Vorsicht mit Hypnotika bei alten Menschen!
Oft liegt's an Inaktivität, schlechter Schlafhygiene oder Langeweile, wenn alte Menschen meinen, schlecht zu schlafen. Ohne eine gründliche Anamnese sind Hypnotika daher tabu.
Veröffentlicht:MANNHEIM. Einer alten Dame ein Hypnotikum zu verordnen, weil sie ständig über ihren schlechten Schlaf jammert, ist zwar schnell getan, meist tut der Arzt der Frau damit aber nichts Gutes. Denn Benzodiazepine - und in geringerem Maße auch Benzodiazepin-Rezeptoragonisten - erhöhen bei alten Menschen das Sturzrisiko, verstärken kognitive Defizite, können abhängig machen und sind zudem in Studien bei Menschen über 60 kaum untersucht worden.
Gerade Benzodiazepine sind wegen ihrer Nebenwirkungen und ihres Suchtpotenzials bei älteren Menschen nicht zu empfehlen, berichten Professor Stefan Schwarz und Mitarbeiter vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim (Der Internist 2010, 7:914).
Bevor ein Arzt zum Rezeptblock greift, sollte er sich daher zunächst ein gutes Bild über den Patienten und die Ursachen der Schlafstörungen machen. So hat ein gewisser Teil der Patienten, die über Insomnie klagen, gar keinen gestörten Schlaf. Vielen ist einfach nicht klar, dass sich mit dem Älterwerden auch der Schlafbedarf ändert.
So reichen für Menschen über 60 Jahre etwa sechseinhalb Stunden Schlaf, zudem nimmt der Tiefschlaf ab, die Arousal-Schwelle wird geringer - ältere Menschen wachen daher oft schon bei kleinen Geräuschen auf. Vielen Patienten hilft bereits die Information, dass ihr subjektiv empfundener Schlafmangel keine Störung, sondern für ihr Alter normal ist.
Wer sich langweilt, würde gerne mehr Zeit verschlafen
Auch Menschen, die sich einsam fühlen, in deren Alltag wenig passiert, die inaktiv sind, denen es langweilig ist, würden gerne mehr Zeit verschlafen. Sie halten einen Mittagsschlaf, gehen abends früh ins Bett und wundern sich dann, dass sie die halbe Nacht wach bleiben. Auch hier ist es ein Fehler, Hypnotika zu verordnen.
Ein weiterer Teil der alten Menschen hat zwar manifeste Ein- und Durchschlafstörungen, bei ihnen liegt jedoch keine primäre Insomnie vor, sondern etwa eine Depression, eine Demenz, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung oder ein Restless-Legs-Syndrom. Hinzu kommt, dass multimorbide Menschen viele Arzneien benötigen, die den Schlaf beeinträchtigen können.
Hier stellt sich also die Frage: Sind die Patienten optimal gegen ihre Grunderkrankung eingestellt? Lassen sich potenziell Schlaf störende Medikamente substituieren?
All diese Fragen sollten vor einer Hypnotika-Verordnung geklärt und berücksichtigt werden. Fehlt Ärzten dafür die Zeit, raten Schwarz und Mitarbeiter, die Patienten an einen Spezialisten zu überweisen. Dies sei besser, als vorschnell medikamentös zu behandeln.
Und selbst wenn eine primäre Insomnie klar diagnostiziert wird, sollten zunächst nicht-medikamentöse Verfahren probiert werden. Dazu zählen eine Beratung über adäquate Schlafhygiene, aber auch Entspannungstechniken, Licht- und Verhaltenstherapie.
Sind Hypnotika unumgänglich, dürfen Ärzte sie nur kurzfristig verordnen - nicht länger als zehn Tage. Sie können dann etwa bei Trauerreaktionen, Aufenthalt in ungewohnter Umgebung sowie anderen vorübergehenden Belastungen helfen. Keinesfalls sind solche Medikamente aber bei älteren Menschen mit chronischen Schlafstörungen indiziert, warnen die Autoren.
Retardiertes Melatonin eignet sich kurzfristig
Geeignet zur kurzfristigen Therapie bei älteren Menschen mit Ein- und Durchschlafstörungen sind am ehesten noch Benzodiazepin-Rezeptoragonisten (Zolpidem, Zopiclon und Zaleplon) sowie retardiertes Melatonin, das über ein günstiges Nebenwirkungsprofil verfügt.
Als Grundlage empfehlen die Autoren das "Mannheimer Stufenschema". Zunächst wird mit niedrig dosiertem Zopiclon (3,75 mg) oder Melatonin (2 mg) begonnen, bei ungenügender Wirksamkeit auf die doppelte Dosis erhöht. Genügt auch das nicht, wird auf die jeweils andere Substanz gewechselt. Keinesfalls dürfen aber Hypnotika kombiniert werden.
Lässt sich mit den beiden Substanzen der Schlaf nicht bessern, steht ein Versuch mit dem sedierenden Neuroleptikum Pipamperon an (beginnend mit 20 mg, maximale Dosis 80 mg pro Tag). Von anderen Wirkstoffgruppen raten die Autoren ab. Allenfalls Baldrian- und Hopfenpräparate sehen sie als Option - in Studien war zwar die Wirksamkeit gering, Nebenwirkungen traten aber praktisch nicht auf.