Schlaganfall-Akuttherapie
Thrombektomie - die nächste Runde
Gebt dem Katheter noch eine Chance - das forderten Neuroradiologen mit Blick auf die mechanische Thrombektomie. Sie plädieren nun für Studien mit ausgewählten Patienten: solche mit proximalen Verschlüssen, schweren Symptomen und großen Thromben.
Veröffentlicht:HANNOVER. Die Tage der katheterbasierten Thrombektomie bei Schlaganfall sind gezählt, warnen Neuroradiologen und Intensivmediziner, sollte es nicht bald gelingen, den Nutzen der Intervention klar nachzuweisen.
"Thrombektomie-Devices sind eine gefährdete Spezies. Wenn wir nicht ganz schnell ein bis zwei positive Studien dazu vorlegen, ist das Thema vom Tisch und das Kind wird mit dem Bade ausgeschüttet", versuchte Professor Peter Schellinger aus Minden die Teilnehmer der Arbeitstagung Neurologische Intensivmedizin (ANIM) in Hannover wachzurütteln.
Auch Professor Werner Hacke von der Uniklinik Heidelberg sieht den Einsatz von Stent-Retrievern in der Akutversorgung gefährdet. "Ich bin davon überzeugt, dass bestimmte Devices für bestimmte Patienten unter bestimmten Bedingungen die beste Option sein können. Unserer Aufgabe ist es, das zu beweisen."
Allerdings, so Hacke, haben die Intensivmediziner nicht mehr viele Versuche übrig: "Wenn wir jetzt noch ein oder zwei negative oder neutrale Studien nachlegen, egal welche Schwächen diese Studien haben, dann werden die unseligen Metaanalysten dieser Welt all die Studien zusammenwerfen und zum Schluss eine kleine Raute zeigen, die besagt: eine i.v.-Lyse ist besser als eine Thrombektomie."
Die Schockwellen, die drei negative Studien zur mechanischen Thrombektomie vor einem Jahr ausgelöst haben, waren bei der diesjährigen ANIM also noch gut zu spüren. Doch kaum jemand hielt es für eine gute Idee, deswegen die Flinte ins Korn zu werfen.
Vielmehr sollen besser konzipierte Studien mit den modernen und wesentlich effektiveren Stent-Retrievern der Methode zum Durchbruch verhelfen. Immerhin scheint nun unter den deutschen Neuroradiologen ein gewisser Konsens zu bestehen, welche Patienten von der Methode am ehesten profitieren.
"Brutal schlechte Daten"
Dass die mechanische Entfernung von verstopften Hirngefäßen vielen Patienten unterm Strich wenig nützt, wenn es um harte Endpunkte wie Sterberate und Behinderung geht, das konnten die 2013 veröffentlichten Daten der Studien SYNTHESIS*, IMS III* und MR RESCUE* deutlich zeigen.
Im Vergleich zu einer alleinigen oder zusätzlichen i.v.-Thrombolyse mit rt-PA führte der Kathetereingriff weder zu einer geringeren Sterberate noch zu einer geringeren Rate von bleibenden Behinderungen - eher im Gegenteil, die Sterberate war mit Embolektomie tendenziell sogar höher.
Mittlerweile ist über die Studienergebnisse viel gestritten worden: Die Auswahl der Patienten war nicht geeignet, in der Kathetergruppe wurde zum Teil ein ganzes Sammelsurium an unterschiedlichen Systemen getestet, die Thrombektomie verzögerte sich durch zweifelhafte Untersuchungen - so lauten nur einige der Kritikpunkte.
Vor allem aber waren in den drei Studien noch keine modernen Stent-Retriever verwendet worden, sondern ältere Systeme, mit denen sich viel geringere Rekanalisationsraten erzielen lassen. Dass die neuen Systeme Thromben besser entfernen können, das ließ sich bereits zeigen. Ob aber auch die Patienten etwas von der besseren Rekanalisation haben, dieser Beweis steht noch aus.
Schellinger verwies auf Studien mit den alten Systemen, nach denen über 80 Prozent der Patienten trotz Rekanalisation anschließend behindert oder tot waren. "Das sind brutal schlechte Daten", sagte der Chefarzt der Neurologischen Klinik in Minden. Ob die neuen Systeme hier besser sind, müsse nun gezeigt werden.
Immerhin laufen bereits einige Studien mit modernen Thrombektomie-Systemen. Hacke nannte etwa SWIFT-PRIME* mit dem Retriever Solitaire und bis zu 940 Patienten sowie THERAPY* mit dem Aspirationssystem Penumbra und knapp 700 Patienten. In beiden wird die Thrombektomie zusätzlich zur i.v.-Lyse angewandt.
Der Heidelberger Neurologe hofft, dass die Studien groß genug sind, um einen Effekt statistisch belastbar nachzuweisen. Der Unterschied bei der Sterbe- und Behinderungsrate müsse dafür mindestens im Bereich von etwa acht bis zehn Prozent liegen. Und dafür sei es eigentlich nötig, vor allem solche Patienten zu behandeln, die nach den bisherigen Erkenntnissen die besten Chancen haben, von der Thrombektomie zu profitieren.
Für Hacke spielt hier die Zeit eine ebenso wichtige Rolle wie bei der i.v.-Lyse. Sechs Stunden nach Symptombeginn dürften Neurologen auch mit einem Stent-Retriever kaum noch auf Erfolge hoffen, darauf deuten etwa die Daten von IMS III.
Das beste Ergebnis im Vergleich zur alleinigen i.v.-Lyse sei zudem bei proximalen Verschlüssen zu erwarten, vor allem bei einer Karotis-T-Okklusion, weniger dagegen bei einem M1-Infarkt. "Studien mit vielen M1-Patienten werden die Effektgröße daher schmälern", sagte Hacke. Zumindest in der THERAPY-Studie wird sie berücksichtigt: Hier zählt ein Verschluss großer Gefäße im vorderen Kreislauf zu den Einschlusskriterien.
Ein weiterer wichtiger Faktor scheint die Ausprägung des Schlaganfalls zu sein: Vor allem Patienten mit ausgeprägten Symptomen profitieren vom Kathetereinsatz. Schnell, schwer, proximal - mit diesen drei Worten fasste Hacke die Zielgruppe für die mechanische Thrombektomie zusammen. "Bei diesen Patienten müssen wir zunächst einmal den Nutzen der Methode beweisen, sonst haben wir bei den übrigen erst recht keine Chance."
Das führt wiederum zu einem anderen Dilemma: In solchen Studien müssen dann auch Patienten mit einem großen Thrombus, die derzeit eher mit einem Stent-Retriever behandelt werden, randomisiert werden und erhalten dann zum Teil nur eine i.v.-Lyse, obwohl klar ist, dass diese den Thrombus nicht auflösen kann. Doch dies sei der einzige Weg, um einen Nutzen der Retriever klar zu belegen.
Langsam expandierende Infarkte - hier nützt auch noch eine späte Embolektomie
Dem konnte auch Schellinger zustimmen, zumal es bislang aufgrund fehlender Evidenz überhaupt keinerlei Indikation für eine mechanische Thrombektomie gebe. Er plädiert dafür, die Patienten möglichst immer in Studien zu behandeln, auch wenn es den Ärzten schwerfällt, relativ junge Patienten mit proximalen Verschlüssen zu randomisieren.
Wenn eine Studienteilnahme nicht möglich ist, sieht Schellinger ebenfalls eine gewisse Berechtigung für individuelle Heilversuche bei Patienten mit schweren Infarkten (NIHSS-Werte ab 20 Punkte) und Karotis-T-Verschlüssen oder allenfalls proximalen Media-Verschlüssen mit einem mehr als zehn Millimetern großen Thrombus.
In Subgruppen mit solchen Patienten war in Studien nach einer mechanischen Thrombektomie anschließend noch ein Viertel der Patienten funktionell unabhängig, mit alleiniger i.v.-Lyse waren es nur etwa fünf Prozent. Solche Daten wurden zwar mit den alten Systemen ermittelt, "wenn die neuen Retriever tatsächlich besser sind, dann sollte es auch damit klappen".
Eine gewisse Berechtigung für die Retriever-Intervention gibt es möglicherweise auch noch bei ausgewählten Patienten jenseits eines Zweitfensters von 4,5 Stunden.
Professor Jens Fiehler von der Klinik für Neuroradiologische Diagnostik in Hamburg erinnerte auf der ANIM daran, dass nach 4,5 Stunden zwar bei den meisten Patienten das maximale Infarktvolumen erreicht ist und eine Reperfusion den Schaden kaum noch mindern kann, allerdings gibt es auch Patienten, bei denen der Infarkt deutlich langsamer expandiert.
Ideale Kandidaten sind seiner Auffassung nach Infarktpatienten mit gut ausgeprägten Kollateralen, einem proximalen Verschluss und einem noch recht geringen Infarktvolumen in der Bildgebung.
Hier waren die Patienten in Studien bei einer erfolgreichen Rekanalisierung anschließend fünffach häufiger selbstständig als ohne erfolgreiche Thrombolyse. Selbst nach fünf Stunden hat die Rekanalisierung bei diesen Patienten noch einen gewaltigen Einfluss auf die Prognose, so Fiehler.
In der nun geplanten deutschen Multicenter-Studie THRILL* sollen gezielt auch solche Patienten behandelt werden. Einschlusskriterien sind ein Karotis-T- oder ein M1-Verschluss sowie Kontraindikationen für eine i.v.-Lyse, etwa eine bestehende Therapie mit Antikoagulanzien oder eine Überschreitung des Lyse-Zeitfensters von 4,5 Stunden.
Alle Patienten erhaltene eine bestmögliche medizinische Betreuung, die Hälfte zusätzlich eine mechanische Thrombektomie. Bei Patienten mit noch kleinem Infarktvolumen kann die Retriever-Therapie bis zu acht Stunden nach Symptombeginn erfolgen. Die ersten der 600 Teilnehmer sollen in den nächsten Monaten aufgenommen werden.
Aufgrund solcher Studien dürfen Neurologen und Neuroradiologen also doch noch hoffen, dass ein Ende der mechanischen Thrombektomie in weite Ferne rückt.
*) SYNTHESIS: Local versus Systemic Thrombolysis for Acute Ischemic Stroke IMS III: Interventional Management of Stroke MR RESCUE: Mechanical Retrieval and Recanalization of Stroke Clots Using Embolectomy SWIFT PRIME: Solitaire™ FR With the Intention For Thrombectomy as Primary Endovascular Treatment for Acute Ischemic Stroke THERAPY: The Randomized, Concurrent Controlled Trial to Assess the Penumbra System's Safety and Effectiveness in the Treatment of Acute Stroke