Inkontinenz
So kann Alltagssport helfen
Sport gegen das Tröpfeln: Zur Prävention der Inkontinenz hilft das Beckenboden-Training. Wie das auch im Alltag und im Fitness-Studio geht, erklärt eine Sportwissenschaftlerin.
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Radfahren trainiert schon bei geringer Intensität die Beckenbodenmuskulatur.
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Aus mehreren Gründen ist es wichtig, sich mit dem Thema "Beckenboden und Sport" auseinanderzusetzen:
Ein großer Teil der Patientinnen war vor dem Auftreten einer Inkontinenz sportlich aktiv und möchte es auch wieder sein.
Inkontinenz-Symptome zeigen sich sehr häufig zuerst bei Sport. Als Folge ziehen sich die Betroffenen vom Sport zurück und verzichten so auf die nachweislich bestehenden gesundheitsfördernden Wirkungen von Bewegung.
Training und Bewegung sind zentrale Inhalte präventiver und therapeutischer Konzepte bei Inkontinenz. Physiotherapeutische Konzepte sind jedoch langfristig zu wenig interessant.
Geeignete Sport- und Bewegungsprogramme können aufgrund ihrer psychosozialen Dimensionen eine längerfristige Motivation für die betroffenen Patienten sein.
Hochleistungssportlerinnen einiger Sportarten besitzen eine erhöhte Prävalenz zur Inkontinenz.
Sport und Bewegung können sich also grundsätzlich positiv und negativ auf Beckenboden und Inkontinenz auswirken.
Im Leistungssport beispielsweise besteht eine sportartbezogene Evidenz zur Ausbildung von Inkontinenzsymptomen etwa bei Trampolin-Springen, Turnen, Tennis und Volleyball. Andere Sportarten werden als "beckenbodengesund" eingeschätzt. Insgesamt jedoch liegen wenig Daten vor.
Bislang existieren nur unzureichende Kenntnisse über die Einbindung der Beckenbodenmuskulatur in Prozesse der allgemeinen und spezifischen Haltung und Bewegung - so auch bei Sport.
Im Folgenden werden Ergebnisse eigener Untersuchungen präsentiert. Methodische Grundlage ist die Oberflächen-Elektromyografie (sEMG).
Gymnastik und Apparate-Training
Funktionsgymnastik wird wegen ihrer möglichen Druckbelastungen auf den Beckenboden zum Teil kritisch beurteilt und daher nicht explizit ins Kontinenztraining eingebunden. Auch apparativ-gestützte Übungen gehören nicht zu präventiven oder therapeutischen Konzepten.
Viele Frauen machen jedoch regelmäßig solche Übungen im Fitnessstudio. Ziel unserer Untersuchung war es daher, den Effekt bestimmter Übungen auf den Beckenboden zu evaluieren.
Funktionsgymnastische Übungen: Daran ist auch die Beckenbodenmuskulatur mit unterschiedlichen Aktivitätsniveaus beteiligt. Sie reagiert auf höhere äußere Beanspruchung wie höhere Gewichte oder Instabilisierung der Ausgangsstellung.
Funktionsgymnastische Übungen eignen sich für präventive und therapeutische Konzepte. Aufgrund der teilweise hohen abdominalen Druckbelastungen, wie sie etwa beim "Crunch" auftreten und der noch ungeklärten Wirkung komplexer Übungen, ist es ratsam, die Übungen zunächst durch eine initiale Aktivität der Beckenbodenmuskulatur einzuleiten.
Wegen ihrer "freieren Ausführung" sollten funktionsgymnastische Übungen in therapeutischen Konzepten erst zu einem späteren Zeitraum eingesetzt werden. Eine Ausnahme ist die "Flexion und Extension der Wirbelsäule", mit der schon früher begonnen werden kann.
Apparativ-gestützte Übungen: Durch apparativ-gestützte Übungen ist es möglich, die Zielmuskulatur (also auch die Beckenbodenmuskulatur) ausgewählter zu trainieren und die höchsten neuromuskulären Ansteuerungswerte zu erreichen.
Ausgesuchte Übungen sind aufgrund der möglichen hohen neuromuskulären Ansteuerungen bei meist geringen intraabdominalen Drücken sehr zu empfehlen, etwa die "leg press".
Reiten gilt allgemein als "Beckenboden-trainierende" Sportart, obwohl es in der Literatur dazu keine Belege gibt. Aus diesem Grund haben wir in einer Pilotstudie die neuromuskuläre Aktivität bei diversen Gangarten des Pferdes mittels sEMG untersucht.
Die neuromuskulären Ansteuerungsprofile unterscheiden sich in den untersuchten Gangarten Schritt, Leichttraben, ausgesessener Trab, Tölt und Galopp qualitativ deutlich voneinander. Die höchste Aktivität des Beckenbodens wird während des "gesessenen Trabes" erreicht.
Bei dieser Gangart verlagert die Reiterin den Schwerpunkt nach hinten und hält sich über hohe Adduktorenaktivität. Die Beckenbodenaktivität beim Galopp ist während der Flexionsbewegung des Beckens ebenfalls hoch.
In den Gangarten Schritt und Tölt zeigt sich die bedarfsgerechte neuromuskuläre Ansteuerung der Beckenbodenmuskulatur. In dieser Gangart wird von der Reiterin gefordert, dass sie möglichst entspannt den Sattel "aussitzt". Die neuromuskuläre Antwort wird durch ein relativ niedriges Ansteuerungsverhalten deutlich.
Die Beckenbodenmuskulatur reagiert beim Reiten bedarfsgerecht. Ein mittleres Aktivitätsniveau von 25-59 Prozent der maximalen freiwilligen Kontraktion (MVC) zeigt, dass Reiten zumindest kraftausdauerförderlich für den Beckenboden ist.
Studie zum Radfahren
Das Ziel einer weiteren Studie war es, die neuromuskuläre Ansteuerung beim Radfahren zu untersuchen. Zur Ableitung der Beckenbodenmuskulatur wurde eine Analsonde verwendet. Alle abgeleiteten Muskeln reagierten bei zunehmender Wattleistung mit einer Steigerung der neuromuskulären Ansteuerung für alle Probanden.
Die Beckenbodenmuskulatur war hierbei die prozentual aktivste Muskelgruppe. In der letzten Stufe wurden sogar bis zu 60 Prozent der MVC erreicht.
Zusammenfassend belegt die Studie, dass Radfahren schon bei geringer Intensität die Beckenbodenmuskulatur trainiert.
Für die Therapie der geschwächten Beckenbodenmuskulatur ist es entscheidend, die Rückerlangung der automatischen Aktivitäten in belastenden Situationen zu garantieren. Nach korrekt erlernter isolierter Kontraktion der Beckenbodenmuskulatur könnten apparativ-gestützte und funktionsgymnastische Übungen sowie Alltagsaktivitäten integriert werden.
Funktionsgymnastik ist bezüglich der Aktivität der Beckenbodenmuskulatur die einzige Kategorie, in der die Beckenbodenmuskulatur mit relativ hohen Ansteuerungsniveaus intermuskulär-koordinativ mit einbezogen wird, aber in der Regel nicht die prozentual aktivste Muskelgruppe ist. Förderlich für den Beckenboden sind zudem Reiten und Radfahren.
Dr. Birgit Schulte-Frei ist Diplom-Sportwissenschaftlerin und Physiotherapeutin in Köln. Der ungekürzte Originalartikel ist erschienen in: Uro-News 2013; 17 (2): 18-24