signale zu achten sind.

Von Taina Ebert-Rall Veröffentlicht:
Fast jeder zehnte Patient, der in die Hausarztpraxis kommt, leidet auch unter einer Depression.

Fast jeder zehnte Patient, der in die Hausarztpraxis kommt, leidet auch unter einer Depression.

© Daniel Laflor / istockphoto.com

BERLIN. Etwa jeder zehnte Patient, der eine Hausarztpraxis aufsucht, leidet auch unter einer Depression.

Erkrankte stellen Hausärzte nicht nur bei der Diagnose, sondern auch in der Versorgung vor ganz besondere Herausforderungen.

"In der Hausarztpraxis Depressionen zu erkennen, ist extrem schwierig", sagt Professor Jochen Gensichen vom Institut für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Jena.

Denn zum Hausarzt kommen nicht die Patienten mit einer Überweisung, auf der die Verdachtsdiagnose schon vermerkt ist. Und die meisten Patienten kommen wegen körperlicher Beschwerden.

Um eine Depression zu erkennen, müssen Hausärzte sehr genau auf die feinen Signale wie Schlaflosigkeit, Appetitminderung, wechselnde Schmerzen und ähnliches achten.

Depression ist oft Komorbidität

Gensichen betont: "Da kommt es auf eine ausgeprägte Gesprächskompetenz an: aufmerksam werden und dann die richtigen Fragen stellen."

Außerdem sei Depression eine relevante Komorbidität, so der Experte für chronische Erkrankungen und Multimorbidität in der Primärversorgung.

So werde beispielsweise bei 45 Prozent der Patienten mit Angststörungen auch eine Depression diagnostiziert. Bei Diabetes, Krebs- und neurologischen Erkrankungen ist es laut Gensichen jeder Fünfte.

Bei 40 Prozent der geriatrischen und herzinsuffizienten Patienten liege eine Depression vor und bei 60 Prozent der Schmerzpatienten.

"Grundsätzlich gilt Depression als Komorbidität sowohl bei psychischen als auch bei somatischen Erkrankungen als ein komplizierender Faktor, der die Behandlungsergebnisse negativ beeinflusst", so Gensichen.

Der jüngste QISA-Band "Depression" liefert nun Qualitätsindikatoren für die Versorgung von Patienten mit Depressionen in Hausarztpraxen.

Er gibt Ärzten, Arztnetzen und Qualitätszirkeln Instrumente an die Hand, mit denen sie die Versorgungsqualität in diesem Bereich beschreiben, das Ergebnis ihrer eigenen Arbeit überprüfen und gegebenenfalls Verbesserungen veranlassen können.

Signale richtig deuten

Zum Beispiel, wenn es darum geht, mit zwei einfachen Fragen zum Screening eine Depression auszuschließen: "Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig, bedrückt oder hoffnungslos?" und "Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun?".

Die Antworten auf diese Fragen lassen nach der Erfahrung Gensichens und seiner Koautoren gute Rückschlüsse darüber zu, ob der Patient an einer Depression leidet oder nicht.

Chronische Schmerzen, mehrere erfolglos anbehandelte Erkrankungen, aber auch das sogenannte "Ärztehopping" oder häufige Praxisbesuche eines Patienten wegen unterschiedlicher Beschwerden können nach Ansicht von Gensichen ebenfalls auf eine Depression hinweisen.

"Auch wenn Sie nur noch Überweisungen für einen Patienten schreiben, sollten Sie stutzig werden. In solchen Fällen empfiehlt es sich, den Patienten direkt anzusprechen und vielleicht einen einfachen Fragebogen, wie den Patient Health Questionnaire (PHQ-9) mitzugeben. Er erfordert nicht viel Zeit, bildet aber viel ab."

Ein Vorteil der hausärztlichen Praxis ist, dass der Patient dort in der Regel gut bekannt ist, der Arzt damit einen guten Vergleich hat und relativ leicht feststellen kann, ob sich die Situation des Patienten verändert hat.

Case-Management entlastet

"Das A und O ist es dann, den Patienten engmaschig zu begleiten", sagt Gensichen. Im optimalen Behandlungsprozess einer Depression ist eine kontinuierliche Begleitung des Patienten, auch in Zusammenarbeit mit Fachspezialisten, erforderlich.

Manchmal ist eine psychotherapeutische oder psychiatrische Anschlussbehandlung kurzfristig aber nicht verfügbar. Insofern bleibt die Hausarztpraxis über längere Zeit die einzige professionelle Versorgung für die betroffenen Patienten.

"Jetzt hilft schon das einfache Case-Management", sagt Gensichen mit Blick auf die Erfahrungen aus der sogenannten "PRoMPT-Studie". In diesem Projekt wurde eine hausarztpraxisbasierte Begleitung für Patienten mit Depression entwickelt.

Dabei nahmen speziell geschulte Medizinische Fachangestellte (MFA) regelmäßig telefonisch Kontakt zu dem Patienten auf, fragten nach dem aktuellen Befinden und leiteten im Anschluss an das Telefoninterview die Ergebnisse direkt an den Hausarzt weiter.

Gensichen: "Das ist dann ein sehr starkes Dreierbündnis, und es wirkt gegen Depression."

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